Tragikomödie „Mia Madre“: Abschied von der Mutter

Nanni Moretti zeigt in „Mia Madre“ eine Regisseurin zwischen bedrückenden Krankenhausbesuchen und grotesken Dreharbeiten.

Frau mit mittellangen Haaren sitzt vor einem Weinglas, links von ihr der grauhaarige Hinterkopf eines Mannes

Souverän neurotisch spielt Margherita Buy die Fimregisseurin Margherita in „Mia Madre“. Foto: Koch Media

Eine Gruppe Arbeiter schreitet mit Transparenten und Bannern Richtung Kamera. „No al licenziamento“ steht auf dem größten, „Keine Entlassungen“. Dazu wird rhythmisch der Slogan „Wir woll’n Arbeit für alle“ gerufen, während die Kamera langsam mit dem Trupp auf eine gepanzerte Polizeiformation und das Fabriktor im Hintergrund schwenkt.

Dann Nahaufnahmen auf prügelnde Polizisten und Demonstranten, die versuchen, sich zu schützen. Und eine Frau, die mehrfach, „Stopp!“ schreiend und winkend, ins Bild läuft. Es ist die Regisseurin eines Films im Film, die sich erst über die schlechte Komparsenführung beschwert und dann über einen der Kameramänner, der viel zu nah an die Filmgeschehnisse herangehe.

Margherita (wie die Schauspielerin Margherita Buy) dreht einen Film über eine Fabrikschließung, der aber nicht Depression, sondern Energie und Hoffnung vermitteln solle, wie sie ihrer herzkranken Mutter in einer der nächsten Einstellungen am Krankenhausbett erklärt. Da will sie ihr zur Aufbesserung des Krankenhausessens nach der anstrengenden Arbeit ein in der Rosticceria gekauftes Hähnchen vorbeibringen.

Doch Bruder Francesco ist ihr zuvorgekommen und serviert der Mutter als italienischer Mustersohn auf mitgebrachter blau karierter Tischdecke ein selbst gekochtes Menü samt Pasta und frisch geriebenem Parmesan.

„Mia Madre“. Regie: Nanni Moretti. Mit Margherita Buy, John Turturro u. a. Frankreich/Italien 2015, 95 Min.

Später holt Margherita – offenbar frisch getrennt – ein paar letzte Sachen aus der ehemals gemeinsamen Wohnung und muss dann den verspätet und völlig erschöpft auf dem Flughafen eingetroffenen Darsteller Barry Huggins ins Hotel schaffen. Der wurde in Hollywood rekrutiert, um in dem Film den neuen, US-amerikanischen Besitzer des von den Arbeitern besetzten Traditionsunternehmens zu geben, und überdeckt seine Unfähigkeit, sich mehr als eine Zeile Text zu merken, mit lärmiger Großspurigkeit, die er vermutlich für römische Lebensart hält.

Das Sterben eines Familienmitglieds

Vor vierzehn Jahren hatte Nanni Moretti mit „La stanza del figlio“ einen Film über eine Familie gedreht, die mit dem plötzlichen Tod ihres Sohnes konfrontiert wird, und dafür in Cannes 2001 die Goldene Palme bekommen. Auch jetzt geht es wieder um das Sterben eines Familienmitglieds. Denn Margheritas Mutter (Giulia Lazzarini) hofft zwar selbst noch auf baldige Entlassung, doch die Diagnose gibt keinen Anlass zur Hoffnung, auch wenn Margherita das bis zum Schluss nicht wirklich wahrhaben will.

Mit dieser Konstellation (der Titel „Mia Madre“ deutet es an) verarbeitet Moretti, der seit seinem Spielfilmdebüt „Io sono un autarchisto“ 1976 immer wieder autobiografische Elemente in seine Filme einfließen ließ, auch den Tod der eigenen Mutter, die während der Dreharbeiten zu „Habemus papam“ starb.

Doch anders als bei den manchmal arg selbstmitleidigen Arbeiten der 90er Jahre, wie „Caro Diario“ oder „Aprile“, ist Moretti selbst hier als Margheritas hyperperfekter Bruder nur gelegentlich (und herrlich selbstironisch gezeichnet) im Bild, während als sein eigentliches Alter Ego die nicht nur gegen die pubertierende Tochter ungerechte und am eigenen Selbstverständnis nagende Künstlerin bei einer Pressekonferenz auf dem Filmset von Fragen der Journaille nach ihrer Position zum sozial engagierten Film gequält wird.

Fast mit Kubrick gedreht

Moretti ist klug genug, seinen Film trotz allen persönlichen politischen Engagements aus solchen Zuschreibungen herauszuhalten. „Mia Madre“ ist als Tragikomödie inszeniert, die gekonnt oszilliert zwischen den zunehmend bedrückenden Krankenhausbesuchen und grotesken Szenen mit dem größenwahnsinnigen italoamerikanischen Exstar, der am liebsten davon erzählt, wie er fast mit Kubrick gedreht hätte, und bei einer alkoholisierten Autofahrt durch Rom begeistert aus dem Fenster nach Rosselini und Federico Fellini schreit: „Bringt mich in die Via Veneto!“

Das Prinzip der Rollendistanz, das Margherita ihm etwas hilflos zu erklären versucht, ist solch übergriffigem Enthusiasmus selbstverständlich völlig fremd. Der Darsteller John Turturro dagegen zeigt in seiner ansteckenden Spielfreude aufs Vergnüglichste, wie man als Schauspieler ganz in der Figur aufgehen und zugleich amüsiert danebenstehen kann.

Es gelingt Moretti glänzend, zwischen verschiedenen Wirklichkeitsregistern zu wechseln, wobei sich Erinnerungsfetzen oder Träume visuell in die begrenzte Farbpalette des Films einfügen, die neben Graupastelltönen deutliche Akzente im Rot und Grün der italienischen Nationalfarben setzt. Manchmal auch, etwa wenn die Mutter einmal mit vorsichtigen Schritten das Krankenhausgelände erkundet, bleibt das Wann und Wie schwebend offen – in einem Film, der große Gefühle scheinbar ganz einfach verhandelt.

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