Tourismusmanager über die Hauptstadt: „Berlin ist ein großer Pfannekuchen“

Immer mehr Besucher kommen nach Berlin, Tourismus ist der größte Arbeitgeber. Das bringt aber auch Probleme mit sich, sagt Tourismusmanager Burkhard Kieker.

Junge Menschen vor dem Brandenburger Tor.

Selfies vor dem Brandenburger Tor. Foto: imago/Hohlfeld

taz.am wochenende: Im ersten Halbjahr 2015 wurde das Rekordergebnis von 2014 übertroffen: Es kamen 5,8 Millionen Besucher nach Berlin, 4,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Im internationalen Vergleich liegt Berlin nach London und Paris auf dem dritten Platz: Sind Sie stolz auf die Entwicklung?

Burkhard Kieker: Das ist eine Abstimmung mit den Füßen. Wir haben sogar Rom überholt, obwohl die zweitausend Jahre Vorsprung hatten. Dass fast eine Viertelmillion Menschen vom Tourismus in dieser Stadt lebt, der Tourismus der größte Arbeitgeber ist, das ist eine gute Entwicklung.

Loben Sie sich selber?

Es ist das Ergebnis eines chaotischen Prozesses. Es gab ja keinen Marketing-Masterplan. Unsere Aufgabe als Stadtmarketing ist die des Theaterdirektors, der den Vorhang zur Seite zieht und sagt: Meine Damen und Herren, schauen Sie auf diese Stadt.

Seit 2009 ist Burkhard Kieker Geschäftsführer der Berlin Tourismus & Kongress GmbH, die unter dem Label visitBerlin agiert. Zuvor leitete er den Bereich Marketing & Unternehmenskommunikation der Berliner Flughäfen.

Was ist ihr Sellingpoint?

Berlin wird trotz der schrecklichen Diktaturen als Stadt der Freiheit wahrgenommen. Es ist ein authentischer Ort der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Auch die Bilder vom Mauerfall haben eine starke Macht. Nach dem Motto: Die können nicht nur Diktatur, die können sich auch befreien. Das hätte man uns so nicht zugetraut. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir weiter unsere Wunden zeigen sollten und nicht noch das letzte Einschussloch aus dem Zweiten Weltkrieg zukleistern sollten.

Die Geschichte Berlins als Anziehungspunkt …

Ja, aber das hätte nicht funktioniert, wenn wir hier in so eine deutsche Spießigkeit verfallen wären. Aber was sich hier an Club- und Kunstszene tut, aber auch das Chaotische, das sich erhalten hat. Das ist wichtig.

Sie meinen die Nichtfertigstellung des Flughafens BER?

Weniger, sondern was sich in Kunst und Kultur unerwartet entwickelt. Berlin ist der größte Ort für Kunstproduktion, wo kreative, frei denkende Menschen gute ökonomische Rahmenbedingungen finden.

Noch?

Hier findet man noch Ateliers für 300 Euro. Aber es stimmt schon: Berlin hat ein sehr große Entwicklungsdynamik. Berlin wird sich weiterentwickeln.

Und es wird fröhlich weiter gentrifiziert …

Ja, aber was die Berliner Mischung angeht, also die Auflage, nicht nur Luxuswohnungen in einem Viertel zu bauen, da sind wir nicht völlig auf dem Holzweg.

Wie begegnen Sie einem Ballermanntourismus?

Ich glaube, dass wir von Ballermanntourismus weit entfernt sind. Wenn wir so eine Entwicklung sehen, wie beispielsweise die Bierbikes, dringen wir darauf, dass diese wie schon in Köln und Düsseldorf auch hier verboten werden.

88 Prozent der Berliner sollen nach einer Umfrage Touristen willkommen heißen. Nur in Kreuzberg-Friedrichshain sei die Akzeptanz geringer: 67 Prozent. Was tun Sie in diesen stark belasteten Stadtvierteln?

Boxhagener Platz, Friedrichshain, Warschauer Brücke – das schauen wir uns regelmäßig an. Das muss nicht sein, da wollen wir selber gegensteuern.

Wie?

Handlungsbedarf gibt es vor allem bei den Bezirken. Jemand im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg muss ja die Genehmigung für eine Kneipe neben der anderen erteilt haben.

Sie würden sich also mehr bewusste Planung der Bezirke wünschen?

Ja, das würden wir uns wünschen. Wir sind regelmäßig mit den Bezirken in Kontakt. Es gibt solche Runden, wo die Bürgermeister persönlich kommen, wo jeder seine Herausforderung auf den Tisch legt. Und da stellt sich durchaus die Frage der Lenkung des Tourismus, die wir mit der Politik ansprechen. Wir arbeiten gut zusammen.

Nachhaltiger Stadttourismus, was verstehen Sie darunter?

Gegen Disneyfizierung wirken, auch wenn wir einen disneyfizierten Checkpoint Charlie haben. Wir wollen authentisch bleiben und darauf achten, dass es im Einklang mit den Bürgern dieser Stadt funktioniert. Aber ohnehin ist Berlin ja so ein dicker Pfannekuchen, der in der Landschaft liegt. Da verläuft sich der Tourismus viel mehr als beispielsweise in Barcelona.

6.000 angemeldete Ferienwohnungen gibt es in Berlin – und 17.000 illegale. Greift das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum nicht?

Als wir in Berlin einen Wildwuchs gesehen haben, waren wir die Ersten, die ein Verbot der Zweckentfremdung forderten.

Im Interesse der Berliner Hoteliers?

Wir sind nicht die Lobbyorganisation der Hotels, auch wenn wir eine Public-private-Partnership von Stadt, Flughafen, Messe, Hotels und Land Brandenburg sind. Wir brauchen vom Campingplatz über die Ferienwohnung bis zum Luxushotel alles. Wir haben den Auftrag, Stadtrendite zu generieren. Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir die Berliner mitnehmen. Es darf nicht sein, dass sich die Berliner Wohnbevölkerung dadurch bedrängt fühlt. Wir brauchen keine von Berlinern entleerten Kieze.

Schadet das Flughafendebakel – die Verzögerung beim Bau des BER – dem Tourismus?

Wenn Sie sich die Wachstumsraten anschauen, ist die klare Antwort: Nein! Der Flugverkehr in Berlin wächst auch ohne den BER stärker als im deutschen Durchschnitt. Doch richtig ist auch: Solange es den neuen Flughafen nicht gibt, wird die Zahl der Interkontinentalflüge nicht zunehmen. Wir brauchen aber Direktflüge nach Tokio, Seoul, nach São Paulo.

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