Tote in US-Zeitungsredaktion: Schüsse durch die Glaswand

Ein 38-Jähriger erschießt fünf MitarbeiterInnen einer Zeitung in Annapolis nahe Washington. Am deutlichsten reagiert Kanadas Premierminister.

Polizisten zwischen Autos

Polizisten kontrollieren die Umgebung der Redaktion in Annapolis nach den Schüssen Foto: ap

HOUSTON taz | Die erste Reaktion eines nordamerikanische Spitzenpolitiker auf das Massaker kam aus Kanada. „Journalisten verteidigen die Demokratie, sie riskieren ihr Leben, um ihren Job zu machen“, schrieb der kanadische Premierminister Justin Trudeau auf Twitter, nachdem ein Mann am Donnerstag in der Redaktion der Capital Gazette fünf Menschen erschossen hatte.

Die Zeitungsredaktion liegt nicht in Kanada, sondern in Annapolis, knapp eine Autostunde östlich von Washington, der Hauptstadt der USA. Dort fielen US-Präsident Donald Trump und seinem Vize Mike Pence nichts weiter ein, als die nach Schießereien üblichen „Gedanken und Gebete“ zu senden.

Phil Davis, Polizei- und Gerichtsreporter bei der Capital Gazette berichtete später, er sei unter seinem Schreibtisch in Deckung gegangen und habe gehört, wie mehrere seiner KollegInnen erschossen wurden und der Täter dann seine Waffe neu lud. „Es war eine Kriegszone“, sagte er nach der Attacke, die am Donnerstag Nachmittag um 14.40 Uhr Ortszeit begonnen hatte, zu einem Reporter. Ein Fotograf der Capital Gazette musste über die am Boden liegende Leiche eines Kollegen springen, um in Sicherheit zu kommen.

Die Opfer sind nach Angaben der Zeitung zwei Frauen – eine Verkaufsassistentin, die erst kurz bei dem Blatt war, sowie eine Lokalreporterin und Kolumnistin – und drei Männer, ein langjähriger Sportjournalist, ein Leitartikel-Autor und der stellvertretende Chefredakteur.

Der Todesschütze hatte seinen Angriff mit Schüssen durch eine Glaswand begonnen. Die Motive des 38-jährigen für das Massaker sind noch unklar. Gislang ist lediglich bekannt, dass er seit langem eine Fehde gegen die Zeitung führte.

Polizei vor Redaktionen im ganzen Land

Obwohl die Polizei ihn am Tatort gefangen nahm und die Gefahr für beendet erklärte, gingen noch am selben Tag vor Zeitungsredaktionen quer durch die USA Polizeieinheiten in Stellung.

Es ist die tödlichste Gewalttat gegen JournalistInnen in den USA seit das „Committee to Protect Journalists“ im Jahr 1992 damit begonnen hat, Morde an KollegInnen zu erfassen. Bis Donnerstag Mittag hatte die Gruppe, die weltweit Morde an JournalistInnen erfasst, sieben bei der Ausübung ihrer Arbeit ermordete JournalistInnen in den USA gezählt. Darunter waren auch zwei FernsehjournalistInnen in Virginia, die 2015 während einer Life-Sendung von einem wütenden Ex-Kollegen erschossen wurden.

In Washington berichteten KollegInnen anderer Medien am Donnerstagabend, dass sie in letzter Zeit verstärkt Drohungen erhalten. Der Journalist Brian Karem sagte auf CNN, dass das Leben von Reportern „nicht sicher“ sei.

Trumps verbale Attacken gegen Journalisten

Seit der Wahl von Trump sind die verbalen Angriffe gegen JournalistInnen in den USA Routine geworden. Trump selbst hat schon in seinem Wahlkampf eine Kampagne gegen Medien begonnen, die ihn kritisieren. Bei seinen Meetings zeigte er mit ausgestreckter Hand auf die JournalistInnen auf der Medientribüne, nannte sie VertreterInnen der „Fake-Medias“ und ließ seine Anhänger minutenlang pfeifen und zischen.

Seit seinem Amtsantritt greift Trump immer wieder JournalistInnen heraus, die er namentlich als „Lügner“ und „böswillig“ bezeichnet, nennt Medien, die ihn kritisieren – darunter häufig CNN und die New York Times – „verlogen“ und „mies“ und lässt ausgewählte JournalistInnen entweder keine Fragen stellen oder schließt sie von seinen Pressekonferenzen aus.

Der US-Präsident verlangt auch immer wieder die Entlassung von bestimmten JournalistInnen sowie „Entschuldigungen“ von Medien für angebliche Falschberichte. Wenn Trump heute öffentlich auftritt, sind in seinem Publikum deutlich mehr Fans zu finden, die es ablehnen mit JournalistInnen zu reden, weil sie „parteiisch“ und „voreingenommen“ seien.

In seltener Einigkeit hatten vor den Wahlen im November 2016 fast alle Medien der USA, darunter auch solche, die gewöhnlich keine Wahlempfehlungen abgeben, zu einer Stimmabgabe für Hillary Clinton und gegen Trump aufgerufen. Seither befinden sich viele große Medien in einer Oppositionsrolle.

In der radikal rechten Szene ertönt unverhohlen der Ruf nach Journalistenmorden. Er kommt nicht nur in Neo-Nazi-Blättern, sondern auch von Milo Yiannopoulos, einem rechten Provokateur, der vielerorts in den USA – aber auch bei Auftritten in Europa – das Klima testet, bevor etablierte PolitikerInnen ihm folgen. Er „witzelt“ gelegentlich darüber, er hoffe, dass Bürgerwehren Journalisten abknallen.

Die Sprecherin der politisch einflussreichen Schusswaffenlobby NRA, Dana Loesch, nennt JournalistInnen „Rattenbastarde der Erde“. Und sie warnte: „Eure Zeit läuft ab“.

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