Tischtennis-WM in Malaysia: Schlagkräftige Chemikalien

Die Deutschen treten in Malaysia nicht in Bestbesetzung an. Mehr Sorgen bereiten ihnen unterdessen die getunten Schläger der Chinesen.

Tischtennisspieler Timo Boll bei den German Open 2016 in Berlin.

Ungewohnt angriffslustig: Timo Boll – hier bei einem Turnier in Berlin – prangert den Versuch der Chinesen an, sich Vorteile zu verschaffen. Foto: imago/Eibner

„Olympia ist wichtiger als die Team-WM“, betont Timo Boll. Folgerichtig hat er seine „gute Vorbereitung“ auf die am Sonntag in Kuala Lumpur beginnende Weltmeisterschaft „mit Blick auf Rio geopfert“. Bei den Olympischen Spielen in Brasilien sind die Erfolgsaussichten für die deutschen Tischtennisprofis nicht nur deshalb besser. Neben einem dann wiedererstarkten Boll, der zuletzt lange wegen einer Knieverletzung pausieren musste, kann man auch darauf setzen, dass im Einzel in Rio de Janerio nur zwei Chinesen startberechtigt sind.

Vor der Team-WM ist aus Bolls Sicht nun die Hiobsbotschaft unerfreulich, dass Dimitrij Ovtcharov passen muss. Der Einzel-Europameister leidet an einer Rückenmuskelzerrung mit Nervenreizung. „In den nächsten drei Wochen absolviere ich ein intensives Reha-Programm in der Hoffnung, danach wieder voll belastbar zu sein“, verkündet Ovtcharov und gesteht, „das ist einer der härtesten Momente für mich in meiner Sportlerkarriere. Nach drei Vizeweltmeisterschaften in Folge sind es die ersten Welttitelkämpfe, die ich absagen muss.“

Der olympische Bronzenmedaillengewinner möchte in Rio seinen Erfolg schließlich toppen. „Auch wenn es natürlich sehr traurig für die Mannschaft und für mich selbst ist, möchte ich meinen Olympia-Start auf keinen Fall gefährden“, betont der 27-Jährige.

Ohne den „Führungsspieler“ sieht Jörg Roßkopf sein Team „schon in der Gruppe stärker gefordert“. Aber trotz des prominenten Ausfalls hält der stets optimistische Bundestrainer das nächste WM-Finale dennoch „im Optimalfall“ für erreichbar.

Während Siege über Südkorea oder Japan mit einem herausragenden Boll möglich scheinen, ist aber wohl spätestens im Endspiel am 6. März die nächste Schlappe gegen China vorprogrammiert. Die Übermacht aus dem Reich der Mitte will schließlich in Kuala Lumpur eine Schmach tilgen. Diese hatte ihnen dort anno 2000 die alten Schweden zugefügt. Das Team um Jan-Ove Waldner, den „Mozart des Tischtennis“, entriss den Chinesen den letzten großen Mannschafts-Titel. Mit 50 hat sich Waldner vor Kurzem erst in den Ruhestand verabschiedet.

Ein Verbot wird angestrebt

Positives könnte sich für den Serien-Vizeweltmeister in Malaysia selbst bei einem frühen Aus ergeben: „Schlägerdoping“ könnte auf längere Sicht hin verboten werden! Den Stein ins Rollen brachte ausgerechnet der sonst so vorsichtige Timo Boll.

Dass der ehemalige Weltranglistenerste sich gegenüber den Asiaten eklatant im Nachteil wähnt, machte der 34-Jährige nachdrücklich deutlich: Im Interview mit der FAZ beklagte er, dass die Chinesen nicht nur bei ihren Belägen auf dem Holz „extreme Vorteile“ besäßen, sondern erhob den Vorwurf, mit einem Chemikaliencocktail erziele der chinesische Gummi besondere Wirkung. „Meine Beläge kann dagegen jeder im Laden kaufen“, betont Boll.

Plastisch erzählt er von Erlebnissen während eines Gastspiels in der chinesischen Super-Liga: Boll tauschte mehrmals die Schläger mit Trainingspartnern – „wenn die dann mit meinem Schläger einen Topspin zogen, fiel der Ball noch in der eigenen Plattenhälfte runter“, verweist er auf den bei ihm fehlenden extremen Katapulteffekt. Weil die Behandlung der Beläge bisher nicht sanktioniert wurde, gingen die Chinesen offen damit um. Der zurückgetretene Exweltmeister Wang Hao zeigte sogar im Fernsehen, wie Schlägerdoping genau funktioniert.

Kommission soll Bericht vorlegen

Der Weltverband ITTF reagierte nun auf Bolls harsche Kritik. Der deutsche Präsident Thomas Weikert berief eine Kommission ein, die in Malaysia die Ergebnisse vorlegen soll. Die FAZ berichtete, der Regensburger Chemieprofessor Hubert Motschmann habe ein bezahlbares Gerät für 20.000 Euro entwickelt, das binnen drei Minuten nachweist, ob der Gummibelag mit einem sogenannten Booster getunt wurde.

„Ich kann nur hoffen, dass die ITTF eine Lösung findet bei der Kontrollmethode. Wären dann die Strafen bei einem Verstoß streng genug, würde es wohl keiner mehr wagen, gegen die Regeln zu verstoßen“, glaubt Boll und ergänzt: „An sich ist Tischtennis ein sehr fairer Sport. Es ist aber auch fast normal, dass Sportler die Grenzen ausreizen.“

Ovtcharov sieht sich „bei all diesen Themen auf einer Wellenlänge“ mit dem Rekord-Europameister und erwartet, „dass sich die Gremien Gedanken dazu machen, wie man die Situation verbessert“. An ein Ende der chinesischen Dominanz glaubt Boll durch eine Regeländerung allerdings kaum. „Aber manche Schläge hätten dann nicht mehr die Qualität, die sie im Moment haben“ – und dann könnten die Deutschen in Rio vielleicht doch mal einen schlagen.

Bei der Weltmeisterschaft in Malaysia indes können die Chinesen noch nach Belieben die Beläge ihrer Schläger zusammenkleben.

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