Tilo Jung im Interview: Angekotzt vom Stillstand

Tilo Jung will kein Haus, keine Familie und keinen Baum pflanzen. Er will einen großen Wurf.

Bild: Anja Weber

Interview: Peter Unfried und Harald Welzer

taz FUTURZWEI: Wer sind Sie?

Tilo Jung: Ich bin Tilo Jung.

Gehts noch genauer?

Die einen sagen Blogger, wenn sie mich nicht mögen, die anderen sagen Journalist, wenn sie akzeptieren, was ich mache.

Sie machen Videointerviews mit Politikern, die genau so beginnen, wie wir das jetzt gemacht haben, nur dass Sie duzen: Ist das politischer Journalismus?

Würde ich schon sagen.

Worin unterscheidet er sich vom konventionellen Journalismus?

Ich adressiere Leute, die sagen, dass sie sich nicht für Politik interessieren.

Wie definieren Sie Ihr Format Jung & Naiv und wie gewinnen Sie damit Leute unter dreißig?

Wir führen Interviews mit interessanten Persönlichkeiten. Und meine Aufgabe ist es, die so interessant zu führen, dass man dranbleibt. Mich stört, dass meiner Genration unterstellt wird, unsere Aufmerksamkeitsphase sei kürzer als Ihre. Wenn, dann liegt es nicht an uns, sondern an der Technologie. Unsere Sendung fördert das Gegenteil, sie will die Aufmerksamkeit verlängern. Deshalb mache ich lange, ausführliche Gespräche mit einer Person zu ihren Gedanken. Das läuft dann ungeschnitten, manchmal anderthalb Stunden und mehr. Das finde ich wichtig. Weil es keiner sonst macht.

Günter Gaus vor vielen Jahren.

Genau. Ein Gast, eine Stunde reden. Gibt‘s nicht mehr.

Schweizer Fernsehen. Und Richard David Precht.

Stimmt. Aber Richard führt akademische Diskussionen. Das kann ich leider nicht.

Und die Unterstellung, dass junge Leute nur zwei Minuten aufpassen können, ist falsch?

Die ist falsch. Kann sein, dass Leute das selbst glauben, weil man ihnen das so gesagt hat. Wir haben eine überdurchschnittliche Verweildauer. Selbst Youtube in London sagte: Hä, was führst du denn für Interviews, dass deine Leute so lange dranbleiben? Unsere Abonnenten wissen natürlich auch, was sie erwartet.

Wer schaut Ihre Interviews?

18- bis 35-Jährige, im Schnitt 28, 70 Prozent davon männlich.

Warum weniger Frauen?

Der Mann:

Freier Chefredakteur der Interviewsendung Jung & Naiv. Geboren am 21. Oktober 1985 in Malchin, Mecklenburg-Vorpommern, damals DDR. Lebt in Berlin.

 

Das Werk:

»Jung & Naiv – Politik für Desinteressierte« gibt es seit 2013. Jung spielt die Rolle eines naiv duzenden Interviewers, der dadurch die Interviewten zwingt, anders zu sprechen, als sie sonst immer sprechen. Zum Beispiel fragte er Sahra Wagenknecht, ob es mit Lafontaine »große Liebe und so« sei. Antwort: »Ja, so kann man es schon sagen.« Seit 2014 berichtet Jung auch aus der Bundespressekonferenz. Seit 2015 Aufwachen!, ein Podcast, der politische Berichterstattung analysiert, vor allem die der Öffentlich-Rechtlichen. Die Redaktion des Jung-&-Naiv-Teams besteht aus zwei Frauen und zwei Männern.

Weiß ich nicht, kann mir vorstellen, dass die andere politische Formate anschauen.

Jan Böhmermann sagte im Gespräch mit uns, hier spreche nicht die Kunstfigur, sondern die Steuerungsmaschine der Kunstfigur. Und hier interessiert uns jetzt auch Tilos Meinung. Auf welcher politischen Grundlage machen Sie Ihre Sendungen?

Ich habe keine politische Agenda. Ich bin kein Politiker oder Aktivist, der Rezepte zu haben behauptet. Ich weiß nur, wie es nicht mehr laufen sollte. Ich war mit 15 und 16 an der Highschool in den USA, da wurde ich an der Schule politisiert, da meine Mitschüler mich aufforderten, Deutschland zu verteidigen, weil wir beim Irakkrieg nicht mitmachten. Ich war der Einzige, der gegen den Krieg war. Da sagten die: Klar, du bist ja Deutscher. Da habe ich Argumente gesammelt und gleichzeitig gemerkt, wie verloren man ist, wenn man als Einziger eine andere Position vertritt. Ich habe dann aber doch bei der Aktion meiner Schule mitgemacht: »Support the troops.«

Das klingt amerikanisch.

Ich war naiv und fand das okay, nicht den Krieg, sondern die Menschen zu unterstützen. Dann bekam ich eine Pentagon-Medaille für dieses Engagement und das wurde zu Hause im Nordkurier und in der Bild berichtet. Als ich in meine alte Klasse zurückkam, war ich wieder Außenseiter, weil »Support the troops« für die anderen anstößig war.

Was machte das mit Ihnen?

Ich wurde eine Zeit lang ein konservativer Mensch. Ich las nur die Medien, die meine Meinung unterstützten und mir die Argumente gegen die anderen gaben. Sodass ich 2005 auch CDU gewählt habe, was mir heute peinlich ist. Was ich sagen will: Ich weiß, wie leicht man in eine bestimmte politische Einstellung reinrutschen und sich dann da eingraben kann.

Heute sehen viele Merkel anders. Wen finden Sie sonst bei der Suche nach Leuten, die die offene Gesellschaft verteidigen?

Jogi Löw vielleicht noch? Außer Merkel und Löw fällt mir jedenfalls niemand ein, der seit meiner Jugend für Deutschland identitätsstiftend war. Aber ich habe sie ja damals gewählt, weil ich total neoliberal war. Ich kam aus Amerika und dachte, wenn diese Wirtschaftsfreundlichkeit dort klappt, warum nicht bei uns? Ich fand Hartz IV okay, ich dachte, denen muss mal ein bisschen Feuer unterm Arsch gemacht werden. Heute sehe ich es so, dass das einer der großen Fehler der letzten zwanzig Jahre war, wie wir den Sozialstaat umgebaut haben. Die soziale Schieflage ist einer der Gründe für den Aufstieg der AfD.

Haben Sie Angst vor der AfD?

Die autoritären Entwicklungen machen mir bei den Nachbarländern mehr Angst als bei uns. In der Bundesrepublik macht mich traurig, dass unsere etablierten Parteien die Politik der AfD mit anderen Worten betreiben.

Was ist der Beleg dafür?

Im Herbst 2015 klagte die AfD in der Bundespressekonferenz Angela Merkel als Schlepperin an und präsentierte einen Zehnpunkteplan. In den darauffolgenden Monaten habe ich in der Bundespressekonferenz gemerkt, dass sieben oder acht Punkte dieses Plans von der Bundesregierung umgesetzt wurden, nur anders genannt. Im Prinzip hat die AfD die Leitlinien der Bundespolitik in der sogenannten Flüchtlingskrise bereitgestellt. Unsere Regierung hat das angenommen in der Hoffnung, die Leute damit ruhigzustellen. Und genau das Gegenteil ist eingetreten.

Was hat Sie journalistisch geprägt, Herr Jung?

Ich habe fünf, sechs Jahre für den Nordkurier gearbeitet. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Man kann überall hinfahren, die Leute reden mit einem, und dann lesen sie das auch noch, was man schreibt. Ich hatte die Chance, das Volontariat zu überspringen und fester Redakteur zu werden. Aber das war nicht das, was ich machen will.

Was ist mit der Sicherheit einer Festanstellung als Grundlage für Haus, Familie, Rente?

Ich komme vom Land, ich hatte ein Haus, ich war zwanzig Jahre mit meiner Familie zusammen, das war keine Option für mich. Ich wollte kein Haus, keine Familie, keinen Baum pflanzen und ich will das immer noch nicht.

Geld interessiert Sie nicht?

Doch, Geld war früher ganz wichtig, ich komme aus einem eher armen Elternhaus und wollte schnell Geld verdienen, um meinen Eltern nicht auf der Tasche zu liegen.

Sie sind nach Berlin.

Ich habe BWL studiert, weil ich ein Start-up gründen wollte, hab dann aber gemerkt, dass die meisten Start-ups nur Copycats sind.

Also Ideenklau aus den USA.

Dann habe ich Jura angefangen, ich wollte als Staatsanwalt für die Gerechtigkeit eintreten. Die Professoren sagten, ihr könnt den Fall lösen, aber nur so, wie ich es will. Das war nichts für mich. Dann hab ich Radiojournalismus gemacht, Interviews geführt und gemerkt, dass in der Berliner Szene so eine Attitüde herrschte.

Was ist das für eine Attitüde?

Wenn ich sagte, ich habe das nicht verstanden, können Sie das nochmal erklären, dann hat der und die manchmal gesagt: Nein, das ist doch dein Problem, wenn du das nicht verstehst. Ich hab mich furchtbar geärgert über diese Arroganz und habe dann versucht, einen Weg zu finden, wie ich freche, dumme Fragen stellen kann, ohne dass der Gast aufstehen kann und geht. Daraus wurde Jung & Naiv. Anfangs interviewte ich meine Freunde und die habe ich geduzt. In der elften Folge kam dann die erste Politikerin, Doro Bär.

Die heutige CSU-Staatsekretärin für Digitales.

Die ließ sich auch duzen und so fing das an.

Inzwischen nähern Sie sich der vierhundertsten Sendung. Wer war am öftesten dabei?

Von den Politikern Gregor Gysi. Der kam dreimal und das reicht jetzt aber auch. Er wiederholt sich ständig.

Wer war der Lustigste?

Tilo Jung in Berlin Bild: Anja Weber

Kann ich mich nicht erinnern.

Der Jusovorsitzende Kevin Kühnert hat mit dem Hashtag #diesejungenleute kritisiert, dass man ihn und andere Junge nicht ernst nimmt. Ist das auch Ihre Erfahrung?

Die Erfahrung teile ich. Ich habe schnell gemerkt, dass das gravierend ist in dem Zirkel, mit dem ich zu tun habe, dass die uns nicht ernst nehmen. Ich dachte mir: Wenn ihr so auf uns herabschaut, dann nutze ich das aus.

Alt gegen Jung ist der größte soziale Konflikt der nichthaltigen Weltgesellschaft, wird aber selten thematisiert.

In unserem Aufwachen!-Podcast ist das ständig Thema. Wir sind eine alternde Gesellschaft, die Mehrheit der Wähler ist über fünfzig, die Parteien orientieren sich an dieser Mehrheit der Alten, in den Parteien sind auch die Alten am Ruder oder die Parteisoldaten, die nicht alt sind, aber alte Säcke. Hubertus Heil oder Peter Altmaier, die haben das Alte gefrühstückt. Und dann kommt die mediale Ebene dazu, die politischen Inhalte, die es im Fernsehen gibt, Tagesthemen, heute journal, wer guckt denn das?

Diese alten Leute.

Genau. Das heute journal hat ein paar Prozent Marktanteil bei den unter 49-Jährigen. Mehr Junge kennen meinen Kram als das heute journal. Das ist nicht schön, das ist ein Problem. Wir bezahlen das und dann sollte das auch für uns alle sein, wird aber nicht so gemacht. Wer älter ist und alte Erfolge hat, bei dem ist das Risiko geringer – so ist das Denken. Ich habe im Januar einen Piloten gedreht beim ZDF, kein Kabarett, kein heute-show-Kram. Meine Sache, mit Unterhaltung. Die, die das bestellt hatten, waren sehr zufrieden, bestes Ding seit Jahren, sagten die.

Wir ahnen, was kommt.

Drei Monate später wird einem gesagt: Nee. Dann erfährt man, dass das an wem gelegen hat? An den Alten im Sender. Je höher die Ebene geht, desto älter werden sie und die finden das dann gefährlich. Bitter. Ich hatte kurzzeitig Hoffnung, dass man da was ändern könnte.

Warum wollen Sie in das alte Medium Fernsehen?

Weil meine Oma das noch guckt. Und meine Mutter. Die machen nicht jeden Sonntag mein neues Interview an, die schauen Fernsehen.

Sie sind in der DDR geboren. Wie war das?

Ich war vier, als die Mauer fiel. Das Einzige, woran ich mich erinnere: auf den Schultern meines Vaters am Alexanderplatz irgendwann nach der Mauerfall gewesen zu sein. Sonst habe ich keine Erinnerungen an die DDR.

Gut oder schlecht?

Ich finde es schade, ein paar Erinnerungen hätte ich gern, um vergleichen zu können. Viele in meiner Familie sagen: Früher war es besser. Viele wurden langzeitarbeitslos, die Wende ist an ihnen vorbeigerauscht, einmal Job verloren, nie wieder einen neuen gefunden. Mein Vater hat seinen Ende der Neunziger verloren, meine Mutter war Standesbeamtin, musste in die freie Wirtschaft, hat seit neunzehn Jahren keine Gehaltserhöhung. Das war vor neunzehn Jahren noch in Ordnung und schön viel Geld, aber heutzutage ist es viel zu wenig. Ich möchte die Welt in dem Sinne besser machen, dass ich finde, unser Land wird immer asozialer, und das müssen wir ändern.

Wie sieht Ihre Familie Ihre Arbeit?

Mein Opa lehnt ab, was ich mache. Er ist Ende achtzig und er guckt das nicht. Selbst dann nicht, wenn ich sage, ich habe hier den SPD-Kanzlerkandidaten. Dabei ist er Sozi. Aber er sagt: Du duzt die Leute, das ist respektlos, das lehne ich ab. Ich laufe gegen Wände in der eigenen Familie, aber das war schon immer bei mir so, vielleicht hat mich das geprägt.

Was haben Sie vor Ihrem Highschool-Jahr an Politik wahrgenommen?

Politisch habe ich zum ersten Mal was mitbekommen, als Kohl abgewählt wurde. Das war was Großes, aber in der eigenen Familie habe ich es nicht gemerkt. Meine Eltern gehen nicht wählen, weil sie in der DDR bei den sogenannten Wahlen dazu gezwungen wurden.

Wie das?

Da kamen fünf vor sechs am Wahlsonntag immer die Polizisten und sagten zu meinem Vater: Komm mal mit, du warst noch nicht wählen, und dann haben sie ihn die Wahlkabine gefahren. Das waren seine Kumpels, aber trotzdem haben sie ihn abgeholt. Und seit sie frei entscheiden können, gehen sie nicht wählen. Die reiben sich die Augen, wie ich dazu kommen konnte, was ich heute mache. Ich wurde nicht am Abendbrottisch politisiert, wie es meine Gäste oft erzählen. Kann sein, dass ich froh bin, dass das bei mir nicht so war. Wir haben über andere Dinge geredet und wenn wir über Politik geredet hätten, hätten wir uns bestimmt gestritten.

Auch wenn Sie kein Politiker sind, welche zentralen politischen Punkte sind Ihnen wichtig?

Ich nehme das Grundgesetz ernst. Die Menschenwürde ist unantastbar, Eigentum verpflichtet, nie wieder Krieg. Wenn jetzt alle sagen, Deutschland muss sich außenpolitisch mehr engagieren, meinen sie damit: militärisch. Ich fände es gut, wenn die deutsche Verantwortung hieße, dass wir uns jetzt erst recht friedlich, diplomatisch für Frieden engagieren. Das würde jeder verstehen. Eine andere Vision: auf 0,002 Prozent unserer Wirtschaftskraft verzichten, um die deutschen Waffenexporte ganz einzustellen. Ich finde zudem die Idee von Ulrike Guérot interessant, die Nationalstaaten in Europa aufzuheben. Ich glaube auch, dass wir die EU nur so retten können. Es ist gar nicht so einfach, den Deutschen klarzumachen, dass es uns so gut geht, weil es den anderen so schlecht geht.

Was stört Sie sonst noch?

Die öffentlich-rechtlichen Medien orientieren sich bundespolitisch zu sehr an der Regierung und entsprechend machen sie Programm. Warum wird in Nachrichten immer über die Themen der Regierung berichtet, aber viel zu selten über die Anliegen der Opposition? Ich lehne auch den Einfluss der Parteien in den Rundfunkräten ab.

Es fiel bei den Jamaika-Verhandlungen auf, dass Journalisten das unfassbar geil fanden. Normale Leute eher nicht.

Exakt. Die standen vor parlamentarischen Räumen und warteten, dass die Kanzlerin mit Lindner auf den Balkon tritt, so wie früher Könige raus kamen. Ich hab schon Mitleid mit den Kollegen. Deren Redaktionen haben die fatale Dynamik verinnerlicht, dass es wichtig ist, dass umgehend und permanent gesendet wird, wenn Politiker tagelang sagen, dass nichts entschieden ist. Stets will man der Erste sein. Nur warum? Wenn wir von Krise in Deutschland und Europa reden wollen, dann betrifft sie auf jeden Fall auch den politischen Journalismus. Da möchte ich was tun.

Sie stören damit den etablierten Politikjournalismus.

Und wie. Das musste ich auch erstmal kapieren. Erst dachte ich, das sei nur Neid, weil viele Kollegen zwanzig Jahre darauf hinarbeiten mussten, endlich Hauptstadtkorrespondent zu werden, und dann kommt ein junger Typ und macht das auch. Aber das steckt viel tiefer drin.

Was ist das Störende?

Erstens stört es ihren Arbeitsablauf. Ich bringe in die Bundespressekonferenz nicht-tagesaktuelle Sachen ein. Dann dauert das länger, und sie schaffen ihren Abgabetermin nicht. Das Zweite ist die Würde der Institution. Es wird so getan, als ob ich sie hijacke und daraus eine One-Man-Show mache. Ich stelle Fragen, man sieht mich nicht – wo ist da die One-Man-Show?

Was genau ist die Idee?

Ich spiele zwar nicht den Charakter, den ich in den Videointerviews spiele, aber ich spiele den, der aneckt. Ich weiß mittlerweile, wie die Regierungssprecher in ihren Sprachregelungen feststecken, und ich frage – nicht damit ich sie aufs Glatteis führe, sondern damit ich bestimmte Sachen herausbekomme. Etwa bei militaristischen Einsätzen. Die Kollegen fragen in der Regel: Okay, wann gehts los, wie viel schicken wir? Ich frage: Warum gehen wir, wie kommt man hin, was ist das Ziel, was ist das Exitszenario? Es ist ein Running Gag, dass weder Regierungssprecher Seibert noch Verteidigungsministerin von der Leyen eine Antwort auf diese Fragen haben.

Sie wissen nicht, warum sie mitmachen?

Nein, die machen immer nur mit. Bündnisstreue und so.

Hinter dem Ärger der Kollegen steht offensichtlich ein zentraler Konflikt: Was ist wirklich wichtig? Den Kollegen ist wichtig, dass der tägliche Betrieb weiterläuft.

Der Begriff Betrieb ist nicht schlecht. Wenn die Regierungssprecher sich verabschieden, sagen sie gern: Danke für die gute Zusammenarbeit.

Sehen Sie anders.

Das lehne ich ab. Das ist keine Zusammenarbeit. Selbst wenn da eine eher linke Regierung sitzen würde, würde ich die genauso kritisieren. Diesem staatstragenden Journalismus begegne ich oft. Ich bin nicht die Fliege an der Wand, manchmal erzeuge ich Eilnachrichten durch meine Fragen, obwohl das nicht mein Ziel ist, also bin ich auch Akteur, aber ich will nicht einer vom Hof sein.

Hofnarr vielleicht?

Ich würde mich nicht als Hofnarr bezeichnen, ich meine es ernst.

Der Hofnarr hat etwas ausgesprochen, was sonst keiner aussprechen durfte.

Okay, damit kann ich leben.

Für Leute, die Ihre Interviews nicht kennen, aber Satiriker, die mit Puschelmikros rumlaufen und Politiker provozieren: Was ist der Unterschied?

Die kommen mit einer fertigen Frage und überraschen den Politiker. Ich sage den Politikern vorher, dass ich auch provokante Fragen stelle, aber es ernst meine.

Es wird gern behauptet, dass Satireformate politische Information und Aufklärung übernehmen. Der heute-show-Anchor Oliver Welke gilt manchen als politischer Aufklärer.

Bei Oliver Welke würde ich mir wünschen, dass er sich über seine Rolle Gedanken macht. Auf der einen Seite kritisiert er satirisch Politik, auf der anderen präsentiert er stolz ...

... als ZDF-Fußballmoderator ...

... die FIFA-WM einer Organisation, die durch und durch korrupt ist und über die er sich in seiner eigenen Sendung vermutlich lustig macht. Da verstehe ich Olli Welke nicht, wie er das vereinbaren kann. Oder Jörg Thadeusz, der Brummbär Berlins, der sich für eine journalistische Koryphäe hält, und dann kommt man bei einer CDU-Wahlparty vorbei und sieht, dass er die moderiert. Darf er das, fragte ich bei Twitter. Er bekam dann eine öffentliche Missbilligung vom RBB.

Wie sehen Sie es denn nun, wenn andere junge Leute Satire als Politikinformation verstehen?

Ich habe früher Colbert und Stewart geguckt, weil ich mich schon für Politik interessiert habe und nochmal auf einer anderen Ebene drüber lachen wollte. Ich verstehe Leute nicht, die nur über vermittelte Satire Wahlentscheidungen treffen, das halte ich für gefährlich. Die heute show scheint mir sowieso eher unpolitisch, da sind die Fragen eher, wie dick einer ist oder wie sie sich wieder blamiert hat. Böhmermann ist auch eher unpolitisch, politisch ist am ehesten Die Anstalt.

Aus der Shell Jugendstudie wissen wir, dass das Politikinteresse der Jungen zugenommen hat, sie sind nur nicht mehr interessiert an Parteipolitik. Was treibt sie aus Ihrer Sicht um?

Sie erwarten einen großen Wurf, sie erwarten sich Visionen, die meisten kotzt die Visionslosigkeit unserer Gesellschaft an und speziell unserer Politiker. Und das teile ich mit ihnen. Sie sehen, was ihre Freunde in aller Welt interessiert, in den sozialen Medien, dass die in Frankreich, Spanien, Griechenland ähnliche Probleme haben, obwohl es uns noch verhältnismäßig besser geht als den allermeisten im Westen, sie sehen, was der Kapitalismus mit unserer Gesellschaft anstellt, sie sehen, was die Rechten wollen.

Was?

Die CSU- und AfD-Logik: Gegen Ausländer, Ordnung, Arbeitgeberseite stärken, damit durch Wachstum noch mehr entsteht. Die große Nachkriegserzählung, was Deutschland ist und sein soll, was wir in der Schule gelernt haben über unser Land, dass wir nie mehr Kriege führen wollen, eine soziale Marktwirtschaft sind, das stimmt einfach nicht mehr. Die einen wollen hören, wie der Weg zurück führt, und die anderen wissen, dass das nicht geht und dass wir einen neuen Weg nach vorne finden müssen.

Sie stehen für den einen Teil, Typus liberaler Weltbürger mit Highschool-Jahr.

Aber uns alle eint, ohne dass ich uns als große Gruppe sehe, dass wir angekotzt sind vom Stillstand und von der Glorifizierung des Stillstands in Deutschland. Obwohl alle immer so tun, als ob es nach vorne geht. Wirtschaftswachstum heißt ja nicht, dass es gesellschaftlich nach vorne geht. Und mal eben nebenbei Ehe für alle zu beschließen, ist zwar schön und ich bin auch froh für viele meiner Freunde, aber wenn man dann merkt, dass es wieder nur ein Move der Kanzlerin ist, um andere Dinge kleinzuhalten, dann ist das bitter.

Sie selbst haben ein gutes Leben.

Dank dem Einfluss meiner Eltern und Mentoren hab ich mir ein gutes Leben erarbeitet.

Privilegiert?

Ich bin weiß, männlich und mach meine eigene politische Sendung. Ja, klar.

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