Tierschutz in Nord- und Ostsee: Im toten Winkel

Seit acht Jahren gibt es Meerschutzgebiete in Nord- und Ostsee. EU und Umweltverbände kritisieren: Bisher ist nichts passiert. Die Lage ist vertrackt.

Süß, aber ungeschützt: Kegelrobben am Strand von Helgoland. Bild: dpa

STRALSUND/BERLIN dpa | Kein Zaun und kein Hinweisschild weisen im Meer auf besonders schützenswerte Gebiete hin, und doch gibt es sie in der deutschen Nord- und Ostsee. An Riffen und Sandbänken der Deutschen Bucht in der Nordsee finden seltene Fischarten, Robben und Schweinswale nicht nur Rückzugsareale, sondern auch ausreichend Nahrung. In der Pommerschen Bucht östlich von Rügen und Usedom überwintern Seevögel, und Schweinswale sammeln sich, wenn der Frost die Tiere von den Küsten Finnlands und Schwedens in die wärmere Ostsee vor Deutschland treibt.

Im Jahr 2004 meldete Deutschland als einer der ersten europäischen Staaten zehn dieser Areale als Meeresschutzgebiete - vier in der Nord- und sechs in der Ostsee - an die EU, um Sandbänke, Riffe, Seevögel und Schweinswale zu bewahren. Im Jahr 2007 wurden diese Schutzgebiete - immerhin rund 10.400 Quadratkilometer, das entspricht der halben Fläche von Hessen - auch anerkannt.

Doch Konsequenzen hat das bislang nicht: Noch immer fehlen Verordnungen, die den Schutzstatus praktisch unterfüttern. In den Gebieten dürfen also weiter Grundschleppnetze über den Boden gezogen werden, auf dem Korallen oder Blättermoostierchen siedeln.

„Die Schutzgebietsverordnungen verwaisen seit Jahren im toten Winkel der Zuständigkeiten“ moniert die Meeresschutzreferentin des BUND, Nadja Ziebarth. Umweltverbänden riss nun der Geduldsfaden. Anfang des Jahres reichten sie Klage vor dem Kölner Verwaltungsgericht ein. Damit wollen sie Deutschland dazu zwingen, endlich Rechtsverordnungen für die Meeresschutzgebiete in der deutschen AWZ (Ausschließlichen Wirtschaftszone) umzusetzen.

Druck von vielen Seiten, vertrackte Lage

Auch die EU macht Druck: Ende Februar leitete die EU-Kommission gegen Deutschland und andere Staaten ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Sie kritisiert Defizite bei der rechtlichen Sicherung der Meeres-Naturschutzgebiete, wie das Bundesumweltministerium einräumte. Bund und Küstenländer arbeiten demnach an der Behebung dieser Mängel.

Den Umweltverbänden geht es zunächst um Beschränkungen für die Fischerei. Vor allem die bodenberührende Fischerei, bei der Schleppnetze über den Meeresgrund gezogen werden, zerstöre Lebensräume wie Riffe und Sandbänke, die für die Nahrungskette bedeutsam seien, sagt BUND-Expertin Ziebarth. Kritisch sehen die Umweltverbände auch die Stellnetze der traditionellen Küstenfischerei, in denen sich Schweinswale oder Seevögel verfangen könnten.

Die Lage ist vertrackt: Zuständig für die Ausweisung der Schutzgebiete ist das Bundesamt für Natur, eine Fachbehörde des Umweltministeriums. Gegen sie richtet sich die Klage, doch eigentlich zielt die Kritik auf das Agrarministerium - zuständig für die Fischereiwirtschaft, welche die größten Konsequenzen befürchtet.

Die eh schon von Fangbeschränkungen betroffenen Ostseefischer bangen um wichtige Fischereigründe, die in den Schutzgebieten Adlergrund und Oderbank liegen. „Ein Fangverbot wäre für die betroffenen Fischereibetriebe existenzbedrohend“, sagt der Vize-Verbandschef der Kutter- und Küstenfischer in Mecklenburg-Vorpommern, Michael Schütt. Die Zahl der Küstenfischer sinkt dort seit Jahren rapide.

Fischmanagement geplant

Laut Koalitionsvertrag strebt die Bundesregierung für die Schutzgebiete ein Fischmanagement an. „Die Diskussionen sind nicht immer einfach, da Lösungen gefunden werden müssen, die sowohl die Schutzziele als auch die wirtschaftliche Situation insbesondere der kleinen Fischereibetriebe ausgewogen berücksichtigen“, sagt ein Sprecher des Bundesumweltministeriums zu den Abstimmungen mit dem Agrarressort.

Für die Nordsee habe man inzwischen eine grundsätzliche Einigung erzielt. Die Schutzgebietsverordnungen könnten Ende des Jahres verabschiedet werden. „Für die Ostsee gestalten sich die Verhandlungen schwieriger.“ In einem Schreiben an die EU habe man die Bemühungen Deutschlands auch mit Hilfe eines Zeitplans verdeutlicht.

Andere Länder zeigen, dass es geht: Irland habe inzwischen vier Kaltwasserkorallengebiete für die Fischerei mit Bodenschleppnetzen geschlossen, sagt Stephan Lutter vom WWF Deutschland. Spanien schloss ein Gebiet im Atlantik vor Asturien für diese Fischereiart.

Sollte die Klage in Köln Erfolg haben, hätte sie nach Angaben der Verbände Präzedenzcharakter auch für die küstennahen Meeresschutzgebiete. Für sie ist nicht der Bund zuständig, sondern die Küsten-Bundesländer.

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