Theologische Freiheit für fundamentalistischen Pastor: Viele Worte, kaum Konsequenzen

Die Bremische Evangelische Kirche wird kein Disziplinarverfahren gegen Martini-Pastor Olaf Latzel einleiten.

Edda Bosse und Renke Brahms (BEK) wollen theologische statt juristische Auseinandersetzungen. Bild: Simone Schnase

BREMEN taz | Die Bremische Evangelische Kirche (BEK) wird kein Disziplinarverfahren gegen den St.-Martini-Pastor Olaf Latzel einleiten. Das hat der Kirchenausschuss einstimmig beschlossen. Er halte, heißt es in seiner Begründung, ein solches Verfahren für „keinen geeigneten“ und auch für keinen „juristisch möglichen Weg“. Gleichwohl distanziert er sich deutlich von Latzel.

Der hatte in einer Predigt am 18. Januar das islamische Zuckerfest als „Blödsinn“, die katholische Lehre als „großen Mist“ und deren Reliquien als „Dreck“ bezeichnet. Gott sage zu all dem: „Umhauen, verbrennen, hacken, Schnitte ziehen!“ Der Islam, sagt er überdies, gehöre nicht zu Deutschland.

Latzels Predigt, heißt es in der Erklärung des Kirchenausschusses, ließen „nicht den Auftrag erkennen, ’die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk‘ (6. These der Barmer Theologischen Erklärung). Vielmehr ist sie von einer gewaltsamen und polarisierenden Sprache geprägt“. Angesichts der Anschläge von Paris sowie der Pegida-Demonstrationen lasse „der Prediger die ihm gebotene Verantwortung für sein Reden vermissen“.

Trotzdem: „Unterschiedliche Auffassungen in der Bremischen Evangelischen Kirche sind im theologischen Gespräch zu diskutieren“ – nicht in Form von Disziplinarmaßnahmen. Die wurden auch aus den eigenen Reihen gefordert: „Viele Mitarbeiter haben gesagt: Jetzt reicht’s“, sagte der leitende BEK-Theologe Renke Brahms, als er gemeinsam mit Kirchenausschuss-Präsidentin Edda Bosse die Entscheidung präsentierte. Die bestätigte, dass es „unter Mitarbeitenden und Gemeinden eine gewisse Enttäuschung und Frustration gibt, da deren Arbeit durch Herrn Latzel in weiten Teilen beschädigt wird“.

Der Gesamtausschuss der Mitarbeitervertretungen der BEK sowie deren Fachausschuss der arbeitsrechtlichen Kommission haben Ende Januar in einer gemeinsamen Resolution mit dem deutlichen Titel „Resolution für eine Vielfalt der Religionen und gegen Hassprediger“ Brahms und Bosse aufgefordert, disziplinarische Schritte einzuleiten. „Neben den Mitarbeitervertretern haben in einigen Einrichtungen sogar alle Mitarbeiter einzeln unterschrieben“, berichtet Christian Gloede vom Fachausschuss. Der ablehnende Rücklauf der insgesamt 1.500 BEK-Angestellten auf die Resolution habe sich „im einstelligen Bereich“ bewegt.

Obwohl Gloede nicht glücklich über die Entscheidung des Kirchenausschusses ist, glaubt er, dass es in der BEK Veränderungen geben wird: „Wir haben ganz sicher den Prozess angeregt, über ein paar wichtige Fragen in der Verfassung der BEK zu diskutieren.“ Damit meint er die dort traditionell sehr hoch gehaltene theologische Freiheit und die Gemeindeautonomie: „Die Frage muss gestellt werden, wie man beides in der heutigen Zeit definieren sollte – und die Debatte sollte vor dem Hintergrund der Verfassung stattfinden, denn ich glaube schon, dass sie da einen gewissen Spielraum bietet. Sollte das nicht so sein, muss sie gegebenenfalls geändert werden“, sagt Gloede.

Das steht für den Ausschuss freilich nicht zur Debatte – aber „Spielraum“ sieht Johann Daniel Noltenius, Leiter der Kirchenkanzlei der BEK, auch nicht: „Die Grenze ist das Strafrecht – und hier prüft zurzeit die Staatsanwaltschaft.“ Gegen Latzel, dem neben seiner Hasspredigt vorgeworfen wird, in einer Kita den Kindern eingebläut zu haben, Abtreibung sei Mord und dem außerdem die Aussage zur Last gelegt wird, Abtreibung sei schlimmer als die Ermordung der Juden in der NS-Zeit, läuft eine staatsanwaltschaftliche Vorprüfung wegen Volksverhetzung und Beleidigung anderer Religionsgemeinschaften. Strafrechtlich relevante Vorwürfe bestreitet Latzel allerdings – übrig bleiben werden höchstwahrscheinlich Aussagen, die unter die Religionsfreiheit fallen.

Aus der BEK-Verfassung, so der Ausschuss, wachse „eine große theologische Verantwortung der Gemeinden“, die bestärkt werden sollten, „Fragen des christlichen Glaubens in einer multireligiösen Welt, des evangelischen Schriftverständnisses der Bibel und der evangelischen Predigt intensiv zu diskutieren.“

„Die öffentliche Diskussion um Herrn Latzel hat uns angeregt zu sehen, wie hoch Wort und Wortung stehen“, sagte Edda Bosse. Und um zu erkennen, so Brahms, an welchen Stellen „die breite theologische Diskussion geführt werden soll“, sei nun eine Reihe von Veranstaltungen geplant. Die Diskussion angestoßen hat die BEK bereits: In der aktuellen Ausgabe ihres Magazins „BEK Forum“ beziehen zehn TheologieprofessorInnen aus ganz Deutschland Stellung zu Latzels Predigt – und verurteilen sie einhellig.

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