Theaterstück über Flüchtlinge: Illegale Helfer

Sie wollen alles andere als Helden sein. Aber sie wollen auch Flüchtlingen helfen und begeben sich dafür selbst in Gefahr. Auszug aus einem Theaterstück.

Zivilcourage ist heute notwendiger denn zuvor – Migrant an der auf dem Pfahl eines Grenzzauns in Spanien. Bild: ap

Es sind politisch engagierte Menschen, die die Grenzen, die das Gesetz festlegt, nicht akzeptieren, die damit auch nicht die Marginalisierung, Kriminalisierung und eben Illegalisierung von Menschen ohne legalen Status akzeptieren. Es sind Leute, deren politischer Protest im Helfen besteht. Die damit eine intakte Zivilgesellschaft repräsentieren, die Verantwortung übernimmt auch oder besonders dann, wenn der eigene Staat und die europäischen Staaten versagen. Sie tun es auch mit Blick auf die nationalsozialistische Vergangenheit. Dass sie sich selbst in Gefahr begeben oder straffällig werden, ihren Beamtenstatus riskieren, nehmen sie in Kauf, sie legen es aber nicht darauf an. Und sie verlieren keine Zeit damit, darüber nachzudenken, was man bloß tun kann – sie tun was. Und sie retten dabei Leben. Ich habe vier Jahre lang – in Zusammenarbeit mit Lars Studer – in vier europäischen Ländern recherchiert und mit den Menschen gesprochen, die in der verborgenen Welt des menschlichen Handels zu Hause sind. Sie setzen viel Zeit, Energie und Fantasie ein, ein halbes Leben, ein Doppelleben, das sie führen.

1. Szene

Genner, Mitte 60: Zivilcourage ist heute notwendiger denn zuvor, denn es kann ja gelingen, Abschiebungen zu verhindern! Wenn ein Asylwerber Asyl eingebracht hat, wenn er von der Deportation bedroht ist, untertaucht und 18 Monate nicht auftaucht, dann tritt für ihn die Dublin-Verordnung außer Kraft. Aber 18 Monate sind eine lange Zeit. Wo soll er hin in dieser Zeit?

Jedes Kind kann es nach oben schaffen. Wenn es sich bildet. Das pflanzte die SPD einst in die Köpfe der Menschen. Heute studieren in Deutschland so viele wie nie zuvor. Doch die Abbrecher-Quote ist hoch. Ob und was da falsch läuft, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 25./26. April 2015. Linke Grüne verstehen ihre Partei nicht mehr: Die huscht so beflissen in die Mitte, dass sich selbst gestandene CDU-Profis wundern. Und: Die Pferdestaffel der Münchner Polizei. Eine Einsatzbegleitung. Außerdem: Hymnen auf die Komplizenschaft der Liebe – das neue Album von Tocotronic. Plus: Hausbesuch im Magdeburger Hundertwasserhaus. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Lukas, um die 40: Ich hatte mit meinen Kindern eine Zeit auf der Alp bei meinem Freund Jonas verbracht. Er bewirtschaftet einen Wald und mehrere Wiesen in den südlichsten Ausläufern der Schweizer Alpen im Tessin, direkt an der Grenze zu Italien. Ein groß gewachsener, kräftiger Mann von vielleicht Mitte 20 kam den Saumpfad herunter, gestützt auf zwei Stöcke. Er sprach uns freudig an, in einem fast unverständlichen Englisch, strahlte und fragte er, ob er hier in der Schweiz sei. Wir bejahten. Der Mann war dankbar, begeistert eigentlich, die Schweiz! Der Traum geht in Erfüllung, und er fragte weiter, ob, wenn er diesem Weg ins Tal folgen würde, er zu einem Dorf käme. Ja, sagten wir. Ich spürte, wie es mich freute, ihm auf diese Weise helfen zu können. Er überbot sich mit Segnungen. God bless you, sagte er, ich glaube, er nahm meine Hand, ich glaube auch, er berührte meinen Kopf.

Genner: Die Zivilbevölkerung ist verpflichtet, Schutzräume zur Verfügung zu stellen, wo Schutzbedürftige und Schutzwürdige, Traumatisierte, Gefolterte untertauchen können, so lange, bis die 18 Monate um sind. Bis dahin müssen die Menschen irgendwo bleiben, und es gibt ja auch Menschen guten Willens, Privatpersonen, Klöster, Kirchen, Bauern, es gibt ja viele!

Lukas: Ja, er hat sich gefreut, gestrahlt. Er hat uns umarmt. Er hat immer wieder Schweiz gesagt. Das ist der Weg ins Dorf, haben wir gesagt.

Genner: Vor jedem ehrlichen Schlepper, der saubere Arbeit macht, der seine Kunden sicher aus dem Land des Elends und Hungers, des Terrors und der Verfolgung herausführt, der sie sicher hereinbringt, den Grenzkontrollen zum Trotz, habe ich Achtung.

Lukas: Ja. Wir schickten ihn womöglich direkt ins Verderben. Denn im Dorf unten wachen die Nachbarn über die Straße, in großer Angst vor den Flüchtlingen. Früher war dieser Weg die Hauptroute der Schmuggler und Flüchtlinge. Eine solche Angst hatten die Leute im Dorf, dass sie die unteren Fenster vergittert und sich Schrotflinten angeschafft haben. Als er weg war, fuhr es mir wie ein Blitz durch die Knochen. Wir hätten ihn dabehalten sollen, auf der Alp! Ihn schützen. Wir hätten ihm drei Tage schenken sollen, ihn in Decken wickeln und ihm eine Suppe machen können. Mit ihm diese unglaublich genauen Schweizer Karten studieren und mit meiner Tante Ulrike telefonieren, die seit über 20 Jahren Flüchtlingen hilft. Wir hätten ihm einfach helfen können. War das nicht unterlassene Hilfeleistung?

Gesetzgeber: Richtlinie zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt. 1) Eines der Ziele der Europäischen Union ist der schrittweise Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts; dies bedeutet u. a., dass die illegale Einwanderung bekämpft werden muss. Der Rat der EU hat folgende Richtlinie erlassen: Artikel 1: Allgemeiner Tatbestand: Jeder Mitgliedstaat legt angemessene Sanktionen für diejenigen fest, die: a) einer Person, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaats ist, vorsätzlich dabei helfen, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Verletzung der Rechtsvorschriften des betreffenden Staates über die Einreise oder die Durchreise von Ausländern einzureisen oder durch dessen Hoheitsgebiet zu reisen.

Genner: Menschen verschwinden in die Schubhaft. Und wir wissen nichts. Wir erfahren es nur, wenn ein Mensch, ein Freund, ein Bruder, ein Vater, ein Onkel zu uns kommt und sagt: Mein Bruder wurde abgeholt.

Genner: Wir gehen dann ins Gefängnis, wir lassen uns eine Vollmacht erteilen und vertreten sie dann. Wir haben auch schon wieder welche zurückgebracht, die mitten im Abschiebevollzug waren.

Lukas: Genner, was für ein Mensch bist du eigentlich?

Genner: Ich berate und vertrete Asylwerber im Asylverfahren. Ich schreibe für sie Berufungen. Begleite sie zu den Einvernahmen. Ich bringe ihre Fälle an die Öffentlichkeit. Ich decke die Missstände auf.

Lukas: Ja, aber abgesehen davon: Warum machst du das?

Genner: Ich bin seit meinem 18. Lebensjahr politisch tätig.

Lukas: Aber warum machst du das?

Genner: Ich war in der 68er-Bewegung, ich war bei der Jugendorganisation Spartakus, die den Kampf gegen die Heime und Erziehungsanstalten geführt hat.

Lukas: Und persönlich? Oder privat?

Genner: Die Arbeit, die ich jetzt mache, ist der wichtigste Teil meines politischen Lebensweges. Ich komme aus einer Familie, die in der Nazizeit politisch und auch rassisch verfolgt wurde, das hat mich geprägt. Ist das ein Anlass, oder ein Funke, den du suchst?

Lukas: Oder leidest du am Helfersyndrom?

Genner: Ich freue mich über jeden Flüchtling, der durch mich Asyl erhalten hat. Ich freue mich auch über die wenigen Schweine, die wir aus dem Apparat herausschießen konnten. Sind viel zu wenige, aber manche sind es doch.

2. Szene

Ulrike, 84: Ich muss vielleicht der Reihe nach anfangen: Der Allererste kam aus Bangladesch, Mamun, ein noch nicht volljähriger, knapp 16-jähriger junger Mann, der zweite junge Mann, Tarek, kam aus Afghanistan, der hatte ein abgeschlossenes Studium, dann kam der Dritte, das war ein Eritreer aus einer Volksgruppe, die verfolgt wurde, ein großer Sportler mit zum Teil hohen Gewinnen, früher, der Dehab. Sie waren alle drei allein gereist. Dann kam über den Dehab sein Freund Salem hinzu. Als fünfte Person kam die Lebensgefährtin vom Afghanen hinzu, die Malika, das war so der Anfang.

Lukas: Wie kamt ihr darauf, das zu tun?

Ulrike: Man kann sagen, sie haben uns einfach gefallen, ich fand sie sympathisch, ein bisschen verloren auch, der kleine Mamun, der Junge, das war ja fast noch ein Kind.

Lukas: Eigentlich ein sehr einfacher Einstieg in eine Geschichte.

Ulrike: Ja, und es sind alles große Geschichten geworden und sind’s immer noch. Da ging’s um die harten Kämpfe der Aufenthaltsbewilligungen, wir haben Anwälte eingesetzt oder grad je nachdem kirchliche Stellen gesucht. Wir kamen so richtig hinter die Kulissen dieser Asylpolitik, wie zufällig da vieles ist und wie machtlos man ist. Das war schlimm, manchmal schlimm. Also der Mamun, der Bangladeschi, der hatte das zehnte Schuljahr gemacht, davor noch ein Vorbereitungsjahr aufs zehnte Schuljahr, das zehnte Schuljahr, dann die Aufnahmeprüfung an die Berufsschule als Schreiner, und als er nach dem ersten Jahr so richtig integriert und drin war, kam der Negativbescheid. Da ist er untergetaucht. Jetzt ist er in guten Händen, jetzt ist er sicher und gut, aber davon erzähl ich besser nicht zu viel.

Lukas: Ihr habt wegen der Gesetze beschlossen, etwas zu tun?

Ulrike: Das mit dem Helfen ist immer viel komplizierter. Es ist mehr das Selbstverständliche, dass wenn man in die Situation kommt und sieht, hier könnte ich, wenn ich wollte, etwas tun, und dann tust du’s, eher so.

Lukas: Du bist Lehrerin, dein Freund verbeamtet, war das nicht gefährlich?

Ulrike: Ungewollt wurde es oft gefährlich, es geht nicht anders, es gibt Situationen, wo wir aufgrund der Menschenrechte mit der Wahrheit locker umgehen mussten. Ja. Es geht zum Beispiel darum, und das ist so eine häufige Frage, woher du kommst, und du sagst, ich kam aus Italien in die Schweiz, dann wirst du nach Italien ausgeschafft, das ist das erste Land, wo du ankommst, da wirst du wieder hingeschickt. Also darfst du nicht sagen, ich kam aus Italien, sondern „aus irgendeinem Land, ich weiß nicht genau, in Europa“. Mein Mann und ich waren uns immer einig, wo und wie wir helfen wollen, und aus diesen Beziehungen ist so eine Art Adoptivfamilie geworden für uns. Und ist’s heute noch. So gesehen ist es eine Entwicklung, sind es Beziehungen, die gehen ja auch nicht irgendwann planbar zu Ende, die gehen schon manchmal zu Ende, aber nicht unbedingt geplant.

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