Theater im Knast: Jeden Morgen Filmriss

Premiere in der JVA Oslebshausen: Die jungen Schauspieler zeigen ein Miteinander, das ihr Regisseur bei Profis draußen oft vermisst.

Künstler im Knast: Regisseur Felix Reisel beim Proben Foto: Claudia Hoppens/OpusEinhundert

BREMEN taz | Ohne Erinnerung an die vergangene Nacht aufzuwachen, ist nie angenehm. Passiert es aber in einer Gefängniszelle, drängt die Frage noch nachdrücklicher: „Wie bin ich hierhergekommen?“ Für einige jugendliche Inhaftierte der JVA Oslebshausen war sie der Ausgangspunkt, das Theaterstück „Haus am See“ zu entwickeln. Nach vier Monaten Vorbereitung unter Anleitung der ehemaligen MOKS-Mitarbeiter Alexander Hauer und Felix Reisel vom Kulturprojekt „Opus Einhundert“ steht nun am Freitag die Premiere an. Es ist die einzige Aufführung des Stücks.

In sechs Episoden erzählen die Jugendlichen von ihrem Leben und bedienen sich aus einem reichhaltigen Fundus schlechter Erfahrungen. „Mit ihren eigenen Geschichten sind sie am stärksten“, sagt Hauer. Da fremde Inhalte drüber zu stülpen wäre Quatsch. Einer kam als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Marokko. Von seiner zweijährigen Odyssee erzählt er aber nicht als Fluchtgeschichte, sondern als Abenteuer. Auch die anderen führt die Rekonstruktion der Ereignisse von letzter Nacht an Sehnsuchtsorte, von Sylt bis Monaco, um doch wieder im Knast zu enden – gefangen in einer Zeitschleife.

Es ist bereits das vierte Stück, das Opus Einhundert und der Verein Bremische Straffälligenbetreuung in der JVA auf die Bühne bringen. Mittlerweile ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Anstaltsleitung und Theatermachern entstanden. Saß zur Generalprobe des Debüts noch ein Aufpasser im Publikum, geht es heute ohne Vorzensur. Das Personal wirbt auch unter den Jugendlichen, es mit dem Theater doch wenigstens mal zu versuchen. „Freiwillig mit kleinem Schubs“, sagt Hauer dazu.

Den Jugendlichen aber müssen die beiden Regisseure jedes Mal wieder beweisen, dass sie es ernst meinen mit dem Theater, und dass sie nicht bloß hier sind, um sich „Kultur macht stark“-Fördergelder des Bundesfamilienministeriums unter den Nagel zu reißen. Es hat geklappt: Sieben von zehn Inhaftierten sind geblieben. Es ist die bisher größte Besetzung des Projekts.

Zum Debüt saß noch ein Aufpasser in der Generalprobe

Als Resozialisierer sieht Hauer sich übrigens nicht. „Das würde mich ehrlich gesagt auch überfordern“, sagt er, und dass er nur wegen der Kunst hier sei. Aber natürlich begreifen die Jugendlichen das Theater nicht nur als Chance, sich auszuprobieren, sondern sehen die Bühne auch als Sprachrohr, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Dabei legen sie laut Hauer ganz eigene Qualitäten an den Tag. Denn während SchauspielerInnen draußen oft eher kreative Selbstumkreiser seien, sei es im Knast „überlebensnotwendig, immer zu wissen, was hinter mir los ist“, so Hauer. Auch hätten die Gefangenen ein bemerkenswertes Gespür dafür, wenn jemand an seine Grenzen komme.

Das passiert schnell im Theater, wo man gezwungen ist, sich zu öffnen. Jede Schultheatergruppe verpflichtet sich, auf dem Pausenhof Stillschweigen zu bewahren über die Blamagen der anderen. Auf dem Knastflur, wo man Härte zeigen muss, gilt das noch mehr. Doch sich an einen Kodex zu halten, „da sind sie ja spezialisiert“, sagt Hauer.

Wofür die Schauspieler einsitzen, werden sie im Projekt nicht gefragt. Man konzentriere sich ganz auf die Arbeit, sagt Hauer. Ganz frei vom Knastalltag ist die aber nicht. „Vor allem das Essen scheint furchtbar zu sein“, sagt Hauer. Die Regisseure bringen darum Obst mit zu den Proben.

Angst haben die Theatermacher heute nicht mehr, wenn sie mit den Jugendlichen allein sind. Es gibt zwar einen Notruf, doch benutzt wurde der noch nie. Auch beim ersten Mal nicht, als die Aufführung „völlig in die Hose ging“. Damals habe sich eine Clique angemeldet, mit Rädelsführern und Hierarchie. Durchgezogen haben sie es trotzdem. „Es muss auch mal schiefgehen dürfen“, sagt Hauer heute – „so ist eben Kunst.“

Zur Premiere ist neben Verwandtschaft und VollzugsbeamtInnen auch die Öffentlichkeit eingeladen. Und weil auch das zum Theater gehört, gibt es hinterher eine kleine Premierenfeier mit Pizza, Döner und Cola. Für das Ensemble folgt dann eine ausführliche Nachbereitung. Denn wie Hauer weiß, ist es – zurück in der Zelle – nur allzu leicht, „in ein tiefes Loch zu fallen“.

Aufführung: 20. November, Treffpunkt um 17.45 Uhr an der JVA-Pforte. Anmeldung zwingend zum 18.11. unter: ☎ 0421 / 69 69 77 36. Wegen der Sicherheitsbestimmungen müssen dabei der vollständige Name, Adresse und Geburtstdatum angegeben werden.

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