Theater erzählt Fluchtgeschichten: Eifersucht auf ein anderes Leben

Mit einem Stück von Arthur Miller und Geschichten von Geflüchteten baut das Mannheimer Nationaltheater einen Abend zum Thema Migration.

Schauspieler auf der Bühne

Szene aus Millers „Ein Blick von der Brücke“ im Nationaltheater Mannheim. Foto: Hans Jörg Michel

„Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an und der Arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ Mit diesem Brecht-Zitat fasste Migrationsforscher Klaus J. Bade im Eröffnungsvortrag des Doppelabends „Ein Blick von der Brücke/Mannheim Arrival“ am Nationaltheater Mannheim zusammen, warum die „Flüchtlingskrise“ vielmehr „Weltkrise“ ist, die Fluchtbewegungen hervorruft.

Brecht wird an diesem Abend, der aus dem Flüchtlingsprojekt des Mannheimer Nationaltheaters in Zusammenarbeit mit der Mannheimer Bürgerbühne hervorgegangen ist, nicht gespielt. Dafür erst Arthur Millers Klassiker „Blick von der Brücke“ von 1955 und anschließend das aktuelle Rechercheprojekt „Mannheim Arrival“ des Journalisten Peter Michalzik in Zusammenarbeit mit Mannheimer Flüchtlingsinitiativen und Flüchtlingen.

Es waren mahnende Einführungsworte, mit denen Bade am Tag der Deutschen Einheit daran erinnerte, dass während der 25-jährigen Einheit an den Grenzen Europas weiterhin gestorben wurde und wird. Spenden heißt nicht Teilen, Willkommensgrüße sind noch keine Willkommenskultur, unterstriich er und lieferte damit einen ungeschönten Ansatz zur kritischen und schmerzhaften Selbstreflexion in Bezug auf ebendiese aktuelle Weltkrise.

Dagegen hängt die Inszenierung von „Ein Blick von der Brücke“ durch Burckhardt C. Kominski, Intendant des Mannheimer Nationaltheaters, wie eine trübe Erinnerung aus anderen Zeiten in der Mitte des Abends wie das kleine abgenutzte Wohnzimmer im ansonsten massivgrauen Bühnenbild. Im Stück des amerikanischen Dramatikers, der selbst aus einer Einwanderungsfamilie stammte, dreht sich alles um Eifersucht.

Keine Gleichberechtigung

Und zwar nicht die Eifersucht der beiden illegal immigrierten Cousins auf das Vermögen von Cousine Beatrice (Anke Schubert) und ihrem Mann Eddie (Klaus Rodewald) mit Ziehtochter Catherine (Anne-Marie Lux), die die Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen. Grund zum Neid bietet das karge Zuhause kaum, wo ehemals bunte Sechziger-Jahre-Tapeten zerschlissen an den Wänden hängen und zwischen den Familienmitgliedern Spannung herrscht.

Die Schauspieler leihen den Geschichten der Geflüchteten ihre Stimme

Vielmehr ist es die Eifersucht Eddies auf den jungen Rodolpho (Alexey Ekimov), dem Catherine verfällt, oder auf Marco (Jacques Malan), der trotz kontinentaler Entfernung eine glückliche Ehe führt.

Was diese prekäre Wohnzimmersituation zeigt, ist, auf welchen Wegen Verbitterung über das eigene Leben schnell in Fremdenhass umschlagen kann und sich in diesem Konflikt nicht Gleichberechtigte gegenüberstehen, solange es per Gesetz legale und illegale Menschen gibt. So lebt Millers Stück von der steigenden Spannung, die zwischen den einzelnen Protagonisten entsteht, bis das Beziehungspulverfass in Mord und Verrat mündet.

Doch die Spannung fehlt dieser Inszenierung, die den Mord schon in den ersten Minuten geschehen lässt und die Geschichte von hinten aufrollt. Auch schauspielerisches Können und die gefühlvolle musikalische Untermalung durch die von Flüchtlingen gestellte Band können nicht verbergen, dass die einstündige Inszenierung wie ein zu lang geratener historischer Kommentar zum Thema des Abends wirkt.

Den Geflüchteten eine Stimme verleihen

Das Recherche-und-Theaterprojekt „Mannheim Arrival“ setzt dem an Aktualitätsgehalt und formal als performative Lesung etwas entgegen. Der Journalist und Autor Peter Michalzik hat in Mannheimer Flüchtlingsunterkünften Interviews geführt und daraus ein Tableau unterschiedlicher Fluchtschicksale zusammengestellt.

Eine verbindende Konstante der beiden unterschiedlichen Teile sind die Schauspieler. Sie leihen in „Mannheim Arrival“ den Geschichten der Geflüchteten ihre Stimme und lesen meist in deren Beisein deren persönliche Fluchtgeschichte. Das wirkt trotz des Schreckens, den diese unterschiedlichen Erzählungen bergen, sehr harmonisch. Als wäre diese Bühne der Ort, an dem Flucht und Unsicherheit über die Anerkennung als Flüchtling enden.

Wenn alle SchauspielerInnen gemeinsam im Chor die Stimme der Flüchtlinge übernehmen, ist man an Nicolas Stemanns Inszenierung von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ erinnert, die 2013 hier uraufgeführt wurde. Da schmetterten SchauspielerInnen dem mitwirkenden Flüchtlingschor entgegen „Wir können euch nicht helfen, wir müssen euch doch spielen“ und reflektierten die Schwierigkeit des „Für jemanden Sprechen Könnens“.

Solche Brüche fehlen im neuen Doppelabend. Das Zitat Brechts hat man fast vergessen, nachdem der Applaus verebbt ist, als wären die Worte „wären wir nicht reich, wärt ihr nicht arm“ nie gesagt worden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.