Terrorangriff auf Istanbuler Nachtclub: IS reklamiert die Tat für sich

Mindestens 39 Menschen sind ums Leben gekommen. Laut Medienberichten gab es acht Festnahmen. Gegen die türkische Religionsbehörde wurde Anzeige erstattet.

Es ist Nacht, zahlreiche Krankenwagen mit Blaulicht stehen an einer Straße, darüber eine riesige Hängebrücke

Für viele kam jede Hilfe zu spät in der Silvesternacht in Istanbul Foto: ap

ISTANBUL/BERLIN dpa/rtr/afp | Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) erklärt, hinter dem verheerenden Angriff auf eine Silvesterfeier in einem Nachtclub in der türkischen Millionenmetropole Istanbul zu stehen. Ein „Soldat des Kalifats“ sei für die Tat verantwortlich, heißt es in einer am Montag im Internet verbreiteten Erklärung des IS.

Die Echtheit des Bekennerschreibens ließ sich zunächst nicht überprüfen. Bei dem Terrorangriff auf eine Silvesterfeier in dem bekannten Club Reina waren 39 Menschen getötet worden, darunter mindestens 26 Ausländer.

Inzwischen hat die türkische Polizei laut der Nachrichtenagentur Dogan acht Verdächtige festgenommen. Weitere Angaben zu den sich in Polizeigewahrsam befindenden Personen machte die Nachrichtenagentur jedoch zunächst nicht. Laut Dogan setzt die Polizei ihre Fahndung fort, der Attentäter selbst sei offenbar weiter auf der Flucht.

Anzeige gegen Religionsbehörde

Nach dem Anschlag hat ein Zusammenschluss aus Organisationen Strafanzeige gegen den Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet gestellt. Die von Diyanet vor dem Angriff herausgegebene Freitagspredigt habe das Volk zu „Hass und Feindschaft“ aufgewiegelt, heißt es zur Begründung, wie die Nachrichtenagentur DHA am Montag berichtete. Daher sei gegen den Chef der Behörde, Mehmet Görmez, bei der Staatsanwaltschaft in Ankara Anzeige erstattet worden.

Die Behörde habe zudem die öffentliche Sicherheit gefährdet und gegen die in der türkischen Verfassung verankerten Grundprinzipien des Laizismus verstoßen.

Hintergrund ist die von Diyanet herausgegebene Predigt vom 30. Dezember, die auf der Website der Religionsbehörde veröffentlicht und – wie immer freitags – in Moscheen im ganzen Land verlesen wurde. Darin wurden die Feiern zum Neujahrsfest als unislamisch kritisiert. Unter anderem hieß es: „Es ist bedenklich, dass die ersten Stunden des neuen Jahres mit zu anderen Kulturen und Welten gehörenden Neujahrsfeierlichkeiten zur Verschwendung missbraucht werden.“ Es sei unziemlich für einen Gläubigen, „illegitimes Benehmen und Verhalten“ zur Schau zu stellen. Dazu gehöre etwa ein Verhalten, das nicht mit „unseren Werten“ übereinstimme.

Nach dem Anschlag hatte Görmez die Tat umgehend scharf verurteilt. Ein solches „Massaker“ sei mit „keinem muslimischen Gewissen“ vereinbar, hieß es in einer Mitteilung.

Zeitungsbericht über den Tathergang

Inzwischen gibt es, einem Pressebericht Bericht zufolge, genauere Angaben zum Tathergang. Insgesamt habe der Attentäter mehr als 180 Schüsse abgegeben und dabei sechs Mal das Magazin gewechselt, berichtete die Zeitung Hürriyet Daily News am Montag unter Berufung auf Ermittler, die Videobilder des Angriffs in der Nobeldisco am Bosporus ausgewertet hatten.

Demnach traf der unbekannte Täter, der ein grünes Hemd, dunkle Hosen und schwarze Stiefel trug, mit einem Taxi aus dem Istanbuler Stadtteil Zeytinburnu ein. Wegen des dichten Verkehrs in Ortaköy, wo der Club liegt, sei er ausgestiegen und die letzte Strecke zu Fuß gelaufen, berichtete Hürriyet Daily News. Um 01.20 Uhr wurde er demnach dabei gefilmt, wie er einen Polizisten und einen Zivilisten vor dem Eingang mit einem Gewehr erschoss.

Die Zeitung zitierte Ermittler mit der Aussage, der Angreifer habe im Umgang mit seiner Waffe professionell gewirkt. Demnach ging er im Reina zunächst nach oben, bevor er in das untere Stockwerk zurückkehrte. Schließlich sei er in die Küche gegangen, wo er rund 13 Minuten geblieben sei, die Kleidung gewechselt und seinen Mantel zurückgelassen habe.

Dem Bericht zufolge entkam der Mannmin der allgemeinen Panik nach dem Angriff unerkannt. Laut Hürriyet Daily News nahm er ein Taxi, stieg aber nach kurzer Strecke wieder aus, weil er dem Fahrer sagte, dass er kein Geld bei sich habe. Demnach wurden 500 Lira in der Tasche des Mantels gefunden, den er am Anschlagsort zurückließ. Seitdem fehlt von ihm jede Spur.

Zwei der Opfer lebten in Bayern

Unter den Toten seien zwei in Bayern lebende Männer, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, am Montag in Berlin. Einer habe einen türkischen Pass, der andere besäße die türkische und deutsche Staatsangehörigkeit. Ob weitere Deutsche unter den Verletzten sind, ist noch nicht bekannt. Das Auswärtige Amt bemühe sich mit Hochdruck um Aufklärung und stehe dazu in engem Kontakt mit den türkischen Behörden, hieß es.

„Die Bundesregierung verurteilt den gestrigen Anschlag in Istanbul auf das Schärfste“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter am Montag. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe am Sonntag dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kondoliert.

Die Bundesregierung stehe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus eng an der Seite der Türkei, habe Merkel erklärt. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes wies darauf hin, dass noch am Sonntag die Sicherheitshinweise für die Türkei angepasst worden seien. Demnach wird Reisenden empfohlen, sich „umsichtig zu bewegen“ und Menschenansammlungen zu vermeiden.

Al-Bagdadis Aufruf zu Anschlägen

Mindestens ein bewaffneter Angreifer war kurz nach Anbruch des neuen Jahres in den exklusiven Club am Bosporusufer eingedrungen und hatte wahllos das Feuer auf Hunderte Feiernde eröffnet. Die Tatsache, dass der Angriff einem mondänen Club galt, in dem auch Ausländer verkehren, hatten Beobachter in der Türkei als Hinweis auf einen islamistischen Hintergrund gewertet.

Nach dem türkischen Einmarsch im August in Syrien hatte der Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), Abu Bakr al-Bagdadi, im November zu Anschlägen in der Türkei aufgerufen. Türkische Truppen liefern sich in der nordsyrischen Region um die Stadt Al-Bab seit einiger Zeit heftige und verlustreiche Gefechte mit IS-Kämpfern. Der IS beherrscht Al-Bab.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kündigte nach dem Anschlag in der Silversternacht an, weiter entschlossen gegen den Terrorismus zu kämpfen. Die Türkei werde alles tun, um „die Sicherheit und den Frieden ihrer Bürger zu gewährleisten“. International wurde die Bluttat scharf verurteilt. Bereits 2016 hatte die Türkei eine ganze Reihe verheerender Anschläge erlebt.

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