Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst: Die Kassen sind leer

Gewerkschaften und Arbeitgeber verhandeln über mehr Lohn für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Aber das Geld ist knapp.

Weil sie es sich wert sind: Mitarbeiter der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahngesellschaft im Streik. Bild: dpa

BERLIN taz | Ingrid Westermeier ist um kurz vor zwei Uhr in der Nacht aufgestanden. Ein paar Minuten vor drei Uhr kommt sie am Betriebsbahnhof Engelsburg in Bochum an. Doch anders als sonst setzt sie sich in dieser Mittwochnacht der vergangenen Woche nicht in die Straßenbahn, um die Bürger der Stadt zur Arbeit zu fahren. Stattdessen trifft sie sich mit Kollegen bei den Streikposten bei der Bogestra, dem öffentlichen Nahverkehrsunternehmen Bochums. „Wir verlangen mehr Lohn“, sagt die 54-Jährige. Und das sei „aus vielen Gründen“ gerechtfertigt.

Bundesweit haben Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in den vergangenen zwei Wochen in Warnstreiks die Arbeit niedergelegt: Kitaerzieherinnen, Krankenschwestern, Bus- und Bahnfahrer, Müllwerker, Mitarbeiter von Stadtverwaltungen, Jobcentern oder Flughäfen demonstrierten für ihre Forderungen. Ihr wichtigstes Anliegen: 100 Euro plus 3,5 Prozent mehr Lohn. Für Beschäftigte im Nahverkehr soll es noch eine Extrazulage von 70 Euro geben.

310.000 der insgesamt 2,1 Millionen Tarifbeschäftigten von Bund und Kommune sind dafür inzwischen auf die Straße gegangen, wie die Gewerkschaft Verdi berichtet. Ab dem heutigen Montag und am Dienstag soll wieder verhandelt werden: In Potsdam treffen sich Vertreter der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA), des Bundesinnenministeriums sowie verschiedener Gewerkschaften zum dritten und letzten Mal in dieser Runde. Für den Fall des Scheiterns der Gespräche droht Verdi-Chef Frank Bsirske bereits mit einem „harten Arbeitskampf“.

„Wenn Leute hören, was man in unserem Beruf verdient, wollen nur die wenigsten eine Ausbildung dafür anfangen“, sagt Ingrid Westermeier und zählt auf, was sie für eine 39-Stunden-Woche mit Zulagen erhält: knapp 2.900 Euro brutto im Monat, außerdem ein gekürztes 13. Monatsgehalt wie alle Bogestra-Mitarbeiter. „Aber ich bin eine aussterbende Spezies mit altem Vertrag, ich bin seit 32 Jahren dabei.“

Neue Kollegen im Fahrdienst erhalten im ersten Jahr – inklusive Zulagen – für Vollzeit nur 2.035 Euro brutto monatlich. Nach vier Jahren sind es 2.093 Euro, nach 20 Jahren 2.300 Euro. „Das ist ein Witz“, sagt Westermeier. Eine Familie könne man mit dem Gehalt nicht ernähren. Etliche Kollegen verdienten sich deshalb noch etwas dazu: „Früher sind viele Taxi gefahren, das ist nun verboten. Man sucht sich halt seine kleinen Nebenjobs.“

Leere Kassen in Bochum

Manfred Busch sitzt drei Kilometer entfernt vom Betriebsbahnhof Engelsburg in seinem Büro am Willy-Brandt-Platz. Der Kämmerer kann die Forderung nach höheren Löhnen verstehen. Aber Bochums Stadtkasse, die er verwaltet, ist leer – damit geht es ihm nicht anders als seinen Kollegen in zwei Dritteln aller Kommunen Deutschlands. Unter den Städten im Ruhrgebiet liege Bochum, das jedes Jahr ein neues Defizit von rund 100 Millionen Euro macht, im Mittelfeld. Die Stadt mit ihren knapp 370.000 Einwohnern sei aber „nicht so massiv verschuldet wie Gelsenkirchen, Oberhausen oder Wuppertal“, sagt Busch.

Was seine Aufgabe so schwierig macht: Während die sozialen Aufwendungen überdurchschnittlich steigen, etwa für Kitas, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, für Unterkunftskosten der Sozialhilfe oder Pflegeleistungen, sind die Einkünfte mager. Diverse Steuerreformen, darunter vor allem die von Rot-Grün seit dem Jahr 2000, ließen die Einnahmen schrumpfen. Dann kam 2009 die Finanzkrise, die das jährliche Defizit von damals rund 100 auf 170 Millionen Euro wachsen ließ.

Worum geht es? Verhandelt wird über die Einkommen von rund 2,1 Millionen Tarifbeschäftigten aus Bund und Kommunen. Auch auf rund 362.000 Beamte soll das Ergebnis übertragen werden, fordern die Gewerkschaften. Sie verlangen unter anderem 100 Euro mehr und zusätzlich 3,5 Prozent mehr Lohn.

Wer verdient was? Die Spannweite ist groß. Der Leiter eines Kommunalbetriebs verdient nach sechs Jahren auf einer Vollzeitstelle rund 5.100 Euro, ein Ingenieur rund 3.500 und eine Krankenschwester rund 2.600 Euro brutto. Eine Erzieherin kommt auf etwa 2.400, eine Verwaltungsfachangestellte auf 2.200 und eine Reinigungskraft auf rund 2.000 Euro brutto.

Wie geht es weiter? Scheitern die Verhandlungen, können Arbeitgeber oder Gewerkschaften die Schlichtungsstelle anrufen. Vorsitzender der Schlichtungskommission ist Sachsens Exministerpräsident Georg Milbradt (CDU).Scheitert die Schlichtung, können die Gewerkschaften zu richtigen Streiks mobilisieren.

Bochum sitzt heute auf 1,5 Milliarden Euro Schulden. Die Stadt nimmt pro Jahr rund 1,1 Milliarden Euro ein und gibt 1,2 Milliarden Euro aus, davon etwa 320 Millionen Euro für Sozialaufwendungen aller Art.

Seit 2009 fährt Bochum einen strikten Konsolidierungskurs: Die Öffnungszeiten öffentlicher Einrichtungen wurden eingeschränkt, die Verwaltung wurde verschlankt. Bis 2022 sollen 165 Millionen Euro eingespart werden. Derzeit laufe das gut, so Busch, dank stabiler Konjunktur und extrem niedriger Zinssätze für den Schuldendienst: „Aber das wird nicht ewig so bleiben.“

Würden sich die Gewerkschaften mit ihren Forderungen nach insgesamt rund 7 Prozent mehr Lohn durchsetzen, müsste die Stadt pro Jahr 10,5 Millionen Euro mehr für höhere Löhne einpreisen, dazu einmalig rund 30 Millionen Euro für weitere Pensionsrückstellungen.

„Eine politische Höchststrafe“

Man könnte allein für die 10,5 Millionen Euro theoretisch zehn Schwimmbäder schließen, sagt Busch. Jedes koste die Stadt jährlich rund 1 Million Euro. Nur dass Bochum keine zehn Schwimmbäder hat, sondern nur sechs – und eines davon, das steht bereits länger fest, wird bis 2022 geschlossen. Schon das, sagt Busch, „ist eine politische Höchststrafe“.

Straßenbahnerin Westermeier und ihre Kollegen sehen trotzdem nicht ein, warum sie sich mit einer knappen Lohnerhöhung bescheiden sollten: „Mieten, Heizkosten, alles wird deutlich teurer.“ Außerdem hätten die Mitarbeiter in den letzten zehn Jahren freiwillig auf Gehaltssteigerungen und Zulagen in Höhe von 70 Millionen Euro verzichtet.

Und die Arbeit werde nicht leichter, sagt sie: „Es gibt mehr Verkehr und mehr Aggressivität. Wir werden häufiger bedroht oder bespuckt.“ Dazu kommen Nacht-, Früh- oder Spätschichten. Westermeier hat wie viele Kollegen nur zweimal im Monat zwei Tage hintereinander frei, fünf reguläre Stellen sind seit längerer Zeit nicht besetzt. „Das alles schlaucht“, sagt sie.

Die Gewerkschaften wollen in der Tarifrunde durch den Sockelbetrag von 100 Euro vor allem die unteren Einkommen prozentual deutlich aufbessern – und so auch den öffentlichen Dienst in der Konkurrenz mit der Privatwirtschaft für Nachwuchs attraktiv halten. Vor allem die kommunalen Arbeitgeber warnen vor dem Sockelbetrag und eventuellen Folgen wie Privatisierungen. Auch Busch sagt: „Der Sockelbetrag ist ein sehr großes Problem. Damit würden beispielsweise die Defizite unserer vier stadteigenen Senioreneinrichtungen weiter steigen.“

Druck zur Privatisierung

Auch die städtische Entsorgungsgesellschaft oder die Bogestra, die beide zum Teil direkt mit privaten Unternehmen konkurrieren, etwa um die Entsorgung von gelben Säcken oder beim Betrieb von Buslinien, kämen in Schwierigkeiten, sagt Busch. „Der Druck zur Privatisierung wird allgemein zunehmen.“ Und in privaten Betrieben verdienen auch Beschäftigte oft weniger als in öffentlichen.

Dabei hat sich die Stadt bisher aus einer klaren Haltung dagegen entschieden, kommunale Betriebe ganz oder in Teilen zu privatisieren. Selbst die Stadtwerke sind, anders als in vielen Nachbarstädten, weiterhin ausschließlich in öffentlicher Hand.

„Es gibt im Rat der Stadt eine gesunde Skepsis gegenüber Privatisierungen. Ich selber habe intensiv Modelle wie das Public-private-Partnership verfolgt. Und ich wüsste keine einzige Stadt, für die sich PPP ausgezahlt hätte. Es ist letztlich immer ein Verlustgeschäft“, sagt Busch. Auch er sieht das Zukunftsproblem: Von den rund 5.500 Angestellten der Stadt scheiden bis 2020 über 800 aus Altersgründen aus. „Es ist zum Teil jetzt schon schwierig, den passenden Nachwuchs zu finden. Wir haben aber nur beschränkte finanzielle Ressourcen, um Beschäftigte anzulocken.“

Busch hat erlebt, wie der finanzielle Spielraum der Kommunen kleiner wurde: Mitte der 2000er bekam er als Kämmerer der Stadt Wesel die Steuerschätzungen nach den Reformplänen der rot-grünen Bundesregierung auf den Tisch: „Da ist mir die Kinnlade runtergeklappt“, sagt er. Infolge der veränderten Steuerpolitik ab 1998 haben allein die Kommunen zwischen 2000 und 2011 42 Milliarden Euro weniger eingenommen, hat der Ökonom Achim Truger errechnet. Für die gesamte öffentliche Hand waren es 386 Milliarden Euro weniger.

Busch ist unter anderem dafür, große (Immobilien-)Vermögen und Erbschaften stärker zu besteuern. Da hinke Deutschland im OECD-Vergleich weit hinterher. Die Große Koalition hat das Thema für tabu erklärt. Das kann nicht ewig so bleiben, glaubt der Kämmerer: „Wenn die Konjunktur wieder abflacht, wird diese Gesellschaft erneut über Steuerreformen diskutieren müssen.“

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