Tag der Deutschen Einheit: Fressen statt Deutschland

Während in Mainz die offiziellen Feierlichkeiten laufen, wird die Einheit in Berlin mit einer Fressmeile begangen. Das kann man schrecklich finden – muss man aber nicht.

Gab es neben „mexikanischen“ Burritos und „ungarischem“ Langos natürlich auch: Wurst Foto: dpa

Die deutsche Einheit riecht nach einem Gemisch aus angekohltem Grillfleisch, Zuckerwatte und Frittiertem. Zumindest hier am Brandenburger Tor: Während die staatstragenden Teile der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in diesem Jahr in Mainz begangen werden, darf sich das gemeine Volk in Berlin gleich drei Tage hintereinander amüsieren.

Am Sonntag ging es los mit „Pop meets Classic“, am Montag gab es beim „Coca-Cola-Festival der Einheit“ deutsche Dichtkunst von Mark Foster (Egal was kommt, es wird gut, sowieso/ Immer geht ’ne neue Tür auf, irgendwo), und am Dienstag ist Familientag.

Klingt nach Vorhölle, ist es auch, zumindest auf den ersten Blick: Unter einem grauen Himmel schieben sich am Vormittag missmutig aussehende Menschen auf der Straße des 17. Juni entlang, links und rechts gesäumt von den Fressbuden, die Essen mit einem Einkaufspreis von 60 Cent und einem Verkaufspreis von 6 Euro in allen erdenklichen Formen unters Volk bringen.

Das Bühnenprogramm hat noch nicht begonnen, also beschäftigen sich die meisten BesucherInnen damit, vom Beginn des Festes am Brandenburger Tor bis zum Ende beim großen Riesenrad zu schlendern, dort „Das war’s jewesen“ zu sagen und wieder zurückzulaufen. Anschließend gibt es eine Pause auf den Bierbänken in der Mitte der Straße bei Nackensteak und Langos, Bier und Mojito.

Zumindest zu dieser Tageszeit besteht das Publikum noch deutlich stärker aus Paaren im Rentenalter als aus Familien. Viel geredet wird nicht, außer bei denen, die in Sachen Bier und Mojito schon etwas weiter sind.

Nun wäre es ein Leichtes, das alles schrecklich zu finden, und länger als eine halbe Stunde fällt der Aufenthalt auch wirklich schwer. Andererseits: Gäbe es nicht deutlich schlimmere Formen, in denen die Deutschen ihren Nationalfeiertag verbringen könnten, als sich auf einem eingezäunten Gelände in Berlin den Magen mit angekohltem Grillfleisch sowie „mexikanischen“, „russischen“ oder „kubanischen“ Spezialitäten vollzuschlagen?

Von einer ehrwürdig-patriotischen Stimmung, wie sie sich etwa die AfD für die Deutschlandfeierlichkeiten in der Hauptstadt sicher wünschen würde, ist man hier jedenfalls meilenweit entfernt.

Partystimmung am Brandenburger tor

So wurde Montagabend am Tor gefeiert Foto: dpa

Dass dieses Fest der Pflege deutscher Brauchtümer, abgesehen von Bier- und Fleischgenuss, dienen würde, kann ebenso niemand behaupten. Das einzige inhaltliche Angebot ist ein umgebauter Lkw, in dem sich der deutsche Bundestag mit einem Kinderquiz präsentiert – überflüssig zu er­wähnen, dass die Schlange vor dem Riesenrad deutlich länger ist.

In diesen Tagen, in denen die CDU aus ihrem schlechten Abschneiden in den Bundesländern, in denen sie besonders rechts ist, schlussfolgert, weiter nach rechts rücken zu müssen, in denen die Grünen endlich offen von ihrer Heimatliebe sprechen wollen und die FDP sich bereit macht, durch den endgültige Abbau sozialer Rechte der AfD die Wählerbasis zu schenken, von der diese momentan noch nur träumen kann, ist es eine wohltuende Feststellung: Deutschland spielt auf diesem Fest eigentlich keine Rolle.

Anders einen halben Kilometer südlich in den Ministergärten, wo die Vertretungen der Bundesländer am 3. Oktober traditionell zum Tag der offenen Tür laden: Hier geht es zwar auch in erster Linie um den Verzehr gewaltiger Fleischberge und Alkoholmengen, allerdings kaschiert durch Darbietungen von Trachtentänzen, massenhaftem Informationsmaterial und der Illusion, man kippe den Wein, um mehr über das Saarland zu erfahren. Entsprechend ist das Publikum bildungsbürgerlicher und auch deutlich weißer als am Brandenburger Tor, wo neben deutschen Rentnern auch viele Gruppen migrantischer Jugendlicher unterwegs sind.

Während der Bundespräsident also in Mainz die Einheit derjenigen beschwört, die in ihrem Deutschland weder die hässlichen Fratzen der ostdeutschen Provinz noch andere Flüchtlinge als die syrischen Ärzte sehen wollen, gibt es am Brandenburger Tor einfach nur Trash. Und wer das Fest verlässt, stolpert direkt ins Holocaustmahnmal. Es könnte schlimmer sein.

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