TV-Spots zur Europawahl (3/3): Amoklauf mit Kinderwagen

Klassenkampf, Homophobie und ein Jein zu Europa: Die 9 besten Spots in unserer absolut objektiven und sachlichen Kurzkritik.

Aus dem Weg! Bild: dpa

BERLIN taz | Wahlen sind auch ein Beschäftigungsprogramm für Agenturen und Hobbyregisseure – die Parteien müssen schließlich Fernsehwerbung präsentieren. Die einen machen das besser, die anderen schlechter.

Wir haben uns die Wahlwerbespots der großen wie der kleinen angeschaut und einer filmtheoretischen Analyse unterworfen, die nach streng fachlichen und objektiven Kriterien und ohne ideologische Färbung durchgeführt wurde. Am Ende entschied ein elaboriertes Punktesystem über die Platzvergabe.

Da kein Mensch nun den ganzen Berg politischer Infomercials am Stück schauen kann, gestatten wir uns, als gelehrige Schüler des großen Peter Jackson, unsere Kurzkritiken als Dreiteiler zu präsentieren. Der erste Teil mit den am wenigsten gelungenen Spots ist schon in den Kinos, der zweite mit dem Mittelmaß des Business auch. An dieser Stelle seien nun die besten der Besten vorgestellt:

Platz 9: Christliche Mitte
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Die ersten 30 Sekunden des Spots der Partei Christliche Mitte verzaubern den Zuschauer. Spielende Babys, lesende Kinder. Pures Glück. Im Hintergrund der Klassiker „Amazing Grace“ und zwei Frauen auf der Couch (das werden doch keine Lesben sein?!).

Doch dann geht das kleine Mädchen mit einem Plastikmodell eines 9-Wochen-Baby zu ihrer Mutter. Diese erzählt der Kleinen was Embryos schon alles können, wenn sie 3 Wochen, 6 Wochen, 9 Wochen alt sind. Dann der Cut: Das Plastikbaby fällt zu Boden. „Können Kinder kaputt gehen?“ fragt das Mädchen. Klar. Können sie, sagt die Mutter. Will man die Kinder europaweit schützen, müsse man CM wählen. Kein Wort von Abtreibungsverbot, kein Wort von christlichem Fundamentalismus, kein Wort zur Homophobie der Partei.

Fazit: Rührend und raffiniert - gediegen perfide also.

Platz 8: DKP
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Woaaaahhh ist das rot. Sehr rot. Da weiß man, wo man gelandet ist. Bei der DKP. Die will mit Fakten überzeugen. Fährt zunächst einen wütenden jungen Mann auf, der über Arbeitslosigkeit, fehlende Ausbildungsplätze und Kürzungen im Gesundheitswesen schimpft. Soweit, so gut. Nur an Körperbeherrschung und Aussprache muss er fürs nächste Mal noch etwas arbeiten.

Dann Kontrastprogramm: Die zunächst nette ältere Dame, die sich schnell als aggressive Kampflinke entpuppt. Schimpft gegen die SPD und gegen die EU in feinster Klassenkampfrhetorik. Der Slogan zum Schluss: Knallrot gegen diese EU wählen! Dazu im Bild: Fäuste gegen die EU der Banken und Konzerne.

Fazit: Das ist kämpferisch, aufs Wesentliche konzentriert und optisch ansprechend.

Platz 7: FAMILIE
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bernhard ist 64 und ein alternder Superheld. Er fängt Schnuller auf, rettet Rentnerinnen vor dem sichere Unfalltod, hält amokfahrende Kinderwägen auf. Bernhard hat also einen sehr stressigen Job, weil sich ja kaum mehr jemand kümmert um all die Alltagsprobleme der Menschen.

Das alles erzählt er uns an einer Bar sitzend. Kein Whiskey im Glas, eher Orangensaft. Sehr sympathisch kommt er rüber. Seine Erkenntnis: Die Kleinen können etwas verändern. Oder alle, durch eine Stimme für die Familienpartei. Dann können wir alle Superhelden sein. Das ist zwar nicht so 100-prozentig überzeugend, aber äußert amüsant anzuschauen.

Fazit: Das finden wir filmisch ansprechend, inhaltlich überraschend und innovativ.

Platz 6: Linke
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Sehr minimalistisch, die Linkspartei, dafür aber mit richtiger Wut im Bauch. Ordentliche Performance, klare Aussagen, und am Ende ein kurzer Gastauftritt eines prominenten Politikers, der den Kern des Programms noch einmal darlegt: „Damit sich endlich auch die anderen ärgern.“

Fazit: Die klare Fokussierung auf das Protestpotential ist gewiss nicht dumm, die filmische Umsetzung wenig berauschend, die Abwesenheit von Frauen auffällig.

Platz 5: BüSo
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Ja von wegen es geht um nichts bei der Europawahl! Wir Deutsche können – mit dem Kreuz für die BüSo-Partei – den dritten Weltkrieg stoppen! Mit einer neuen Seidenstraße zwischen Berlin, Moskau und Peking. Wie das genau funktioniert, erklärt BüSo-Guru Helga Zepp-LaRouche. Untermalt von Kriegsbildern, Raketen und Maidan-Aufständischen warnt sie vor dem dritten, dem thermonuklearen Weltkrieg. Man merkt sofort: Es ist ihr Ernst, sie ist überzeugt und will überzeugen. Für soviel Durchhaltevermögen trotz garantiertem Misserfolg unsere Anerkennung.

Fazit: Büso weiß, was schief läuft in der Welt und erklärt das in 90 Sekunden dem gemeinem Bürger. Wer sich nach diesem Spot keinen Luftschutzbunker baut, hat gar nichts verstanden.

Platz 4: SPD
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Auf grauen Teppichen spaziert Spitzenkandidat Martin Schulz ziellos durch anheimelnde Waschbetonwelten und soll wohl das menschliche Element in Brüssel repräsentieren. Seine sonore Stimme aus dem Off vermittelt Sicherheit und Verbindlichkeit, das gütige Lächeln Geborgenheit. Die SPD setzt also voll auf einen Personality-Wahlkampf mit dem zum Teddybär gewachsenen Karrierepolitiker „Martin Schulz. Aus Deutschland. Für Europa.“.

Fazit: Nicht schlecht, SPD, nicht schlecht. Aber warum habt ihr nicht gleich das Original engagiert, diese Frau Merkel. Ach die ist schon für einen anderen Gig gebucht? Zu schade.

Platz 3: Ödp
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wer hätte das gedacht: Die Schnarchnasen der ödp gehen die politischen Gegner aggressiv an. Ganz der Negativwahlkampf: Mach den Gegner schlecht, dann kommen die Stimmen von allein. Grüne sind Kriegstreiber, die SPD überholt rechts, Linke sind Wirtschaftsidioten, die Union ist ahnungslos, die Liberalen sind konzernhörig. Wen könnte Familie Schmidt also noch wählen? Die orangene Partei, die ödp. Logisch.

Das alles verpackt die ödp in einem netten Spot mit Trickfilmelementen. Optisch hübsch anzuschauen, unterlegt mit Dudelmusik und netter Sprecherstimme. Einzig der Seitenhieb auf die Grünen („gegen die traditionelle Familie“) lässt uns aufhorchen und etwas traurig zurück. Verstecken sich da etwa homophobe Elemente?

Fazit: Überraschend kurzweilig, filmisch gut umgesetzt.

Platz 2: Die Partei
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Einen ambivalenten Wahlwerbespot hat die PARTEI um Martin Sonneborn da abgeliefert: sehr überzeugend, aber auch abstoßend. Voller Energie, dabei aber entschleunigt. Optimistisch, aber auch zweifelnd. Mit aufgesetzter Sonnenbrille, jedoch auch mit abgesetzter.

Fazit: Europa ja, Europa nein.

Platz 1: FDP
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Die FDP hat alles richtig gemacht: Einen schnieken Kandidaten, nüchterner Waschbeton (in der Wahlwerbewelt das Sinnbild für Macht und Bürokratie), ein bisschen Natur vor der Tür, und eine gehörige Portion sympathischen Populismus' für das Wahlvolk („Die Glühbirnen! Nee, also wirklich!“).

Gleich am Anfang aber kommt der Clou: „Mein Name ist Alexander Graf Lambsdorff. Bei uns liegt eines in der Familie, und das ist: vernünftige Politik mit gesundem Menschenverstand.“ Dazu wird uns ein Bild seines Onkels, des rechtskräftig verurteilten Steuerhinterziehers Otto Graf Lambsdorff gezeigt.

Fazit: Das ist ganz hohe Kunst, FDP! Auf den Wiedererkennungseffekt (Lambsdorff!) zu setzen, gleichzeitig aber die Vergesslichkeit des Publikums (Lambsdorff!) miteinzuberechnen. Der ideale Wahlwerbespot.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.