Synchronsprecher von „South Park“-Figur: 162-mal „Scheiße“ in 22 Minuten

Jörg Stuttmann wohnt auf einem Schloss und schickt versiegelte Briefe statt Mails. Sein Geld verdient er mit Sätzen wie: „Leckt mir die Eier, Leute!“

Einmal im Jahr denkt sich Jörg Stuttmann (vorne links) klein und dick und flucht die ganze Zeit. Bild: dpa

AUGSBURG taz | Jörg Stuttmann sitzt in seinem alten Honda und fährt nach Hause auf das Schloss. Vor dem „Grünen Hirschen“ rechts, den Berg hinauf, eine Hügelkette im Norden von Augsburg. Er ist gerade 55 geworden, Glatze, grauer Bart, goldener Ring im rechten Ohr. Sein Geld verdient er damit, dass er vor ein Mikro tritt und Sachen sagt wie „Leckt mir die Eier, Leute!“ Stuttmann ist die deutsche Stimme von Eric Cartman, dem übergewichtigen Achtjährigen aus der amerikanischen Zeichentrickserie „South Park“.

„South Park“ handelt vom Leben vierer Jungen in einer Kleinstadt in Colorado: Stan, Kyle, Kenny und Cartman. Jede Folge hat das gleiche Prinzip: harmloser Anfang, absurdes Ende. Im ersten Moment spielen die vier Konsolenspiele. Dann wird einer von Aliens entführt, Barbra Streisand mutiert zum Roboter oder intelligente Riesenkrabben übernehmen das Fernsehen, um die Menschheit zu versklaven. „South Park“ ist ein einziger Witz. Die Charaktere sehen aus wie Pappfiguren und bewerfen sich mit Fäkalien, meistens verbal.

Der Rekord: 162-mal „Scheiße“ in einer Sendung, alle sieben Sekunden im Schnitt. In einer Folge gibt Cartman vor, am Tourette-Syndrom erkrankt zu sein, um ungestraft fluchen zu können. Als Jörg Stuttmann für diese Folge aufnahm, klang das so: „Schwanztitten! Eselständer! Tittenstreusel!“ Stuttmanns Stimme klingt tief, gar nicht wie die eines achtjährigen Jungen. Aber in ihr liegt ein Hauch von Gebrochenheit, man merkt es an den hohen Vokalen, am E, am I. Wenn er „eins“ sagt oder „ey“, hört man ein Quietschen. Dieses Quietschen ist der Schlüssel, um Eric Cartman zu werden. „Wenn ich mir Cartmann vorstelle, werde ich augenblicklich klein und breit“, sagt Stuttmann. Das funktioniert so gut, dass er, wenn er über Cartman redet, höher spricht.

Einmal im Jahr hat er einen Synchrontermin für „South Park“. Alle Takes einer Staffel am Stück, das dauert eine Woche. Das Geld, das Stuttmann in dieser Woche verdient, reicht, um ein paar Monatsmieten zu bezahlen. Den Rest verdient er mit Lesungen, er schreibt über Augsburger Stadtgeschichte – und er arbeitet als Kalligraf.

„Eine Menge Zeitkrankheiten“

Jörg Stuttmanns Lebenswirklichkeit ist weit weg von der der South-Park-Jungs. Seit seiner Geburt hat er immer in Augsburg oder Umgebung gewohnt, auf dem Schloss ist er Untermieter. Er verzichtet auf Internet, E-Mails und Handy. Lieber verschickt er Briefe, die er mit Wachs und Siegelring schließt. Wer seine Wohnung sieht, die mit Büchern gefüllten Regale, die Porträts an den Wänden, einen Stammbaum der Familie, der 1592 beginnt, sieht: Das ist eine Idylle, ein Gegenentwurf zu einer Welt, die eine Serie wie „South Park“ nötig hat. Durch einen alten Turm, früher Kerkerzelle, heute Geräteschuppen, kommt man in Stuttmanns Garten. Dort sonnt sich die Katze.

„Cartman verkörpert eine Menge Zeitkrankheiten“, sagt Stuttmann. „Er muss wichtig sein, er braucht Status, er ist rücksichtslos. Du kannst so weit gehen zu sagen: Cartman ist die Welt.“ Als er „Welt“ sagt, quietscht seine Stimme wieder. Stuttmann hebt den Kehlkopf an, spannt die unteren Halsmuskeln, Zwerchfell und Bauch. Und dann kommt die Stimme des achtjährigen Jungen aus seinem Mund.

Gerade ist die siebzehnte Staffel von „South Park“ in Deutschland angelaufen. Cartman, und mit ihm Jörg Stuttmann, spielen die Hauptrolle der ersten neuen Folge. Er infiltriert die NSA, um als Whistleblower berühmt zu werden. In Fort Meade macht Cartman eine schreckliche Entdeckung: Die NSA überwacht nicht nur sämtliche Bürger, sie foltert auch den Weihnachtsmann, um Infos zu erpressen. Doch auf die Enthüllung folgt die Enttäuschung: Der Skandal verhallt in der desinteressierten Öffentlichkeit.

Wenn die NSA den Weihnachtsmann foltert

Man könnte jetzt sagen: „South Park“ ist eben ein einziger Witz, absurd, völlig überzogen. Aber so einfach ist es nicht. Eric Cartman ist nicht nur ein kleiner, verwöhnter Junge, er ist ein Mensch der Moderne, einer von uns. Er verkörpert den Zeitgeist, zumindest seine dunklen Seiten: Er macht Geschäfte, egal ob mit menschlichen Föten oder christlicher Rockmusik, er ist selbstsüchtig, er hängt Verschwörungstheorien an. Damit erfüllt er eine erzählerische Funktion. Er ist derjenige, der alles auf die Spitze treibt und die Geschichte voranbringt. In dieser Episode ist es nur seiner Geltungssucht zu verdanken, dass der NSA-Skandal aufgedeckt wird.

Am Ende jeder South-Park-Folge steht so, gerade wegen aller Absurdität, immer eine Erkenntnis. In diesem Fall: Die NSA könnte tatsächlich den Weihnachtsmann foltern, und es würde trotzdem niemanden interessieren. Manchmal braucht man kaputte Bilder, um zu merken, in was für kaputten Zeiten man lebt. Einmal im Jahr zeigt Stuttmann der Welt, wie kaputt sie geworden ist. Dann zieht er sich wieder zurück auf sein Schloss, in seine heile Welt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.