Super Bowl und Quaterbackheld Brady: Küsse wie im Ostblock

Im unattraktivsten NFL-Finalspiel seit Jahren darf Tom Brady am Ende trotzdem jubeln. Als erster Spieler holt er zum sechsten Mal den Super Bowl.

zwei Männer umarmen und küssen sich

Tom Brady (r.) wird von Klubpräsident Jonathan Kraft sehr herzlich beglückwünscht Foto: ap

So innig küssten sich eigentlich nur Führungsfiguren aus dem Ostblock auf den Mund, Erich Honecker zum Beispiel Leonid Breschnew, wie heute noch großformatig in der East Side Gallery von Berlin zu sehen ist. Diesmal war es Quarterback Tom Brady, der seinem Klubbesitzer Robert Kraft im Überschwang der Emotionen einen dicken Schmatzer aufdrückte. der kleine Kraft, ein Verpackungsmogul, hatte Mühe, sich zu dem einen Kopf größeren Brady durchzukämpfen. Ein Wall aus Reportern und Kameraleuten hatte sich nach dem Spiel um den Werfer der New England Patriots gebildet.

Jeden, der eine Akkreditierung für den Innenraum der Arena in Atlanta ergattert hatte, drängte es in Richtung des 41-Jährigen, der in der Nacht auf Montag zwar nur eine eher mittelmäßige Leistung gezeigt, aber dennoch Historisches erreicht hatte: Er ist der erste NFL-Spieler überhaupt, der sechs Mal den Super Bowl, das Endspiel der National Football League, gewonnen hat. Brady dankte seinen Mitspielern und seiner Familie, er ist ein höflicher und kontrollierter Mensch. „Unsere Verteidigung hat das beste Spiel in dieser Saison gemacht“, sagte er einer CBS-Reporterin.

Das mag wohl so gewesen sein, aber die Konzentration beider Teams auf die Defense führte zum unattraktivsten Finalspiel der vergangenen Jahre. Am Ende gewannen die Patriots gerade mal mit 13:3 gegen die Los Angeles Rams. New England schaffte nur einen Touchdown und traf drei Mal durch die Stangen, der Herausforderer aus Kalifornien schaffte das nur einmal – bei zwei Fehlversuchen.

Es war teilweise erbärmlich, wie die Rams versuchten, sich nach vorne zu schieben. Interpretiert man den Football-Sport als eine Simulation des großen Trecks von der Ost- zur Westküste, dann wären die Rams seinerzeit nicht mal bis zu den Appalachen gekommen. Ihre mickrigen Landgewinne waren einer krassen Formschwäche ihres Quarterbacks Jared Goff geschuldet.

Der 24-Jährige agierte hypernervös und fahrig, seine Bälle eierten, wenn überhaupt, ihren ebenso flatterhändigen Adressaten entgegen. Vier Mal wurde Goff von New Englands dicken Männern umgerammt. Sie sackten ihn, wie es heißt, nach Herzenslust, drängten ihn zu einer Interception, also einem Ballverlust, und krochen, wie die US-Kommentatoren so gerne sagen „in seinen Kopf“.

Wie ein geprügelter Hund an der Seitenlinie

Dort richteten sie offensichtlich ein ziemliches Tohuwabohu an, denn Goff irrlichterte weiter umher, fing sich zu keiner Sekunde des Spiels und saß am Ende wie ein geprügelter Hund an der Seitenlinie, wo Rams-Coach Sean McVay, der nicht wie erwartet den großen innovativen Spielplan entwarf, das Versagen seiner Truppe quittieren musste. Vor allem in den ersten drei Vierteln artete die Partie zu einem Festival der Negativrekorde aus.

Hier nur ein kleiner Auszug aus der Liste: Erst als zweites Team der Super-Bowl-Geschichte nach den Miami Dolphins 1972 schafften die Rams keinen Touchdown; so wenig Punkte erzielten zwei Teams in einem Super Bowl noch nie gemeinsam; dass insgesamt nur ein Touchdown im gesamten Spiel erzielt wurde, gab es ebenfalls noch nie zuvor.

In den ersten drei Vierteln wurde das Spiel ein Festival der Negativrekorde

Tom Brady schien sich anfangs anstecken zu lassen vom Weichen-Wurfarm-Syndrom Goffs. Dem Superstar unterliefen einige untypische Fehler, doch er tauchte danach in das riesige Reservoir seiner Erfahrung und fand in Wide Receiver Julian Edelman einen willigen Abnehmer seiner Mitteldistanzpässe. Edelman fing spektakuläre zehn Bälle und trug diese dann in der Summe über 141 Yard in Richtung der Endzone der Los Angeles Rams. Edelman, der einen eindrucksvollen Hipster-Zauselbart trägt, wurde zum MVP des Endspiels gewählt, zum wertvollsten Spieler.

Man nennt ihn das Eichhörnchen, und das mag an seinen schnellen Richtungswechseln liegen, aber darüber hinaus geht der Spitzname auf ein Kinderbuch zurück, das Edelman vor ein paar Jahren auf den Markt gebracht hat. „Flying High“ heißt es, und es geht darum, dass ein Eichhörnchen namens Julian mit einem Bär, einem Büffel und einem Adler Football spielen will, ausgelacht wird und erst, nachdem Julian den Ratschlägen der Ziege Tom (Brady) und der Eule Bill (Belichik, des Coachs) folgt, hart an sich zu arbeiten, Erfolg hat.

Trump-Sympathsant Brady

Dieser Erfolg verfolgt die New England Patriots wie ein positiver Fluch. Sie haben in diesem noch jungen Jahrtausend alle ihrer sieben Titel gewonnen: 2001, 2003, 2004, 2014, 2016 und 2018. Der Wert des Klubs ist von 170 Millionen Dollar (1994) auf nun über 3,7 Mil­liarden hochgeschnellt. So eine Erfolgsserie ruft viele Neider auf den Plan, aber daran liegt es nicht nur, dass die New England Patriots vor allem im linksliberalen Milieu Amerikas nicht gerade beliebt sind.

Tom Brady hat wie auch Klubeigner Kraft und Coach Belichik ein gewisses Naheverhältnis zu US-Präsident Donald Trump. Als Trump 2015 auf Wahlkampftour in Massachusetts war, legte Brady eines dieser MAGA-Caps in seinen Spind, also eine Schirmmütze mit der Aufschrift „Make America Great Again“.

Diese Bilder geisterten nun wieder durchs Netz, und alle Welt wartete auf einen schnellen Gratulations-Tweet von Trump, aber bis Montagvormittag deutscher Zeit tat sich auf dem Account von @realDonaldTrump nichts. Wobei, das stimmt nicht ganz: Er forderte wieder mal eine Mauer an der Grenze zu Mexiko, und er rühmte das Golfspiel von Tiger Woods, mit dem er am Vortag ein paar Bälle geschlagen hatte. Aber sonst: Totenstille.

Kein NFL-Klub will Quarterback Colin Kaepernick

Die hätten sich auch viele Trump-kritische Footballfans in der Halbzeitpause gewünscht. Maroon 5, eine Band, die ihre beste Zeit nun wahrlich hinter sich hat, performte als Top-Act, nachdem andere wie Rihanna oder Pink aus Protest gegen den Umgang der Liga mit Quarterback Colin Kaepernick nicht zur Verfügung standen. Kaepernick hatte mit seinem Niederknien zu den Klängen der US-Hymne gegen Rassismus und Polizeigewalt protestiert. Er ist seit 2016 nur noch Free Agent, das heißt: kein NFL-Klub hat ihn unter Vertrag.

Woran das liegt? Mag sich ein jeder einen Reim daraus machen. Der Sänger von Maroon 5, Adam Levine, wurde im Vorfeld des Super Bowl aufgefordert, während der Show ein Zeichen seiner Solidarität mit dem schwarzen Spieler zu zeigen, doch er zog seinen Auftritt mit dünnem Stimmchen und ohne Aufreger durch. Im Mittelpunkt eines sehr überschaubaren Shitstorms stand vielmehr Rapper Big Boi, der im dicken Pelzmantel erschienen war. Warm anziehen müssen sich in den nächsten Jahren auch die Gegner der Patriots. Tom Brady will weitermachen. Noch vier Jahre. Er hat noch nicht genug.

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