Studie zu Ost-Wirtschaft sorgt für Zoff: Einmal abgehängt, immer abgehängt

Eine Studie empfiehlt, im Osten nur noch Ballungsräume zu fördern. Das empört die Ministerpräsidenten Ramelow und Haselhoff.

Ein Feldweg und Moetzelbach in Thüringen

Hier bitte nicht mehr fördern: Moetzelbach in Thüringen Foto: Dirk Sattler

DRESDEN taz | „Was wir hier an Spitzentechnologie haben, scheint man in Halle nicht zu bemerken“, machte sich Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) Luft. Die Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle IWH „Vereintes Land – drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall“ empört ihn und seinen Amtskollegen Reiner Haseloff (CDU) in Sachsen-Anhalt.

Die Ökonomen empfehlen unter anderem, die Wirtschaftsförderung im Osten auf Großstädte zu konzentrieren. Ramelow erwähnt 62 Hochtechnologiefirmen in Thüringen, viele davon in ländlichen Räumen. Wenn man dort Infrastrukturmittel streichen wolle, „wendet man die falsche Optik an“.

Aus der am Montag offiziell in Berlin vorgestellten 152-seitigen Publikation waren Kernaussagen schon vorab bekannt geworden. IWH-Präsident Reint Gropp hatte in einem MDR-Gespräch empfohlen, Fördermittel nicht mehr an ländliche Räume zu vergeuden. Wolle man den stagnierenden wirtschaftlichen Aufholprozess Ost überhaupt in Fahrt bringen, müsse man sich auf die Ballungsräume konzentrieren. In der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft seien die Städte „die zentralen Orte von Forschung, Innovation und Wertschöpfung“, heißt es in der Studie.

In der Publikation dreht sich vieles um den auf mindestens 20 Prozent bezifferten durchschnittlichen Produktivitätsrückstand Ost gegenüber westdeutschen Betrieben. Die Analysten machen dafür auch den Umstand verantwortlich, dass die meisten Konzernzentralen in Westdeutschland angesiedelt sind. Während dort etwa drei Viertel der Beschäftigten in Städten arbeiten, sei es im Beitrittsgebiet nur die Hälfte.

Arbeitsplätze nicht mit Subventionen erhalten

Arbeitsplätze, die mithilfe von Subventionen erhalten wurden, stünden „der Erhöhung der Arbeitsproduktivität im Wege“. In Zeiten des Fachkräftemangels sollte Wirtschaftsförderung deshalb „nicht um jeden Preis für Arbeitsplätze sorgen, sondern für Produktivitätssteigerung“. Der spezifische Fachkräftemangel Ost könne mit „attraktiven Wohn- und Arbeitsbedingungen“ überwunden werden.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff hält insbesondere die IWH-Aussagen zu ländlichen Räumen für falsch. Sie betreffe immerhin 80 Prozent der Landesfläche, deren Bewohner man nicht von Fördermöglichkeiten ausnehmen dürfe. Durch Investitionen dort seien gute Arbeitsplätze etwa in Chemie- und Industrieparks entstanden.

Städte seien „die zentralen Orte von Forschung, Innovation und Wertschöpfung“

Joachim Ragnitz hat lange am IWH gearbeitet und ist jetzt Ost-Experte der Niederlassung des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts in Dresden. Die „steilen Thesen“ der IWH-Studie bezeichnet er gegenüber der taz als „altbacken“. So sei die Subventionierung von Arbeitsplätzen im Zuge der Rettungs- und Ansiedlungspolitik der 1990er Jahre größtenteils Geschichte. Die empfohlene Aufgabe ländlicher Räume findet der Wirtschaftswissenschaftler „ganz schlimm“ und bringt soziale Aspekte ins Spiel. Deshalb glaubt er, dass die Politik „weitermachen wird wie bisher“.

Politische Gefahren durch einen Ost-Rückstand sieht auch VW-Vorstandsfrau Hiltrud Werner im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Die Frusthaltung vieler Ostdeutscher sei auch in den Betrieben spürbar und führe zu Sympathien für die Protestpartei AfD.

Die systematische Deindustrialisierung der Beitrittsländer nach der Währungsunion wertet sie als historischen Fehler in einer „bitteren Zeit“. Die IWH-Studie konstatiert wiederum eine deutlich verbesserte Arbeitsmarktlage im Jahre 30 nach der Wende in der DDR. Die Abwanderung sei per Saldo zum Stillstand gekommen.

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