Studie zu Nichtwählern: Wer arm ist, bleibt zuhause

Typische Nichtwähler stammen fast ausschließlich aus Milieus der Unterschicht. Das zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Jens Böhrnsen

Bremens ehemaliger Bürgermeister Jens Böhrnsen trat wegen einer geringen Wahlbeteiligung zurück. Foto: dpa

BERLIN taz | Die Bremer Bürgerschaftswahl im Mai belegte einen traurigen Trend: In dem armen Stadtteil Blumenthal mit vielen Hartz IV-Beziehern lag die Wahlbeteiligung bei 31 Prozent. Ganz anders sah es in dem Villenviertel Bremen-Horn aus. Hier lag die Wahlbeteiligung bei 77 Prozent.

Wahlen sind in Deutschland längst nicht mehr sozial repräsentativ, das belegen mehrere Studien. Während die gut situierte Mittel- und Oberschicht ihre Interessen in der Wahlkabine artikuliert, bleiben Arme und Abgehängte zu Hause. Aber wie tickt er, der typische Nichtwähler? Das war bisher kaum erforscht. Eine Analyse der Bertelsmann Stiftung teilt jetzt die Masse der Nichtwähler anhand der Ergebnisse der Bundestagswahl 2013 in mehrere unterschiedliche Milieus auf.

Demnach ist die Wahlbeteiligung in den sozial schwächsten Milieus am niedrigsten. Besonders ausgeprägt ist die Wahlenthaltung bei den sogenannten „Prekären“ und bei den „Hedonisten“. Sie stellen zusammen ein gutes Fünftel aller Wahlbeteiligten, aber mit 6,6 Millionen Nichtwählern fast 38 Prozent aller Nichtwähler. Diese beiden Gruppen sind also in Wahlergebnissen deutlich unterrepräsentiert.

Sozialforscher definieren mit diesen Begriffen Milieugruppen. „Prekäre“ Menschen gehören der Unterschicht an. Sie sind sozial benachteiligt, haben starke Zukunftsängste und neigen zu Ressentiments. Als „Hedonisten“ bezeichnen Soziologen die spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht, die sich Erwartungen der Leistungsgesellschaft verweigert. Zu dieser Gruppe gehören viele junge Menschen aus Westdeutschland.

Wählen die besonders Kritischen nicht?

Das Ergebnis widerlegt Theorien, die in der Politik immer wieder zu hören sind. Eine davon äußerte CDU-Generalsekretär Peter Tauber im Juni. Nicht zu wählen, vermutete der CDU-Stratege, könne „ja auch Ausdruck von Zufriedenheit mit der Regierung sein“. Als vor der Bundestagswahl 2013 Intellektuelle wie der Sozialpsychologe Harald Welzer ihre Unzufriedenheit mit allen Parteien kund taten, stand plötzlich die Frage im Raum: Wählen vielleicht die besonders Kritischen nicht?

Beide Vermutungen werden von der Bertelsmann-Studie als Randerscheinungen entlarvt, die in der Masse der Nichtwähler keine Rolle spielen. „Nicht die Zufriedenen oder politisch besonders Kritischen verzichten auf ihr Wahlrecht, sondern vor allem sozial benachteiligte Menschen aus den Milieus der Unterschicht und der unteren Mittelschicht der Gesellschaft“, sagt Robert Vehrkamp, Demokratie-Experte der Bertelsmann-Stiftung.

Ganz anders sieht es in Milieus der oberen Mittelschicht und der Oberschicht aus. Im liberal-intellektuellen Milieu, also der aufgeklärten Bildungselite, lag die Wahlbeteiligung bei 88 Prozent. Zum Vergleich: Im Schnitt wählten bei der Bundestagswahl nur 71,5 Prozent der Wahlberechtigten.

SPD und Linke leiden darunter

Bei den Konservativ-Etablierten, dem klassischen Establishment, lag die Beteiligung bei 83 Prozent Und bei den sogenannten Performern bei 81,3 Prozent – so bezeichnen die Forscher effizienz- und leistungsorientierte Menschen, die global-ökonomisch denken. Auch das sozialökologische Milieu, das den Grünen nahe steht, ist überrepräsentiert.

Interessant ist das Wahlverhalten der bürgerlichen Mitte. Zwar ist die Wahlbeteiligung mit 78,4 Prozent auch noch überdurchschnittlich hoch. Aber dieses Milieu passt sich seiner Umgebung an. Je höher der Anteil der sozial Schwachen in einem Viertel liegt, desto niedriger fällt die Wahlbeteiligung in der bürgerlichen Mitte aus. Dieser Effekt funktioniert auch umgekehrt in gut situierten Viertel.

Die Forscher ziehen keine Rückschlüsse auf die Parteienlandschaft, doch jene liegen auf der Hand. Während die soziale Spaltung bei Wahlen die Konservativen, die Liberalen und die Grünen stabilisiert, leiden SPD und Linkspartei unter ihr. Ein Effekt, der sich auch in Bremen beobachten ließ: Die CDU bekam in dem Villenviertel Bremen-Horn fast 42 Prozent der Stimmen, die FDP sensationelle 22 Prozent.

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