Streit um die sogenannte Thaiwiese: Das schmeckt nicht allen

Die Wilmersdorfer Thaiwiese steht inzwischen in diversen Reiseführern. Den Anwohnern stinkt das illegale Spektakel seit Längerem.

Blick auf eine improvisierte Garküche

Essenszubereitung auf der Thaiwiese Foto: André Wunstorf

BERLIN taz | Samstagnachmittag. Die Sonne scheint. Im Preußenpark in Wilmersdorf, den Berlins Asiaten „Thaiwiese“ nennen, wird an unzähligen kleinen Ständen Essen gebrutzelt. Auf mitgebrachten Campingkochern wärmen Thailänderinnen Gerichte auf, die sie zu Hause zubereitet haben. Eine Frau steckt Hühnerspieße in den Topf. 1 Euro kostet einer. Ihre Standnachbarin mixt Papayasalat. Papaya, Möhren und Gurken liegen fein geraspelt neben ihr auf der Bastmatte. Erdnüsse, Knoblauch, Zitrone und Chili kommen in den Mörser. Für 5 Euro wechselt ein solcher Salat den Besitzer.

Legal ist das nicht. Die Verkäufer zahlen keine Steuern. Es gibt kein fließendes Wasser. Und nach deutschen Hygienevorschriften sind Zubereitung und Verkauf von Lebensmitteln auf einer Grünfläche untersagt. Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf ist die Thaiwiese seit etwa zwei Jahren politischer Konfliktstoff.

Anwohner haben sich beim Bezirksamt über das zu laute Treiben und die Geruchsbelästigung beschwert. Der Park sei vermüllt, die Wiese mehr Staubwüste als Rasen. Und da es kaum öffentliche ­Toiletten gibt, verrichteten viele Gäste ihre Notdurft in der Umgebung. Das stinkt den Anwohnern.

„Wir wollen unsere Grünfläche zurückhaben. Wer asiatisch essen will, kann das in Gaststätten tun“, sagt etwa Rentnerin Almuth B. Kontrolleure vom Bezirksamt konnten den Verkauf noch nicht nachweisen. Preisschilder fehlen, und wenn die uniformierten Kontrolleure auftauchen, geben die Verkäufer an, sie würden hier lediglich für Freunde auftafeln.

Zwei Menschen essen im Stehen mit Stäbchen von einem Plastik-Teller

Guten Appetit Foto: André Wunstorf

Auch Gewerbetreibende hätten sich über die Ungleichbehandlung beschwert, sagt der grüne Bezirkspolitiker Christoph Wapler. Sie selbst müssten Steuern zahlen, das Gesundheitsamt würde ihre Restaurants kontrollieren, hier hingegen werde alles geduldet.

Doch gerade das Spontane ist es, was die Attraktivität der Thaiwiese ausmacht. Für Kholakhan R. aus Steglitz steht sie für das liebenswerte Berlin: Hier ist es arm, aber sexy. „Wenn schönes Wetter ist, komme ich jedes Wochenende hierher mit meiner Familie“, sagt der Laote. „Hier treffe ich meine Freunde. Hier kann ich asiatisch essen.“ Er sitzt mit Frau, zwei Kindern und mehreren Landsleuten auf einer Decke. Die Kinder dürfen eine Kokosnuss austrinken.

Auch Andrea F. aus Köpenick hat sich mit ihren Thüringer Verwandten eine Decke im Park geteilt. „Wo sonst in Berlin gibt es authentisches Straßenessen?“, fragt die Mittfünfzigerin, die schon Thailand, Singapur und Malaysia bereist hat. Dass die Szenerie nicht legal ist und die deutsche Lebensmittelaufsicht die Brutzelei auf der Thaiwiese nicht kontrolliert, weiß die Frau. „Mein Kollege wohnt hier gleich um die Ecke. Er hat noch nie hier gegessen. Aber ich finde das Quatsch. Da dürfte man im Urlaub in Asien gar nichts essen.“

Eine Besucherin der Thaiwiese

„Hundertprozentig sauber kann das Essen nicht sein“

Entstanden ist die Thaiwiese in den 1990er Jahren. Damals trafen sich hier Berliner Thailänderinnen an Wochenendtagen und brachte ihre heimatlichen Gerichte zum eigenen Verzehr mit. Rund 5.000 Thailänder wohnen in Berlin. Die Community ist sehr weiblich, gut 4.000 von ihnen sind Frauen. Es überwiegen die Jahrgänge über 45 Jahren. Deutsche Parkbesucher fragten, ob sie etwas kaufen dürften. So gesellte sich zur Geselligkeit der Kommerz. Die Preise sind zwar immer noch günstig, aber deutlich teurer als vor zwei Jahren.

Inzwischen steht die Thaiwiese in Berliner Reiseführern, und heute stellen die Thailänder unter den Verkäufern etwa zwei Drittel. Die Verkäuferszene ist größer und panasiatisch geworden. Viele Philippiner bieten ebenfalls Pfannengerichte an. Vietnamesen verkaufen frische Kräuter, Suppen und Drinks. An einem Stand von Kambodschanern gibt es frittierte Ameisen, Grillen und Mehlwürmer. Und Koreaner bieten Maultaschen und Gemüsekuchen an. Zu den kulinarischen Angeboten gesellen sich Dienstleistungen. Einige Thailänderinnen massieren Interessenten auf den Decken: 30 Minuten Schultern und Rücken für 15 Euro. Vietnamesinnen haben Nageldesign im Angebot.

Bunte Marktstände

Preisschilder fehlen an den Ständen Foto: André Wunstorf

Eine Insiderin erzählt der taz: „Es ist längst nicht mehr so authentisch wie vor acht Jahren, als ich nach Berlin zog. Heute geht es ums Geldmachen.“ Sie will wissen, dass einige Verkäuferinnen jeden Sommer für drei Monate mit einem Touristenvisum aus Thailand kommen, um hier Geld zu verdienen. Auch die thailändische Botschaft nutze die Fläche zu Propagandaveranstaltungen unter Landsleuten an nationalen Feiertagen, erzählt sie.

Verbieten wollen die Bezirkspolitiker die Thaiwiese nicht. Dazu ist sie inzwischen viel zu sehr Touristenattraktion. Aber es soll in gesetzliche Bahnen gelenkt werden. „Da haben wir in der Bezirksverordnetenversammlung einen überparteilichen Konsens“, sagt der Grüne Christoph Wapler. Das bestätigt sein Kollege Christoph Brzezinski von der CDU. „Wir wollen die Szene nicht verdrängen, sie aber in rechtlich korrekte Formen überführen.“ Etwa indem es einige feste Verkaufsstände gibt, für die Verkäufer dann Miete und Steuern zahlen und vom Lebensmittelamt überwacht werden.

Einem Antrag der Grünen zufolge, der in der Bezirksverordnetenversammlung angenommen wurde, soll eine Lösung gemeinsam mit der thailändischen Community gefunden werden. Doch wie soll das gehen?

In Berlin gibt es laut einem Verzeichnis des Berliner Integrationsbeauftragten lediglich einen buddhistischen thailändischen Verein. Ein Anruf der taz dort schlug fehl, weil niemand Deutsch spricht. Zudem ist die Szene eben längst panasiatisch.

Ein kleiner Hund schaut auf einen Teller

Auch Hunger? Foto: André Wunstorf

Eine Gruppe deutsch-thailändischer Ehepaare, die die fernöstliche Atmosphäre genießen, sitzt am Rand der Thaiwiese auf Bänken. Sie hätten gegen gesetzliche Rahmen nichts einzuwenden. „Hundertprozentig sauber kann das Essen hier nicht sein, auch wenn einige Verkäuferinnen Handschuhe tragen. Der Wind weht doch Staub darauf, und auch Hunde pinkeln auf die Wiese“, sagt eine ältere Dame. Ein Mann pflichtet ihr bei: „Nach dem Verzehr einer Hühnerkeule musste ich im Krankenhaus behandelt werden. Seitdem isst nur noch meine Frau hier, ich nicht mehr.“ Die Frau zeigt ihre Einkaufstüten und relativiert: „Ich kaufe nur noch Obst und Gemüse, weil das wirklich lecker ist. Kein Fleisch mehr.“

Eine andere Frau hingegen ist skeptisch: „Wenn die Verkäufer ein Gewerbe anmelden und alles machen müssten, was das Gesundheitsamt fordert, würden die Preise steigen und die Kunden wegbleiben. Das funktioniert nicht.“

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