Streaming von Vattenfall vs. BRD: Kreuzverhör um Mitternacht

Die mündliche Verhandlung des Falls Vattenfall gegen Deutschland wird per Video übertragen. Ein Einblick und die Frage: Was bringt das?

Ein Wasserbecken ähnlich einem Schwimmbecken, daneben geht ein Mann in weißem Schutzanzug

Klare Sicht im Atomkraftwerk Krümmel? Auch um Investitionen, die für dieses Kraftwerk gemacht wurden, soll es in der Verhandlung gehen Foto: dpa

Richter: Sie sind hier als Zeuge für den Kläger, Sie wurden vom Gericht geladen. Ich verstehe, dass Ihre Muttersprache Deutsch ist und dass Sie mithilfe eines Dolmetschers aussagen. Wenn irgendetwas unklar ist, sei es der Sprache wegen oder aus anderen Gründen, bitten Sie um Klarstellung. Wenn Sie es nicht tun, geht das Gericht davon aus, dass Sie die Frage verstanden haben und dass Sie darauf antworten.

Der Zeuge nickt.

Richter: Leider reicht ein Nicken nicht für das Protokoll. Sie müssen mit Ihrer Stimme Ja oder Nein sagen.

Zeuge: Jetzt an dieser Stelle?

Ein Tisch in U-Form. Rundherum Menschen in dunklen Anzügen und Kostümen, vor sich Notebooks, Wasserflaschen aus Plastik und diverse Ordner mit Papieren. Im Hintergrund raumhohe Fenster, die den Blick aus dem Gebäude der Weltbank auf die Häuser der gegenüberliegenden Straßenseite freigeben, eine Häuserzeile in einer Geschäftsstraße in Washington D.C.

Was hier verhandelt wird, ist nichts Geringeres als der deutsche Atomausstieg. In Gestalt des Aktenzeichens ARB/12/12, der Klage des schwedischen Konzerns Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland. Es ist ein ungewöhnlicher Prozess. Nicht nur, weil hier Deutschland verklagt wurde und das bislang erst das dritte Mal überhaupt ist. Sondern auch, weil die Parteien sich bemühen, etwas mehr Transparenz herzustellen, als das bei Schiedsverfahren sonst Standard ist. Etwas.

An der Kopfseite des Raums sitzt der Schiedsrichter, einer von dreien, vor einem weißen Regal gefüllt mit Aktenordnern, die schwarze Nummern tragen. 1 bis 24 sind zu sehen, daneben geht es weiter mit der 67. Dem Richter gegenüber, mitten in dem U, nehmen die Zeugen Platz. Wer wer ist, das müssen sich die Zuschauer selbst erschließen – Namensschilder sind nur vereinzelt im Bild. Vor den Zeugen macht ein silbernes Schild deutlich: „Witness“, Experten bekommen ein „Expert“. Der Zeuge, der gerade Platz genommen hat, ein älterer Herr, deutschsprachig, soll eigentlich etwas sagen zum Thema Investitionen, die in Erwartung einer bestimmten Laufzeit des Atomkraftwerks Krümmel getätigt wurden. Die Befragung hat begonnen, da geht der Vertreter von Vattenfall dazwischen.

Die Verhandlung ist so transparent wie eine Behörde, die einem bei der Anfrage nach der Veränderung des Radverkehrsanteils die Strichlisten der Verkehrszählungen vorlegt – und viel Spaß wünscht

Anwalt von Vattenfall: Entschuldigung, dass ich unterbreche, aber es sieht danach aus, als hätten wir hier eine prozessuale Angelegenheit. Wenn ich in diesen Papierstapel für das Kreuzverhör schaue, scheint es, dass er Annexe zu Expertenreports enthält, (…) die nicht von uns zur Akte gegeben wurden. Es sieht so aus, als ob die Beklagte unseren Zeugen anzweifeln will durch Dokumente, die nicht zur Akte gehören.

Wer Szenen dieser Art erleben will, muss sich, der Zeitverschiebung wegen, abends gegen sieben Uhr Mitteleuropäischer Zeit vor den Computer setzen. Er muss hoffen, dass der Stream funktioniert, nicht nur Ton, sondern auch Bild, sonst ist es schwierig herauszukriegen, wer spricht. Und er muss des Englischen mächtig sein, mitunter auch des Jura-Englischen.

Zwei Stunden, drei, vier, fünf, sechs geht das so, zwei Wochen lang, jeden Werktag. Nach einer Weile bekommt es, wie das mitunter so ist bei Prozessen, etwas Theatrales. Zeuge auf, Zeuge ab. Nächster Zeuge auf, Übersetzung hakt, Übersetzung funktioniert wieder, Zeuge ab. Zeuge auf, Fragen, Fragen im Kreuzverhör, Zeuge ab. Flipchart mit erklärungsbedürftiger Skizze auf, Flipchart ab. Nächster Zeuge auf. In den Hauptrollen der Richter und die Anwälte der beiden Parteien, im Hintergrund Statisten, die, teilweise mit Kopfhörern auf den Ohren, konzentriert zuhören und auf Notebooks tippen. Zwischendurch Assistenten, die noch mehr Papierstapel und Aktenordner bringen.

Anwältin der Bundesrepublik: Herr Vorsitzender, Sie werden sich daran erinnern, dass diese Dokumente vor einiger Zeit schon einmal Thema waren. Als die Kläger im September ihren Antwortvortrag eingereicht hatten, haben sie drei separate Expertenreports von Herrn Neumann eingereicht. Diese Reports, zwei von ihnen, hatten 40 und 32 Belege, auf die darin verwiesen wurde, aber die waren nicht bei den Reports selbst dabei. Wie es in der Verfahrensvorschrift Nummer 1, Abschnitt 13 heißt: Wenn eine Zusammenfassung in die Akte gegeben wird, die auf bestimmte Dokumente verweist, die darin aufgezählt, sind, dann gehören diese Dokumente zur Akte.

Ist das Transparenz?

„Es gibt sinnvolle Transparenz und es gibt eine Transparenz, die nicht gleichzusetzen ist mit einer Verbesserung des Verfahrens“, formuliert es Hartmut Bäumer, stellvertretender Vorsitzender von Transparency International. Ja, mit Stream sei auf alle Fälle besser als ohne Stream, keine Frage. Doch gleichzeitig verkettet das Verfahren einen seltsamen Gegensatz: Einerseits ein TMI, Too Much Information, vergleichbar etwa mit einer Behörde, die einem bei der Anfrage nach der Veränderung des Radverkehrsanteils in den letzten fünf Jahren die Strichlisten der Verkehrszählungen vorlegt und viel Spaß wünscht.

Der Vertrag: Energy Charter Treaty heißt das Abkommen, auf dessen Grundlage Vattenfall die Bundesrepublik Deutschland verklagt. 1998 ist es in Kraft getreten, mit dabei sind mittlerweile 49 Staaten, von Albanien über die Niederlande bis Usbekistan.

Der Ort: Das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) ist eine Schiedsgerichtsstelle, die zur Weltbank gehört. Am ICSID mit Sitz in Washington wurden in den gut 50 Jahren seines Bestehens mehr als 380 Fälle verhandelt. Aktuell sind hier 200 Verfahren anhängig – die Zahl der Klagen steigt seit einigen Jahren deutlich an. Deutschland und Schweden haben das ICSID-Übereinkommen in den 60er Jahren unterzeichnet.

Andererseits hat die Transparenz beim Schiedsverfahren Vattenfall vs. Bundesrepublik enge Grenzen: Die Videos werden vier Stunden später gestreamt als die Verhandlung eigentlich stattgefunden hat, um „vertrauliche und sensible Informationen“, eine Sprecherin nennt Schutzmaßnahmen gegen Angriffe als Beispiel, zu entfernen. Stream heißt dabei Stream: Nachträglich abrufbar sind die Inhalte nicht. Und ob und in welcher Form später ein Urteil oder ein Vergleich öffentlich sein wird – es ist alles noch unklar.

Anwältin der Bundesrepublik (fährt fort): Die Beklagte hat beim Erhalten dieser Expertenreports, die unsachgemäßerweise nicht mit der Hintergrund-Dokumentation, die in den Expertenreports in Listen zitiert ist, bereitgestellt wurden, diese Dokumente vom Kläger angefordert, und die Dokumente wurden bereitgestellt. Die Dokumente erscheinen übrigens – nach meinem Verständnis – auch in einer Excel-Tabelle, das von dem Gerichtssekretariat, oder eher der -assistenz, vorbereitet wurde. (…)

Selbst das Bundeswirtschaftsministerium, Vertreter der Bundesrepublik, zeigt sich skeptisch. „Was wir uns an Transparenz vorstellen, ist bei Weitem nicht erfüllt in diesem Verfahren“, sagt Sprecher Andreas Audretsch. Um gleich nachzusetzen: Unter Ceta, dem umstrittenen Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, werde es deutlich transparenter. Mehr Dokumente, die öffentlich seien, eine Auswahl der Richter nicht nach Gefallen, sondern aus einem Pool an Schiedsrichtern, klare Regeln, die sicherstellen sollen, dass die Richter nicht befangen sind – weil sie etwa eine der Parteien an anderer Stelle beraten.

Anwalt von Vattenfall: Herr Vorsitzender, (…) diese Dokumente wurden nicht zusammen mit den Expertenreports gesendet, weil sie sehr lang und umfangreich waren. Wir haben an das Gericht geschrieben und dargelegt, dass wir sie nach unserem Verständnis nicht einreichen müssen, weil sie so umfangreich sind und weil sie bereits erwähnt wurden. Die Beklagte hat widersprochen. Das Gericht hat dann – ich erinnere mich nicht mehr an die konkrete Nummer der Verfahrensvorschrift – gesagt, dass es an uns ist, zu entscheiden, was zur Akte gehört und was nicht. Und diese Dokumente wurden niemals zur Akte gegeben. (…) Wenn die Beklagte das mitten in dieser Verhandlung ändern will, dann müssen wir diskutieren, ob wir dem zustimmen, und dann brauchen wir eine kurze Pause. Manche der Dokumente sind ganz interessant, andere sind es nicht. Aber momentan sind sie nicht in der Akte und in diesem Bündel hier (Anm. d. Verf: er klopft auf einen Papierstapel) befinden sich Dokumente, die nicht zur Akte gehören. Punkt.

Richter: Lassen Sie uns kurz einen Schritt … über welche Dokumente sprechen Sie? (…)

Bäumer kritisiert noch einen Punkt: „Das Problem, das hinter einem solchen Verfahren steht, ist mit einem Videostream nicht gelöst.“ Mit Problem meint er: Die Abkommen, die überhaupt dazu führen, dass Unternehmen Staaten vor einer speziellen Gerichtsbarkeit verklagen. Abkommen, die selbst schon alles andere als transparent verhandelt wurden.

TTIP zum Beispiel, das in den Verhandlungen befindliche Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Wer genau da welche Interessen durchsetzt, die sich in dem Abkommen, in den Regeln zu den Schiedsverfahren und dann ganz konkret in einem Fall widerspiegeln – unklar.

Die USA haben, laut der Datenbank der UN-Welthandelsorganisation Unctad, von 16 Fällen, in denen sie verklagt wurden, noch nie einen verloren. Genauso wenig übrigens wie schwedische Unternehmen.

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