Stimmung in der Türkei zu Niederlanden: Erdoğan wittert Faschismus in Europa

Harsche Worte gegen die Niederlande und eine vertauschte Fahne auf dem Dach des Konsulats: Wie Politik und Medien den Hass säen.

Eine junge Frau mit hellblauem Kopftuch spricht in mehrere Mikrofone

Die türkische Familien- und Sozialministerin Fatma Betül Sayan Kaya Foto: reuters

ISTANBUL taz | Es regnet. Am Sonntagmittag wedelt nur noch ein kleines Grüppchen vor dem niederländischen Konsulat in Istanbul mit Türkeifähnchen. Vor dem Tor des Konsulats stehen Wasserwerfer und Mannschaftstransporter. Plötzlich brandet Jubel auf. Auf dem Gebäude steigt die türkische Fahne am Mast empor. Ein Mann steht auf dem Dach und schreit „Allahu akbar“. Es dauert vierzig Minuten, bis die Niederländer wieder ihre eigene Fahne haben. Wie der Mann auf das Dach kommen konnte, blieb ungeklärt.

Noch wenige Stunden zuvor, in der Nacht zum Sonntag, drängten sich um die tausend Demonstranten in der engen Straße. Die Stimmung war aufgeheizt, Eier und Steine flogen in Richtung der diplomatischen Vertretung. Das Äußerste verhinderte die Sondereinsatzpolizei. „Wäre sie nicht erschienen“, schrieb ein Beobachter, „hätten wir einen Sturm wie in Teheran erlebt“, damals im Jahr 1979, als ein Mob die US-Botschaft im Iran besetzte.

Bevor es so weit war, hatten Regierungsmitglieder, Abgeordnete und Medien die Stimmung stundenlang aufgeheizt. Die verweigerte Landeerlaubnis für den türkischen Außenminister in Rotterdam diente als Vehikel für diese Inszenierung.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan machte zur selben Zeit Wahlkampf für sein angestrebtes Präsidialsystem. Als ihm die Nachricht über die Einreiseverweigerung überbracht wurde, hielt er kurz inne und rief dann, die Nachkommen der Nazis, „die holländischen Faschisten haben unseren Außenminister nicht landen lassen. Sie werden dafür büßen müssen“.

Damit war der Ton gesetzt. Während Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya in Rotterdam dafür sorgte, dass die Show weiterging, überschlugen sich im Fernsehen die Kommentatoren. Es wurde nur noch vom „faschistischen“ Europa gesprochen, in dem Islamophobie und Türkenhass grassieren.

Noch in der Nacht zum Sonntag wurde dem niederländischen Botschafter, der sich derzeit in der Heimat aufhält, bedeutet, er brauche erst gar nicht nach Ankara zurückzukommen. Als Kaya aus Köln/Bonn kommend wieder in Istanbul gelandet war, beklagte sie sich bitterlich. Sie sei „harsch und unmenschlich“ behandelt worden und das auch noch als Frau, wenige Tage nach dem Weltfrauentag. Sie schaute, während sie dies sagte, nicht etwa empört aus, sondern lächelte zufrieden.

„Europa zeigt sein wahres Gesicht“

Während die Fernsehsender immer dieselben Bilder aus Rotterdam zeigten, wartete das ganze Land auf eine neue Erklärung Erdoğans. Erst am Nachmittag trat der „Reis“ (Führer), wie Erdoğan immer häufiger genannt wird, wieder vor die Öffentlichkeit: „In Europa herrscht eine gänzlich islamophobe Entwicklung. Der Nazismus im Westen lebt. Europa zeigt sein wahres Gesicht“, sagte er.

Dass jetzt auch noch die dänische Regierung den für den 20. März geplanten Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim abgesagt hatte, dürfte Erdoğans Meinung wohl noch verstärken. Der lobte unterdessen seine Familienministerin, die „Widerstand“ geleistet habe, und drohte den Holländern, sie würden für die unverschämte Behandlung seiner Minister die „Zeche bezahlen“.

Allerdings vermied es Erdoğan, konkreter zu werden. Außer dem Einfrieren der diplomatischen Beziehungen und einem Einreiseverbot für niederländische Politiker wurde keine Maßnahme benannt. Es gibt in der Türkei mehr als 2.000 niederländische Firmen. Sollten deren Aktivitäten eingeschränkt werden, würde dies der türkischen Wirtschaft insgesamt schaden.

Selbst der türkische Fußball könnte Schaden nehmen. Mit Wesly Snijder, Nigel de Jong und Robin van Persie, spielen drei berühmte niederländische Stars in der türkischen Süperlig. In den sozialen Netzwerken wird bereits gefordert, sie aus dem Land zu jagen.

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