Stephan Trüby über Architekturpolitik: „Die Vergangenheit neu erfinden“

Mit städtebaulichen Rekonstruktionen platziert die Rechte ihre Ideologie in der Mitte der Gesellschaft. Der Architekturprofessor über rechte Räume und Ästhetik.

Häuser in historischer Anmutung

Die Initiative zur Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt ging von einem rechtsradikalen Bündnis aus Foto: dpa

taz am wochenende: Herr Trüby, Sie haben in einem viel beachteten Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ aufgedeckt, dass die Initiative zur Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt von einem rechtsradikalen Bündnis ausging. Verfolgt die Rechte nicht nur auf dem Land eine strategische Raum- und Architekturpolitik, sondern auch in der Stadt?

Stephan Trüby: Wir unterschätzen die Rechte. Sie verfügt, wie meine Forschungen belegen, auch über eine Architekturtheorie. Claus Wolfschlag, ein völkischer Architekturtheoretiker, der für ein ganzes Spektrum rechter Publikationen schreibt, hat gemeinsam mit Wolfgang Hübner, einem rechtspopulistischen Frankfurter Kommunalpolitiker, die erste parlamentarische Initiative für die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt formuliert und eingereicht.

Was geschah dann?

Der Antrag wurde zunächst abgelehnt, jedoch ein wenig später von einem breiten Parteienbündnis übernommen. Das ist ein Fakt. Das Schlimme daran ist: Die Rechten setzen die Themen, und andere Parteien setzen sie um.

Was haben Sie gegen Rekonstruktionen?

Nichts, sofern sie nach Kriegen oder Katastrophen passieren. Natürlich ist nicht jede Rekonstruktion rechts motiviert. Nur: Wenn Rechte über Architektur sprechen, dann sprechen sie nahezu immer über Rekonstruktion. Mit dem scheinbar harmlosen Wiederaufbau beispielsweise einer Altstadt versuchen sie die Mitte der Gesellschaft zu erreichen. Wir müssen vielleicht punktuell mit Rechten reden, aber ganz bestimmt sollten wir nicht die Geschichtspolitik von Rechten bauen.

Welche Strategie verbirgt sich denn hinter der Rekonstruktionsarchitektur?

Ich habe in den letzten Monaten systematisch die Architekturberichterstattung von rechten Medienplattformen analysiert. Und da wird deutlich, dass sich die Rekonstruktionsarchitektur in Deutschland zu einem Schlüsselmedium der autoritären, völkischen und geschichtsrevisionistischen Rechten entwickelt hat. Mit dem Thema „Rekonstruktion“ können sich Rechte hinter einer scheinbar unpolitischen Fassade verschanzen – und dennoch höchst politische Fakten schaffen.

Fakten also, die Vergangenheit verklären.

Die Vergangenheit wird hier nicht nur verklärt, sondern neu erfunden. Denken Sie an Björn Höckes „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ oder Alexander Gaulands „1.000 Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte“. Das Frankfurter Heile-Geschichte-Gebaue soll einer scheinbar bruchlosen Nationalgeschichte zuarbeiten.

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Man will also nicht mehr an die Nazis und den Holocaust erinnert werden.

Die Trauer um die zerbombten Altstädte in Deutschland ist historisch stark von ehemaligen Luftschutzaktivisten und anderen NS-Funktionsträgern geprägt worden. Sie relativierten frühzeitig den Holocaust mit ihrer Rede vom „Bombenholocaust“. Der britische Publizist David Irving spielte hier eine zentrale Rolle. Wer sich heute auf den Internetseiten von entsprechenden Stadtbild- und Rekonstruktionsvereinen herumtreibt, stößt zuweilen auf eine Täter-Opfer-Umkehr, die ohne Irving und Konsorten nicht zu denken ist …

… und die auf die rechte Rede vom „Ende des Schuldkults“ hinausläuft. Reiht sich der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses hier mit ein? Versucht man auch da eine lineare, ungebrochene deutsche Geschichte neu zu erfinden?

Ich war eine Zeit lang Jurymitglied für die Museumsgestaltung des Humboldt-Forums im Berliner Stadtschloss. Als ich dort noch tätig war, dachte ich, dass man Kunstwerke, Artefakte, Fotografien und Architekturen nach dem Vorbild der Appropriation Art wiederholen und sie zu emanzipatorischen Artikulationen machen könnte. Inzwischen glaube ich aber nicht mehr daran. Nahezu jedes Rekonstruktionsprojekt geht mit einem reaktionären Geschichtsverständnis einher. Zwar hat sich meines Wissens nach keiner der Akteure hinter der Berliner Stadtschlossrekonstruktion jemals für ein „Ende des Schuldkults“ ausgesprochen. Aber auch hier soll mithilfe eines Bauwerks eine scheinbar ungebrochene deutsche Nationalgeschichte erzählt werden.

Eine Nationalgeschichte ohne DDR?

Die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses ist ein Akt der Geschichtspolitik, die das Experiment des Sozialismus in Deutschland, die Geschichtsepoche der DDR, auf einer symbolischen Ebene ausradiert hat. Ich behaupte, dass das, was jetzt entstanden ist, keineswegs besser ist als der Palast der Republik. Ich glaube auch nicht, dass eine Rekonstruktion der schinkelschen Bauakademie notwendigerweise besser wird als das Außenministerium der DDR, das dort einige Jahrzehnte stand und abgerissen wurde. Hier geht es um die Siegerarchitektur der BRD über die DDR. Insofern arbeiten auch diese Rekonstruktionen wie so viele andere einer bereinigten deutschen Geschichte zu.

Welche meinen Sie?

Der Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam wird von einem breiten politischen Spektrum realisiert, das nichts mit Rechtsradikalismus zu tun hat. Aber auch hier dürfen sich Rechtsradikale die politische Initiative auf die Fahne schreiben. Und können so besser in die Mitte der Gesellschaft vordringen.

Was ist mit der Frauenkirche in Dresden?

Ich war für die Rekonstruktion der Frauenkirche, weil da nichts Neues zerstört wurde, die Steine noch vor Ort lagen. Aber natürlich gibt es indirekte Verbindungen von übertriebenem Dresdner Lokalstolz zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. So zirkuliert im Netz das Foto eines Dresdner Neonazis, der sich auf den Rücken das Bild der Frauenkirche tätowieren ließ. Darüber steht kein Nazispruch wie „Unsere Ehre heißt Treue“, sondern schlicht „Elbflorenz“.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Rekonstruktion des „Elbflorenz“ und den Pegida-Demonstrationen?

Die Pegida-Demos nur auf die in Dresden sehr starke Rekonstruktionsbewegung zurückzuführen wäre falsch. Aber Dresden ist eine historisch überkodierte Stadt, und viele Dresdner leben leider in einer irrationalen Opferidentität. Daraus resultiert ein unkanalisierter Lokalstolz, der gesellschaftspolitisch in Teilen der Bevölkerung zu Ausgrenzung und Xenophobie führen kann.

Die rekonstruierte Architektur stärkt die Rechtspopulisten?

Schauen Sie, Stuttgart ist im Vergleich zu Dresden eine unterkodierte Stadt, die unter einem Hässlichkeitsverdacht steht. In den Bruchstellen von Stuttgart können sich Migranten problemloser einfügen, auch etwas Eigenes aufbauen. Hier gab es noch nie eine Pegida-Demonstration. Auch eine Karriere wie die von Cem Özdemir wäre in Dresden vollkommen unmöglich gewesen. Eben auch aufgrund des übermäßigen Lokalstolzes.

Sie wurden nach Ihrem Artikel über die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt als „Ideologe moderner Architektur“ bezeichnet – als „Luxus­anti­faschist“ und „Anhänger der Sühnearchitektur“, die die deutschen Städte mit Betonbrutalismus und Traditionsverachtung verschandelt hätten. Haben Sie diese Angriffe getroffen?

Diese Angriffe habe ich so erwartet und sie mir geradezu herbeigewünscht, da sie sehr deutlich den enthemmten Hass hinter der vermeintlich bürgerlichen Fassade vieler sogenannter Altstadtfreunde abbilden. Im Übrigen glaube ich, dass der Antifaschismus durchaus auch von konservativen und meinetwegen auch luxusaffinen Menschen kommen sollte. Wenn Konservative keine Antifaschisten mehr sind, dann sind wir verloren.

„Ist Fachwerk faschistisch?“, fragte eine große überregionale Zeitung nach Ihrem Artikel.

Dankwart Guratzsch hat in der Welt fälschlicherweise behauptet, dass für mich Fachwerk faschistisch sei. Ein völliger Unsinn. Das Wort Fachwerk tauchte in meinem Artikel nicht mal auf. Diese Behauptung hat er von Roland Tichy, der mich in seinem rechtspopulistischen Blog „Tichys Einblick“ angegriffen hatte, kalkuliert übernommen. Weil er genau weiß, dass es bei dem Stichwort „Fachwerk“ um die kollektive Identität Deutschlands geht. Da werden Emotionen geweckt, da kann man einen Shitstorm erzeugen, da kann man diesem Prof mal so richtig eins reindrücken. Aber mehr als tausend Menschen solidarisierten sich mit mir gegen die Desinformationspolitik von Guratzsch und anderen, dar­unter viele prominente Architekten, Philosophen und Historiker aus ganz Europa.

Stephan Trüby trägt ein Hemd und verschränkt seine Arme

„Die rekonstru­ierte Altstadt gaukelt uns eine stabile Identität vor“, sagt Stephan Trüby Foto: Verena Müller

Und zwar mit der Unterzeichnung eines offenen Briefes, in dem ein „Rekonstruktions-Watch“ gefordert wird.

Darüber habe ich mich sehr gefreut. Der Rekonstruktions- Watch ist ein Aufruf zur Achtsamkeit, ein Warnruf, der uns darauf hinweist, dass bestimmte Milieus durch Rekonstruktionen versuchen, den Mythos einer bruchlosen deutschen Geschichte in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Wir sollten ganz genau beobachten, mit wem wir da eigentlich Stadtpolitik betreiben. Und dafür wäre ein Rekonstruktions-Watch wichtig.

1970 in Stuttgart geboren, ist Professor für Architektur und Kulturtheorie und Direktor des Instituts für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGMA) der Universität Stuttgart. Er publiziert regelmäßig politische Debattenbeiträge.

Der Fall Frankfurt: Im April veröffentlichte er in der FAS einen Beitrag darüber, wie Rechts­radikale an der Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt beteiligt waren.

Entsteht der Wunsch nach Rekonstruktionen nicht viel eher durch ein Unbehagen an moderner Architektur?

Viele Menschen verspüren angesichts der Globalisierung eine neue Unsicherheit und auch eine Überforderung des Nicht-mehr-Mitkommens. In anderen Zeiten haben wir Neues besser ertragen. Es gibt eine Sehnsucht nach Pseudostabilitäten: Die rekonstruierte Altstadt gaukelt uns eine stabile Identität, Heimat und Nationalgeschichte vor.

Sprechen wir hier nicht auch von ästhetischem Unbehagen? Ihr Büro, in dem wir hier reden, befindet sich in einem brutalistischen Betonhochhaus in der Mitte von Stuttgart. Können Sie verstehen, dass viele Menschen solche Gebäude hässlich finden?

Schönheit oder Hässlichkeit sind Begriffe, die wissenschaftlich nicht haltbar sind. Sobald etwas hundert Jahre alt ist, finden wir es schön. Da setzt dann automatisch ein Romantisierungsprozess ein. Der Brutalismus glaubte nach dem Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkrieges an eine optimistische, planbare, bessere Zukunft. Das Wort leitet sich nicht von „brutal“, sondern vom französischen béton brut, vom rohen Beton, ab. Es ging den Brutalisten um die rohen, ehrlichen Oberflächen, die nicht verputzt und verkleidet werden. Es ging um eine Art gebaute Ethik, um eine „Hart, aber herzlich“-Optik.

Und in hundert Jahren werden die Menschen den Brutalismus als schön empfinden?

Davon bin ich überzeugt. Das tun sie ja auch teilweise jetzt schon.

Was sind denn eigentlich „rechte Räume“?

Sie sind keine Architekturen, sondern Territorien. Rechte Räume sind manchmal in Städten zu finden, vor allem aber auf dem Land. In manchen Regionen findet man beispielsweise auch völkische Siedlungen. Dort wird der Erhalt einer „reinen Volksgemeinschaft“ jenseits der multikulturellen Zentren unter dem Motto „Blut und Boden“ geprobt.

Wie entstehen diese völkischen Siedlungen?

Durch den Ankauf billiger Immobilien in verlassenen Dörfern. So lässt sich leicht eine rechte kulturelle Hegemonie herstellen.

Haben Sie ein Beispiel?

In einer konzertierten Aktion zogen zum Beispiel ein neonazistischer Steinmetz, ein Kunstschmied, eine Buchbinderin und eine Hebamme in ein kleines Dorf in der Mecklenburgischen Schweiz. Auch die Kinder kamen mit, und die Hebamme ist natürlich für die Fortpflanzung wichtig. Plötzlich sitzt ein Nazi im Elternbeirat. Außerdem helfen sie den Einheimischen, sind eigentlich ja auch ganz nett. Das Dorf kippt und wird nach und nach zu einer völkischen Siedlung.

Halten Sie das für ein ostdeutsches Phänomen?

Nicht nur. Solche Siedlungen gibt es auch im Westen. Dort sitzen im Übrigen auch viele Geldgeber, die diese ostdeutschen Dörfer mitfinanzieren. Aber die völkischen Siedlungen sind nur ein Teil der Strategie. Man braucht auch Orte der Sammlung und Zentren. Gerade AfD-Politiker und Menschen aus dem rechten Milieu hegen eine Präferenz für Rittergüter und Ritterburgen. Der bekannteste unter ihnen ist sicherlich Götz Kubitschek mit seinem Verlag und seiner Zeitschrift auf dem Rittergut in Schnellroda. Von dort sollen die rechtsradikalen Ideen ins Land getragen werden.

Woher kommt die Vorliebe für maro­de Ritterburgen?

Das Hassdatum vieler Rechter ist die Französische Revolution 1789. Die Abschaffung der Feudalgesellschaft. Die Abschaffung einer vermeintlich natürlichen Gesellschaftsordnung. Die gebauten Symbole hierfür sind Ritterburgen und Schlösser. Sie fügen sich wunderbar in nationalromantische Traditionen und patriarchale Gesellschaftsordnungen ein.

In was für einem Haus sind Sie aufgewachsen?

In einem suburbanen Einfamilienhaus mit Satteldach. Der Brutalismus war bei uns allerdings Familiengespräch, weil mein Onkel die meisten katholischen Kirchen Deutschlands gebaut hat, viele davon im brutalistischen Stil.

War es dann Ihr Onkel, der Sie zur Architektur gebracht hat?

Es gibt diesen familiären Kontext mit vielen Architekten in der Verwandtschaft. Aber da war noch etwas anderes. Es gab eine prägende Erfahrung im Jahr 1983. Ich war 13 und bin an einem neblig-grauen Novembertag mit meinen Eltern an der Neuen Staatsgalerie in Stuttgart vorbeigefahren. Sie stand kurz vor der Eröffnung. Ich sehe noch heute diese bunten, bonbonfarbenen Geländerrohre der Neuen Staatsgalerie vor mir. Wie eine Heiligenerscheinung bei miesem Wetter. Das war Pop, damit konnte ich mich identifizieren. Ich war begeistert.

Und trotz ihrer Kritik: Wie gefällt Ihnen denn nun die neue Frankfurter Altstadt?

Da kann man bestimmt mal einen Kaffee trinken. Sie ist ein erträglicher Hintergrund. Aber sie ist kein Stadtviertel geworden, das die Auseinandersetzung mit guter Architektur lohnen würde. Die rekonstruierten Häuser sind schlecht geschnitten, schlecht belichtet, sie haben teils hübsche Ornamente, aber das war es dann auch. Allein die Ideologie, die dahintersteckt, lohnt eine Auseinandersetzung.

Was hätten Sie sich für die neue Frankfurter Altstadt gewünscht?

Einerseits ein geschichtsbewusstes Bauen, das an eine Tradition anknüpft und trotzdem nicht so tut, als wäre nichts gewesen. Eine Architektur, die raffiniert mit Brüchen, Anschlüssen und Gegenwärtigem umgeht. Einige wenige Neubauten, die dort zwischen den Rekonstruktionen errichtet wurden, gehen übrigens in diese Richtung.

Welche Stadt finden Sie architektonisch am spannendsten?

Städte mit Brüchen. Mit ablesbarer Geschichte. Dazu zähle ich eine Metropole wie London, aber auch moderne Großstädte wie Rotterdam oder Stuttgart. In diesen Städten wird man immer wieder mit vermeintlich Unpassendem konfrontiert. Das setzt das Denken frei.

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