Stellenabbau in der Schulsozialarbeit: Zerschnittene Schnittstelle

Die Allgemeine Berufsschule hat nur noch die Hälfte ihrer bisherigen SozialpädagogInnen. Das betrifft auch die Sprachlernklassen für jugendliche Flüchtlinge

Innerhalb von zwei Jahren ist die Anzahl der Sprachlernklassen in der Allgemeinen Berufsschule von sechs auf 20 gestiegen. Bild: dpa

BREMEN taz | „Wir sind wirklich in Not“, sagt Karsten Krüger, Lehrer an der Allgemeinen Berufsschule (ABS). „Allgemein“ heißt Krügers Schule, weil dorthin alle kommen, die es sonst nirgends schaffen: Jugendliche ohne Hauptschulabschluss, Jugendliche, die aus verschiedensten Gründen als „nicht ausbildungsreif“ gelten. An Krügers Schule hat sich die Zahl der SozialpädagogInnen mehr als halbiert. 5,7 Stellen gibt es noch.

Deren vielfältige Funktionen könne man als Lehrkraft nicht einfach mitübernehmen, sagt Krüger. Entscheidend verschärft würde die Situation durch das rasche Wachsen der Sprachlernklassen, die jugendliche Flüchtlinge und Spätzuwanderer aus Osteuropa aufnehmen. „Derzeit müssen wir praktisch jeden Monat eine neue Klasse aufmachen“, sagt Krügers Kollegin Elke Koch.

Vor zwei Jahren gab es an der ABS sechs Sprachlernklassen, aktuell sind es bereits 20. Insgesamt wuchs die Schule in den letzten drei Jahren von 550 auf 850 SchülerInnen – es ist die einzige Bremer Schule mit deutlichem Wachstum. Und die einzige, die nicht nur zu Schuljahrbeginn, sondern aufgrund der Problemlagen der Betroffenen ganzjährig einschult.

„Die Schüler unterscheiden sich sehr deutlich von denen anderer Schulen“, bestätigt Martina Rothgänger vom Zentrum für Schule und Beruf (ZSB), die mit der Berufsschule eng kooperiert. Die Jugendlichen seien „oft sehr orientierungslos“. Andererseits sei begeisternd, welche Fortschritte, welche Zuwächse an Selbstvertrauen möglich seien, wenn die Jugendlichen erste gute Erfahrungen an der ABS gemacht hätten. Manchmal träten persönliche Ressourcen zu Tage, berichtet Rothgänger, „die man sich nicht hätte träumen lassen“.

Der Wegfall der sozialpädagogischen Stellen ist der prekären Mittellage des ZSB geschuldet, die sich als „Schnittstelle von Schulsozialarbeit und Jugendberufshilfe“ definiert. Bis 2010 habe es eine relativ stabile Personalsituation gegeben, sagt Jörg Achenbach vom ZSB. Seither bröckle es jedoch an vielen Stellen. Das ZSB leistet seine Arbeit auf der Grundlage einer Patchwork-Finanzierung, mit immer wieder neu zu beantragenden Projektmitteln verschiedener Träger.

Die Ressorts für Soziales und Bildung mussten bereits Ende 2012 kompensierend eingreifen, als Drittmittel wegbrachen. Bildung erhöhte seine Förderung nach Angaben von Ressortsprecherin Christina Selzer damals um 90.000 Euro auf insgesamt 360.000. Soziales gab 120.000 Euro zusätzlich. Nun aber, sagt Achenbach, sei nach dem Auslaufen von Mitteln des Europäischen Sozialfonds, die über den Bund vergeben werden, kein Nachfolgeprogramm mehr beantragbar: Die Zielgruppe der nicht ausbildungsreifen Jugendlichen komme in der Förderlandschaft nicht mehr vor. Für Maßnahmen des Arbeitsamtes seien sie wiederum zu jung.

Aber erleichtert die kürzlich eingeführte Budgetierung der Berufsschule nicht den Umgang mit solchen Schwierigkeiten? Seither hat sie selbst die Finanzhoheit über ihre Angelegenheiten. „An der schulischen Basis kommt davon aber nichts an“, sagt Kemal Diskaya, Fachbereichsleiter der ABS für Berufsorientierung.

Während früher eine sozialpädagogische Kraft an der ABS für drei Klassen zuständig war, ist sie es jetzt für zehn. Nicht zuletzt in den Sprachlernklassen führt das zu eklatanten Engpässen. „Wir haben immer wieder Schülerinnen und Schüler“, sagt Lehrerin Koch, „die plötzlich von Flashbacks überfallen werden“: Die Erinnerung an traumatische Erlebnisse etwa während der Flucht bricht plötzlich durch. Mit solchen Situationen sind die Klassenlehrerinnen in Gegensatz zu früher nun weitgehend allein. Sie müssen ärztliche Hilfe organisieren und gleichzeitig für die übrige Klasse da sein.

Im „normalen“ Alltag sind Sozialpädagogen nicht nur gefordert, wenn die Schüler nicht zum Unterricht erscheinen, sondern auch als Kontaktpersonen zu den Betrieben. Den Berufspraktika kommt besondere Bedeutung zu: Krüger bezeichnet sie „als einzige Chance“ auf einen Ausbildungsplatz für die oft mit schlechten Zensuren belasten SchülerInnen. Doch diese Möglichkeit, im direkten Kontakt den künftigen Lehrbetrieb zu überzeugen, hänge wesentlich an der Vermittlungsarbeit der SozialpädagogInnen.

„Es ist extrem frustrierend“, sagt Karsten Krüger, „dass wir immer weniger Jugendliche in reguläre Ausbildungsverhältnisse vermitteln können.“ Auch das Erreichen eines Schulabschlusses sei wesentlich seltener geworden. Für Bremen ist das teuer: Jede weitere Warteschleife, die junge Erwachsene in diversen Fördermaßnahmen verbringen, belastet die öffentlichen Haushalte.

Die geschilderte Situation bedeute „für den gesamten Senat eine Herausforderung“, sagt Bernd Schneider, Sprecher des Sozialressorts, auf Nachfrage. Der Senat habe die Mittel speziell zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen bereits deutlich aufgestockt. Klar sei jedoch auch weiterhin: „Wir werden diese Jugendlichen nicht einfach im Regen stehen lassen.“ Auch Bildungsressort-Sprecherin Selzer versichert: „Wir werden gemeinsam nach einer Lösung suchen.“

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