Standpunkt Öko-Jagd: Wald gegen Wild

Die alten Trophäen-Jäger bekommen Konkurrenz: Ökojäger jagen „effektiv”. Der Gesetzgeber muss sie fördern.

Süß sind die Rehe, aber ein Problem für die Triebe der Laubbäume. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Die Jagd wird immer beliebter. Zumindest wenn man den Angaben des Deutschen Jagdschutzverbands glaubt, steigt die Zahl der Jäger von Jahr zu Jahr. Die Sehnsucht nach der „besonderen Naturerfahrung“ steht scheinbar im Einklang mit Ansprüchen unserer Ökosysteme. Jagd ist angewandter Naturschutz – sagen traditionelle Jäger. Am Beispiel der Wälder aber zeigt sich: weit gefehlt.

Denn die Jäger bleiben hinter ihrem Versprechen, zum Erhalt des ökologischen Gleichgewichts in der Natur beizutragen, häufig zurück. Im Gegenteil. Jagd ist heute für den Wald überwiegend eine Belastung. Protest regt sich – auch in den eigenen Reihen. Der „Ökologische Jagdverband“ liegt regelmäßig im Clinch mit dem traditionell ausgerichteten Jagdschutzverband.

Der Grund: Die Mehrheit der rund 350.000 Jäger in Deutschland jagt nach einem Vorbild, das 1934 im Reichsjagdgesetz festgesetzt wurde. Am Jagdrecht hat sich seitdem nichts Entscheidendes geändert. Jagd ist vor allem das Sammeln von Trophäen. Wald ist der Hindernisparcours, Wild das alleinige Ziel. Förster sind Erfüllungsgehilfen der Jäger. Der Zustand vieler Wälder – meist Monokulturen mit wenig Laubbaumbestand – verrät etwas über die Auswirkungen dieser Rollenverteilung.

Der Konflikt „Wald gegen Wild“ entflammt entlang der Zahl der Wildtiere. Naturschützer und Waldbesitzer warnen seit langem vor rasant steigenden Wildbeständen. Diese schießen anscheinend ausgerechnet wegen der Jäger in die Höhe. Wie kann das sein? Die Waldfreunde werfen den Waidmännern vor, Wildbestände durch Winterfütterungen künstlich aufzupäppeln. Erhöhte Abschusszahlen scheinen das zu belegen. 

Der Wald wird gefressen

Das Problem: Gerade Reh, Rot- und Damwild fressen mit Vorliebe die Triebe junger Laubbäume. Die Naturverjüngung, also das Nachwachsen des Waldes aus eigener Kraft, wird wortwörtlich aufgefressen. Die jährlichen Schäden durch sogenannten Verbiss sind enorm. Das vermehrte Futterangebot auf den Feldern durch Energiepflanzen wie Mais tut sein übriges.

Massentierhaltung in den Wäldern? Die Winterfütterung, die der Jäger staunenden Laien als Akt christlicher Nächstenliebe verkauft, kann bei näherer Betrachtung nur dem Wunsch dienen, aus einem möglichst großen Genpool die besten Trophäenträger herauszusammeln. Die Grünen fordern darum die Abschaffung des Durchfütterns von Tieren, die in der kalten Jahreszeit von Natur aus gar nicht überlebt hätten.

Selbst in der Jägerzunft kommen Zweifel auf. Anhänger der ökologischen Jagdverbände rütteln kräftig am traditionellen Jagdwesen und nehmen die aus ihrer Sicht überkommenen Jagdpraktiken ins Visier. Sie fordern ein Ende der Trophäenjagd und setzen dieser ein zeitgemäßeres Modell entgegen. Das heißt konkret, weniger allein herumsitzen auf der Jagdkanzel bis zur Morgenröte.

Statt dessen wird „effektiv gejagt“, etwa in Form von Gruppenjagden wie Drückjagden, wo Treiber durch den Wald gehen und das Wild auf die Schützen zutreiben. Nach einem Treiben hat der Wald dann wieder für lange Zeit seine Ruhe. Diese Praxis schafft die notwendigen, höheren Abschusszahlen. So eine Jagd wirkt für die traditionellen Jäger aber wie ein arg zauberloser, unromantischer Arbeitseinsatz.

Ohne Blei und ohne Schall

Zur modernen Jagdart gehören bleifreie Munition und vielleicht bald Schalldämpfer, das Ende der tierquälerischen Fallenjagd, veränderte Schonzeiten, vorübergehend höhere Abschusszahlen, sowie der Verzicht auf alle traditionellen Praktiken, die der Qualität des Wildfleisches im Weg stehen. Zum Beispiel das „Verblasen“ (Jagdhornblasen) der „Strecke“ (erlegtes Wild) nach der Jagd.

Hier werden alle Tiere nochmal in Reihe eng aneinander gelegt und den Jägern präsentiert. Für die Qualität des Wildfleisches ist das aber nachteilig, das Fleisch sollte möglichst schnell auf vier Grad heruntergekühlt werden. Außerdem können so Keime und Krankheiten, die ursprünglich nur ein Tier befallen haben, leichter auf andere überspringen.

Wolf, Luchs und Fuchs sind keine Feinde der „Neo-Jäger“ mehr. Würden die neuen Jäger sich durchsetzen, wäre es sicher allmählich vorbei mit dem Bild des Jägers als dem Hüter einer Jahrhunderte währenden Tradition. Er wäre ein Servicemitarbeiter für den Wald und die Gemeinschaft. Jagd als Dienstleistung? Allein zahlenmäßig sind die reformierten Jäger den traditionellen bisher aber weit unterlegen.

Trotzdem spricht einiges dafür, dass hierin die Zukunft eines Jagdhandwerks liegt, das auch einer waffenlosen Gesellschaft vermittelbar ist. Denn die macht Anstalten, Töten als Hobby nicht länger zu akzeptieren. Gerade der Tierschutz wurde von zu vielen Jägern in der Vergangenheit mit Füßen getreten. Das hat Konsequenzen. Seit 2012 gibt es ein erstes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das die Jagdausübung begrenzt. 

Das Ende der Gutsherrenart

Grundstückseigentümer können nun ihr Land aus ethischen Bedenken zum befriedeten Bezirk erklären. Daraus ergeben sich zwar neue Probleme. Aber die Jäger müssen mehr denn je um Akzeptanz werben. Bisher regierten sie Wald und Flur nach Gutsherrenart. Die Änderungen am Jagdrecht sind überfällig. Für ein modernes Wildtiermanagement brauchen wir neue Regeln. Daher gehört das Thema Jagd auf die Tagesordnungen der Landtage.

Einige Bundesländer sind bereits eingestiegen in die Überprüfung ihrer Jagdgesetze. Eine zeitgemäße Jagd muss sich dem Natur- und Tierschutz sichtbar unterordnen - nicht umgekehrt. Denn für die Jäger muss gelten: Wer in Deutschland im 21. Jahrhundert die Lizenz zum Töten erhält, muss dafür Argumente liefern können. Aus der Gegenwart.

Benjamin Raschke ist Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Brandenburg. Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 3/2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.