Stadtführung in Marxloh: Das Nebeneinander der Stile

Bummeln und Shoppen auf der „Romantischsten Straße Deutschlands – ein Besuch der Weseler Straße in Marxloh.

Vor dem türkischen Brautmodengeschäft in der Weselerstraße. Bild: Barbara Schaefer

Ayse Karaboduk fährt mit der Hand in ein cremefarbenes Stoffgebausche, ein Gebilde aus Rüschen und Volants: „Fischform“, sagt die Besitzerin des Brautmodengeschäft Sultan’s. Dies sei ein beliebtes Schnittmuster für die Robe einer türkischen Braut, erklärt sie. Bis zur Hüfte abwärts schmal, dann aber großer Auftritt. Deutsche Frauen würden zur A-Form greifen: ein eher schlichtes Kleid, das ab der Taille leicht weiter wird.

Die Karaboduks führen seit 15 Jahren ein Modegeschäft in der Weseler Straße in Duisburg-Marxloh, die Kunden kommen aus „Belgien, Holland, Aachen, Stuttgart“. Und weil alle so weit fahren, „wollen sie wirklich etwas kaufen“. Falls sie im „Sultan’s Mode“ nichts Passendes finden, ziehen die Kunden die Straße entlang, denn hier haben sich rund fünfzig ähnliche Läden niedergelassen.

Hochzeiten sind ein sicheres Geschäft

Stadtführungen: Urban Rhizome, Weseler Straße 144, 47169 Duisburg-Marxloh, Tel. (02 03) 60 69 42 28, www.urban-rhizome.de.

Übernachten: Das Motel One in Essen - Kennedyplatz 3, Tel. (02 01) 437 53 70, www.motel-one.com/de/hotels/essen, Zimmer ab 69 Euro - ist im denkmalgeschützten "Heroldhaus" untergebracht und im Stil der 50er Jahre gehalten. Deutsches Wirtschaftswunderland-Haus der damaligen Industrielandschaft.

Buchtipp: "Stadtlust - Vom Glück, in der Großstadt zu leben " (Blanvalet-Verlag). Unsere Autorin Barbara Schaefer hat zusammen mit Katja Trippel ein Sachbuch über urbanes Leben verfasst. Darin geht es - auch- um das Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien am Beispiel Ruhrgebiet.

Vor dem Schaufenster drängeln und schieben sich die Menschen auf dem schmalen Gehsteig. Mit den Brautkleidern wird etwa zwanzig Prozent des Umsatzes gemacht, mehr Geld geben die Verwandten aus. Denn wenn zu einer Hochzeit tausend Leute eingeladen werden, sind viele Herrenanzüge und wallende Kleider zu besorgen. Und wenn tausend Augenpaare schauen – „dann will die Braut sagen: ’Hallo! Hier bin ich!‘ Alles soll pompös sein. Das Kleid bekommt Glitzer und Stickereien.“ Es würden noch mehr Geschäfte hierherkommen, sagt die Chefin, „aber es steht nichts mehr leer“.

Dies ist ein für Duisburg wichtiger Satz. Mustafa Tazeoglu nennt die Weseler die „romantischste Straße Deutschlands“. Der 31-Jährige führt Besucher zu den Geschäften, keine Kunden, sondern Touristen. Nun gibt es durchaus Attraktionen im Ruhrgebiet; sei es Bergbau-Architektur der Zeche Zollverein samt Werksschwimmbad, seien es moderne Objekte auf alten Halden oder auch eine Paddeltour auf der Ruhr. Aber Urlaub in Marxloh?

Klein-Istanbul ist noch eine der liebevolleren Bezeichnungen für den Duisburger Stadtteil, über den Tatort-Kommissar Schimanski mal trötete, hierher traue sich die Polizei nur noch in Hundertschaften. Auch wenn die Zahl der Straftaten in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist, wie Polizeisprecher Ramon van der Maat schon 2010 erklärte, was bekäme ein Ortsfremder hier zu sehen?

Das Revier heute: 4.435 Quadratkilometer, 15 große Städte, fünf Millionen Einwohner, und „Marxloh ist das ganze Ruhrgebiet im Miniaturformat“, sagt Tazeoglu, der sich in seiner Heimatstadt engagiert, Stadtteilprojekte und Führungen organisiert. „Wir sind jetzt das zweite Innenstadtzentrum, Marxloh ist wieder lukrativ geworden“, sagt Tazeoglu. Deswegen gebe es in der Weseler Straße auch keinen Leerstand, anders als in vielen Ecken der Stadt. Rund 100 Nationen leben hier. Nichts neues, das Revier kennt sich aus mit Migration.

Man schaut hier nicht so genau hin

Schon vor hundert Jahren zogen Gruben und Schächte polnische Bergleute an. Die Autoren Konrad Lischka und Frank Patalong beobachten in ihrem Buch „Dat Schönste am Wein ist dat Pilsken danach“ eine nonchalante Art des Umgangs mit anderen im Pott: Es sei eher Ignoranz als Integration, „wobei Ignoranz ein zu hartes Wort ist. Man schaut nicht so genau hin, was anders ist an den Zugezogenen. Aus Polen? Aus Italien? Macht ja nix. Und weiter.“ Diese „gar nicht böswillige Mischung aus Desinteresse und Gleichmacherei gegenüber Neuem“ sei typisch für das Ruhrgebiet.

Mustafa Tazeoglu wohnt nicht weit von der Weseler Straße entfernt, direkt neben der Moschee, einer der größten Deutschlands. Sein Haus ist die alleinstehende alte Obersteiger-Villa, der Garten dahinter ein verwildertes Fleckchen Grün, große Bäume, ein Tisch im Schatten. Tazeoglu führt Besucher auch in die Moschee; „Himmlisches Marxloh“ heißt diese Stadttour, weiter geht es zur evangelischen und zur katholischen Kirche. Warum engagiert er sich für Marxloh? „Das ist doch mein Zuhause. Hier habe ich gespielt, die ersten Frauen getroffen, die erste Liebe; die erste Zigarette und die erste Tüte geraucht.“

Hier mischt sich nichts

„Und? Mischen sich denn die Kulturen?“ Das ist so ziemlich die beste Frage, die man ihm stellen kann. Jetzt kann er sich nämlich aufregen und erzählen, was ihm unter den Nägeln brennt. Nein, sagt Tazeoglu, es mischt sich nicht. „Aber das muss es ja auch nicht! Hier kennt der Imam den Pfarrer, und wenn was los ist, dann setzen die sich zusammen. Ich kenne meine Nachbarn, aber wir haben nur dann miteinander zu tun, wenn es brennt oder wenn ein Wasserrohrbruch passiert ist. Dann helfen wir uns. Sonst macht jeder sein Ding.“

Ein „empfehlenswertes Durcheinanderwohnen“ aller Schichten, wie es der Berliner Stadtplaner James Hobrecht schon 1868 gefordert hatte, dieses Ziel wurde in Duisburg-Marxloh nicht erreicht: Von 18.000 Einwohnern sind etwa 6.000 Ausländer, von denen wiederum 4.000 Türken – die Menschen mit deutschem Pass und Migrationshintergund nicht mitgezählt. So kuschlig wie in der Berliner Bergmannstraße oder auf der Multikulti-Meile „Rü“ in Essen geht es hier nicht zu. Und doch: Wo, wenn nicht in der Stadt, kann das Individuum lernen, dem Anderen sein Anderssein zuzugestehen, ihn nach seiner Façon selig werden zu lassen? Weltweit leben immer mehr Menschen in Städten und Metropolregionen als auf dem Land. Da der Mensch also auf dem Weg ist, eine urbane Spezies zu werden, tut er gut daran, das Miteinander-Auskommen zu pflegen.

Alle Menschen sind Kunden

Ayse Karaboduk, die Brautmodenverkäuferin aus Marxloh, findet jedenfalls, ihre Arbeit sei eine schöne Arbeit. Denn diejenigen, die zu ihr kommen, „freuen sich ja auf einen ganz besonderen Tag“. Und ob eine Braut sich dann für die schlichte A-Form oder für üppiges Dekor entscheidet, Deutsche, Migrantin oder Holländerin ist, das ist für sie nicht wichtig. „Wer in meinen Laden kommt, ist Kunde, fertig. Für mich sind alle Nationalitäten gleich.“ Typisch Ruhrgebiet eben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.