Sozialer segeln: Gegenwind aus Bayern

Im Norden kämpft man bisher vergebens um den Erhalt von rund 100 Traditionsschiffen. Das Problem: die vielen Auflagen des CSU-Verkehrsministers

Der Untergang der Traditionsschiffe träfe viele soziale Projekte hart. Foto: (dpa)

BREMEN taz | Alle haben sie sich mittlerweile zusammen getan im Norden – Hamburger und Bremer, Niedersachsen und Schleswig-Holsteiner, sogar Regierende und Oppositionelle und Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien. Ihr Ziel: die Rettung von über 100 Traditionsschiffen.

Norddeutschland gegen den Bundesverkehrsminister von der bayerischen CSU: Das ist die Konfliktlinie, entlang derer seit Monaten über die Sicherheit von Segelschiffen, über „schwimmende Denkmäler“ und „maritimes Kulturerbe“ gestritten wird. Seitdem Alexander Dobrindt schärfere Sicherheitsbestimmungen und höhere Anforderungen an das Personal an Bord angekündigt hat, sind Bildungsprojekte und pädagogische Angebote in ganz Norddeutschland bedroht. Was sonst für die internationale Berufsschifffahrt gilt, soll nun zum guten Teil auch für die von Ehrenamtlichen und Vereinen betriebenen Ausflugsboote gelten.

Gerade sah es noch so aus, als könnte sich der Norden durchsetzen: Im Januar wurde die umkämpfte neue Richtlinie zur Sicherheit auf Traditionsschiffen – der formelle Kern des Streites – zunächst auf Eis gelegt. Doch bei einer Anhörung im Bundestag hat das Verkehrsministerium nun auf seiner Linie beharrt und die Debatte vorerst beendet.

Die neuen Vorschriften „bedeuten das Aus für viele Traditionsschiffe“, sagen Urs Vogler von der Aktionsgemeinschaft Deutscher Museumshäfen und Nikolaus Kern vom Dachverband der Traditionsschiffe. Beide Verbände sind nicht gegen eine Reform der alten Sicherheitsrichtlinie. Sie fordern aber „endlich“ Verhandlungen, um die Vorschriften „der Realität anzupassen“.

Doch was für eine Tradition soll da gerettet werden? Am Anfang ging es um die Definition, was genau ein „Traditionsschiff“ ist. Bei alten Autos ist die Frage des Originalzustandes leicht zu beantworten. Bei Schiffen nicht: So hat die 1897 als Dampfer gebaute „Lovis“ das begehrte Siegel, obwohl sie, erst seit kurzem besegelt, mit dem Original wenig gemein hat. Auch die 2011 als Replik vom Stapel gelaufene „Alexander von Humboldt II“ genießt als Jugend- und Ausbildungsschiff diesen Status – dabei ist sie ein Neubau, der höchstens alt aussieht.

Andererseits ist da die „Atlantic“ von 1871, das älteste noch segelnde Stahlschiff der Welt. Es liegt im Bremer Museumshafen. Aber: Es ist nicht als Traditionssegler anerkannt. Die Folge: Es kann anders als die „Lovis“ oder die „Alexander von Humboldt II“ nicht von laxeren Regeln für Ausrüstung und Crew profitieren. Ohne dieses Privileg rechnet sich der Betrieb eines alten Segelschiffes heute aber nicht mehr. Also verfällt das Schiff, weil seine Instandhaltung teuer ist, doch ohne das Siegel „Traditionsschiff“ kein Geld zu verdienen ist.

Auf der „Lovis“ gibt es heute Klassenfahrten und Seminare zu ökologischen, gesellschaftspolitischen und sozialen Themen. Die Betreiber des Schiffes verstehen es als Freiraum für politisches Engagement, als Lern- und Begegnungsort oder Aktionsplattform für Kampagnen zur Atompolitik, für Flüchtlingsprojekte oder interkulturelle Jugendbegegnungen im Ostseeraum. „Lovis bleibt“ heißt die Kampagne, mit der der Betreiberverein um das Überleben seines Projektes kämpft.

Bei Autos ist die Frage des Originalzustandes leicht zu klären, bei Schiffen nicht

Im Verkehrsministerium argumentiert man mit Unfallzahlen, gerade dort, wo Kinder und Jugendliche mitfahren. Die Lobby der Traditionsschiffe weist das zurück: „Es gab keinen Toten und keinen Schiffsverlust bei den deutschen Traditionsschiffen“, die unter die umstrittene Richtlinie fallen, sagt die Gemeinsame Kommission für Historische Wasserfahrzeuge (GSHW). Die Unfälle, die es gab, könnten mit den neuen Vorschriften nicht verhindert werden. Die Betreiber der „Lovis“ schreiben in einer Erklärung: „Wir sind in den letzten 16 Jahren sicher gefahren.“

In der Kritik stehen auch nach Zugeständnissen des Ministeriums noch immer zahlreiche Brandschutzbestimmungen und Bauvorschriften, aber auch das „Seediensttauglichkeitszeugnis“ für die Besatzung. Es wurde für professionelle Seeleute eingeführt, die monatelang unterwegs sind, fernab medizinischer Versorgung, sagt die GSHW. Die Crew der Traditionsschiffe indes ist nur ein paar Tage im Jahr auf See.

Das Deutsche Jugendkutterwerk zur See aus Schleswig-Holstein etwa betreibt vier Schiffe, und braucht dafür übers Jahr verteilt nach eigenen Angaben 500 ehrenamtlich Aktive. Allein die Kosten für die „Seediensttauglichkeitszeugnisse“ werden auf 20.000 Euro im Jahr geschätzt – zu viel für den Verein. Die Betreiber des Traditionsseglers „Ernestine“ schätzen die Mehrkosten für die kommende Saison alles in allem auf 45.000 Euro. „Das steht im Vergleich zu den Einnahmen in keinem Verhältnis“, schreiben die Betreiber in einer Stellungnahme. Und wenn die neue Richtlinie im Frühjahr wirklich kommen sollte? „Dann werden wir aufgeben müssen.“

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