Sotschis Olympisches Erbe: Welle des Patriotismus

Ein Jahr nach den Winterspielen strömen die russischen Skitouristen nach Sotschi. Auch dank der Sanktionen des Westens floriert das Geschäft.

Sotschi ist das russische Mekka des Wintersports geworden. Bild: imago/Itar-Tass

SOTSCHI taz | Besser hätte es gar nicht kommen können“, lacht Wladimir Masjutin. „Hätte ich einen Wunsch frei, würde ich mir noch mehr Sanktionen wünschen“, meint der Restaurantbetreiber in Rosa Chutor. Im vergangenen Jahr fand in dem neuen Ortsteil von Krasnaja Poljana die Austragung der hochalpinen olympischen Wettbewerbe statt.

Die Spiele in Sotschi waren für Russland und Wladimir Putin ein großer Erfolg. Ob der Ort jedoch bei skifahrenden Amateuren auch danach noch Zuspruch finden würde, galt nicht nur unter berufsmäßigen Skeptikern als unsicher.

„Seit den Winterferien sind alle Zweifel verflogen“, meint Masjutin. Wladimir Putin, der Krasnaja Poljana zum Mekka des Wintersports erkoren hatte, sollte auch diesmal recht behalten. 40.000 Wintersportler drängelten sich zur Jahreswende auf den Pisten.

„Die Ausgabe von Skipässen mussten wir begrenzen“, sagt Krasnaja Poljanas Bürgermeister Waleri Kokarew. An den Ferientagen ließ der ehemalige Offizier einer Eliteeinheit Einheimische nicht auf die Pisten. Wer in der Nähe wohnt oder aus dem Großraum Sotschi stammte, musste draußen bleiben. Vor den Skiliften bildeten sich riesige Schlangen.

Im obrigkeitshörigen Russland funktionieren solche Eingriffe noch reibungslos. Nach der Abgrenzung vom Westen schweißen indes auch patriotische Gefühle die Menschen zusammen, sie machen sie gar im Umgang miteinander verständnisvoller.

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Kokarew ist eine stattliche Erscheinung. Hinter dem Schreibtisch des mer, wie der Bürgermester im Russischen auch genannt wird, hängt das übliche Amtsstubenporträt des Staatsoberhaupts Putin. In der Glasvitrine daneben steht eine Gipsbüste des Kremlchefs, und schräg gegenüber an der Wand, umrahmt von einer Sammlung von Orden und Ehrenabzeichen, hängt das Foto: Ein noch jüngerer Wladimir Putin vor einem Weihnachtsbaum zeichnet den Offizier und Schützen Kokarew mit einer Medaille aus. Großbaustellen und Großprojekte ohne Oberaufseher mit militärischer Schulung und Korpsgeist sind in Russland noch eine Seltenheit.

„Die Auslastung unserer Hotels lag bei fast 100 Prozent.“ Ein unerwarteter „Anschlag“ sei das gewesen, freut sich der mer, der schon für den Sommertourismus große Pläne schmiedet. „Anschlag“ steht für „Andrang“. Es ist ein deutsches Lehnwort im Russischen, das alle in den Bergen dieser Tage im Munde führen.

Viele sind berauscht wie Wladimir Masjutin, der das Entwicklungspotenzial der Region für gewaltig hält. „Natürlich haben Kursverfall, der niedrige Ölpreis und Sanktionen Sotschi schlagartig attraktiv gemacht“, räumt er ein und entschuldigt sich gleichzeitig. Seine Schadenfreude sei der Situation nicht ganz angemessen.

Kaviar statt Kohl

An der derzeitigen politischen Lage werde sich so bald wohl nichts ändern. Bürgermeister und Gastronom sind sich einig. Der eine ist ein Mann der Sicherheitsstrukturen, der andere ein weltoffener Absolvent einer US-Eliteuniversität mit zweijährigem Praktikum hinter der Theke eines Pubs in Irland. Zunächst spielt man die patriotische Karte. Masjutin pachtete drei Restaurants von der Vermögensverwaltung der Kreml-Administration in einem „Ethno-Park“, der in der Architektur verschiedener russischer Regionen gehalten ist.

Die „Petrowskije palaty“ bedienen das zahlungskräftigere Segment der Besucher im Ambiente der Zeit Peter des Großen. Hier serviert die russische Küche Kaviar statt Kohl, dazu wird erlesener Wein aus „patriotischem Anbau“ gereicht, vom toskanischen Weingut des Filmregisseurs und Putin-Freundes Nikita Michalkow. Eine Mogelpackung, deutet Masjutin vorsichtig an. Wie die ganze patriotische Welle, die zurzeit über Russland schwappt, ließe sich ergänzen.

Doch Sotschis Neureiche goutieren es. Mit Olympia kam das große Geld, und nun holen sie mit Verspätung die fetten Jahre der Moskauer Neuen Russen nach. Von Auto, Kleidung und Make-up bis ins Verhalten erinnern sie an die ersten postsowjetischen Parvenüs.

Maxim Kolominski ist nicht wie viele wegen des schlechten Rubelkurses nach Poljana gekommen. Gewöhnlich verbringt der Anwalt aus Zentralrussland den Winterurlaub in Österreich oder der Schweiz, das könnte er sich auch jetzt noch leisten. „Urlaub in unseren Bergen ist meine Antwort auf die Sanktionen der EU und Amerikas“, sagt er trotzig. Allerdings seien die Bedingungen noch nicht wie in Europa.

Ausbau geplant

Die Pisten sind kürzer und es gebe weniger Platz als in den Alpen, pflichtet ihm ein Snowboarder bei. Das wird sich jedoch bald ändern, davon sind beide überzeugt. Sie nehmen den Lift auf den Grat des Aibga, der Russland von der abtrünnigen georgischen Republik Abchasien trennt.

Rosa Chutor denkt tatsächlich schon über einen weiteren Ausbau nach – im angrenzenden Nationalpark. Darüber spricht man auf der Chefetage jedoch ungern, wohl wegen eines unrühmlichen Vorfalls. Umweltschützer der NGO Ekowacht erwischten vor Kurzem Räumtrupps in flagranti. Die Aktivisten erreichten immerhin, dass ein formales Prüfverfahren der Landnahme eingeleitet wurde. Ekowacht ist die bekannteste Umweltinitiative in Südrussland. Den Mächtigen war sie schon immer ein Dorn im Auge. Ende letzten Jahres wurde ihr der rechtliche Status aberkannt, weil sie sich weigerte, das Mal eines „ausländischen Agenten“ zu tragen.

Damit geißelt der Kreml zivilgesellschaftliche Initiativen, die auch aus dem Ausland finanzielle Unterstützung erhalten. „Dann schützen wir die Natur eben als aufgeweckte Bürger ohne Status“, schmunzelt Wladimir Kimajew, einer ihrer unerschrockensten Mitstreiter. Der pensionierte Offizier trägt noch die hüfthohen Gummistiefel von der letzten Wasserprobe, die er dem Fluss Sotschi entnahm.

Neue Korruptionsfelder

Das „Department zur Verwaltung des Olympischen Erbes“ sitzt im selben Haus, in dem einst die Spiele organisiert wurden. Um das Erbe zu bewältigen, wurde die Zahl der Mitarbeiter aufgestockt, behaupten böse Stimmen vor Ort. Sie müssen sehr beschäftigt sein, denn für ein Gespräch war niemand zu haben. Der Olympiapark wirkt verschlafen. Am Eishockeystadion schrauben Arbeiter die Plakate für das letzte Spiel des neu gegründeten Hockeyclubs ab.

Der HK Sotschi kaufte auch im Westen Spieler ein – in Kanada, den USA und Finnland. Aus Sotschi und Umgebung ist niemand dabei. Im subtropischen Klima hält sich die Begeisterung für den Eissport in Grenzen. Ob die Vorwürfe vieler Bürger, es werde zu wenig geworben und gebe keine erschwinglichen Trainingsangebote für den Nachwuchs, stimmen?

Formel 1 in Russland

Die Formel 1 hat sich am Rande des Parks eingerichtet und will bis 2021 Russland für den Motorsport begeistern. Zum ersten Rennen im Oktober kamen 55.000 Zuschauer. Finanzielle Sorgen gebe es nicht, meint der stellvertretende Direktor Sergei Worobjew. Russischen Medien war unterdessen zu entnehmen, dass die Betreiberfirma mehrere Bankrottverfahren am Halse hat.

An der verschachtelten Geschäftskonstruktion ist jedoch die Verwaltung des Kreises Krasnodar beteiligt, vorläufig bietet sie anscheinend noch eine Garantie gegen finanzielle Engpässe. Die Formel 1 betreibt das Geschäft professionell und macht auf sich aufmerksam. Die anderen Sportarten, die im Angebot sein sollen, verstecken sich hinter verriegelten Türen und grimmigem Securitypersonal.

Vor dem Fischt-Stadion, wo die olympische Eröffnungsfeier stattfand, stapeln sich jetzt gewaltige Stahlteile. Es sind Träger der Dachkonstruktion, die für die Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2018 abmontiert werden. „Ein neues Feld für Korruption“, meint ein stadtbekannter Blogger. Apropos Korruption: Der Richter, der Wladimir Putins Ruf folgte und Beweise für krumme Geschäfte von Kollegen vorlegte, wurde belohnt und als „bester Richter Sotschis“ ausgezeichnet.

Beförderung der korrupten Juristen

Danach verlor er seinen Arbeitsplatz. Immerhin ging es um 100 Millionen veruntreute Dollar. Die korrupten Juristen wurden befördert. Der Schein trügt manchmal in Russland. Auch die Oligarchen, die vom Kremlchef zur Mitfinanzierung der Spiele verpflichtet wurden, konnten sich aus der Verantwortung stehlen. Kredite, die sie für Bauten aufnahmen, müssen nicht mehr getilgt werden.

Wer dennoch auf Risiko setzt, soll trotzdem auf seine Kosten kommen. Sotschi wird zum Las Vegas der Schwarzmeerküste. Ein Glücksspielparadies soll begüterte Touristen in den Sonnenflecken locken, heißt es beim Bürgermeister. Damit es noch weiter bergauf geht, knüpfte die Stadt Kontakte zu China und in den Iran. Wenn man erst mal die Chinesen gewonnen habe, was könne dann noch schiefgehen?, meinte Krasnaja Poljanas Ortsvorsteher. Bis dahin läuft vielleicht auch wieder der Vorortzug „Lastotschka“, der seit letztem Jahr den Flughafen nicht mehr anfährt.

Er war die große „Infrastrukturmaßnahme“, die nach den Spielen zu kostspielig wurde. Masjutin möchte noch einen irischen Pub eröffnen. Wo er den irischen Cheddar für den Burger herbekommt, weiß er noch nicht. Er sagt: „In Russland findet sich immer eine Lösung, Sanktionen hin oder her.“

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