Sondermüll in Schleswig-Holstein: Schlamm nicht so schlimm

Weil er oft giftige und radioaktive Rückstände enthält, lässt Schleswig-Holstein alte Bohrschlamm-Gruben unter die Lupe nehmen.

Mann mit rotem Rucksack läuft barfuß durch Watt und telefoniert dabei

Lässt Bohrschlamm auf giftige Rückstände überprüfen: Umweltminister Robert Habeck Foto: dpa

GÖTTINGEN taz | Es sind Hinterlassenschaft der Ölförderung in Schleswig-Holstein: Umweltschädliche Bohrschlämme wurden jahrzehntelang in Gruben gekippt. Etwa 100 Verdachtsflächen sind in dem Bundesland bekannt, rund ein Dutzend davon liegen in Trinkwassereinzugs- oder in Wasserschutzgebieten, an einigen Orten wird Landwirtschaft betrieben. Im Nachbarland Niedersachsen gibt es sogar an die 500 Verdachtsflächen. Viele Schlammgruben sind vergleichsweise klein mit nur wenigen Hundert Kubikmetern abgelagertem Schlamm, andere mit mehr als 10.000 Kubikmetern Abfall deutlich größer.

Bohrschlämme gelten als gefährlicher Sondermüll. Denn sie können nicht nur verschiedene Öl-Rückstände wie zum Beispiel krebserregende polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe enthalten, sondern in vielen Fällen auch giftige Schwermetalle wie Quecksilber und Arsen sowie radioaktives Radium 226.

Sie seien eine latente Gefahr für Mensch und Umwelt, sagt Professor Wolfgang Calmano, der in Hamburg Umwelttechnik lehrt. Deshalb komme es sehr darauf an, dass diese Stoffe sicher entsorgt würden „und nicht einfach in der Gegend rumliegen“. „Und wenn man das richtig macht, dann müssten die in einer Untertagedeponie sicher endgelagert werden.“

Für Schleswig-Holstein gab das Umweltministerium in Kiel jetzt vorsichtig Entwarnung: Lediglich in acht von bislang 42 untersuchten Gebieten hat sich demnach der Verdacht auf solche Altlasten erhärtet. Weitere Untersuchungen müssten nun klären, ob von den Ablagerungen eine Gefahr für die Umwelt ausgehe, so Minister Robert Habeck (Grüne).

„Die meisten Bohrschlammgruben unproblematisch“

Das Ministerium hatte im August vergangenen Jahres einen Gutachter damit beauftragt, 82 Standorte mit bis dahin nicht weiter überprüften Hinweisen auf Öl- und Bohrschlammablagerungen systematisch unter die Lupe zu nehmen. Für die 42 Flächen in den Kreisen Segeberg und Plön liegen nun die Ergebnisse vor. Bald sollen auch die Arbeiten in den Kreisen Rendsburg-Eckernförde und Pinneberg abgeschlossen werden, danach folgt Schleswig-Flensburg.

Das komplette Gutachten soll im kommenden Sommer vorliegen. „Dem Ziel, ein vollständiges Bild über die damaligen Hinterlassenschaften zu bekommen, sind wir mittlerweile ein gutes Stück näher“, sagt Habeck. Die bisherigen Ergebnisse bestätigen seine Einschätzung, „dass die meisten Bohrschlammgruben unproblematisch sind“. Oft seien nur kleine Ablagerungen entdeckt worden. Zum Teil sei der Bohrschlamm nach Ende der Förderung auch wieder entfernt worden. An einigen Standorten habe es fachgerechte Sanierungen gegeben. Das Wasser sei auch auf den Verdachtsflächen in Wasserschutzgebieten und Trinkwassereinzugsgebieten sicher.

In Gruben wurde hauptsächlich Bohrschlamm abgelagert, der bei tiefen Bohrungen auf der Suche nach Erdöl- und Erdgasvorkommen anfiel.

In den Bohrspülungen waren natürliche und chemische Zusätze enthalten, etwa um den Bohrmeißel zu kühlen, die Reibung des Bohrgestänges zu vermindern oder das Bohrloch zu den Seiten hin abzudichten und zu stützen.

Als Mischgruben gelten Ablagerungen, in denen Bohr- und Ölschlämme zusammen mit anderen Abfällen wie Hausmüll, Gewerbeabfall oder Boden und Bauschutt entsorgt wurden.

Diese Praxiswar üblich, wenn Gemeinden die Bohrschlämme auf ihren Abfallanlagen annahmen.

Das ist natürlich nur ein vorläufiges Ergebnis. Abgesehen von den noch ausstehenden Untersuchungen der bekannten Verdachtsflächen gibt es bei der Thematik eine Dunkelziffer. Über viele Ablagerungen ist im doppelten Sinne Gras gewachsen. Die Gruben sind eine Hinterlassenschaft der industriellen Vergangenheit, einige wurden schon vor 60 oder 70 Jahren geschlossen. Eine behördliche Dokumentation ist in vielen Fällen gar nicht mehr vorhanden. Auch Anwohner wissen oft nicht, dass dort überhaupt einmal Schlamm abgekippt oder im Boden vergraben wurde.

Für umso wichtiger hält Patrick Breyer (Piraten) Transparenz: Alle Bohrschlamm-Verdachtsflächen sollten grundstücksgenau im Internet veröffentlicht werden, fordert er. Landwirte, Pächter und Käufer von Ackerflächen hätten nur so eine Chance, potenziell belastete und vergiftete Flächen zu erkennen und zu meiden.

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