Silicon-Valley-Metropole San José: Die Geisterstadt

San José will von der Pendlerhauptstadt zum Wirtschaftsstandort werden. Dafür holt die Stadtverwaltung Google ins Boot.

stadtansicht

Eine unauffällige, typisch amerikanische Stadt Foto: imago/robertharking

SAN JOSÉ taz | Kaum jemand kennt San José. Die Großstadt in der kalifornischen Bay Area zählt mehr als eine Million Einwohner und ist damit die zehntgrößte Stadt in den USA. San José ist die größte Metropole im gesamten Santa Clara Valley – heute weltweit bekannt als Silicon Valley. Und doch verbindet die Welt viel mehr mit den kleineren Gemeinden Cupertino, Menlo Park und Palo Alto, wo Apple, Facebook und die Universität Stanford ihren Sitz haben.

Kulturell steht San José vor allem im Schatten seiner kleineren, aber viel bekannteren Schwester San Francisco. Während die sanften Menschen mit Blumen im Haar in San Francisco vielfach besungen wurden und fast jede*r einmal die Golden Gate Bridge sehen will, kennen nur wenige die leeren, betonierten Straßen San Josés. Das Wetter ist hier viel wärmer und sonniger als an der Küste, wo der Nebel oft den ganzen Tag über der Stadt hängt. Trotzdem kann die Stadt sich weder ihrer wirtschaftlichen Erfolge noch einer touristischen Anziehungskraft rühmen.

Das soll sich ändern. Die Stadtverwaltung von San José arbeitet seit etwa zehn Jahren an einem Konzept, um die Stadt in einen attraktiveren Standort zu verwandeln. Im Mittelpunkt steht der Ausbau verschiedenster Verkehrsanbindungen – und seit vergangenem Jahr auch Google. Der Techgigant ist mit dem Stadtrat im Gespräch über einen Exklusivvertrag, um mehrere Hektar Land in der Stadt zu kaufen und dort einen neuen Megacampus zu errichten mit Wohnungen, Läden und Büros für 15.000 bis 20.000 Mitarbeiter*innen. In der Stadtverwaltung freut man sich über das Interesse und den Investitionswillen des Megakonzerns. „Wir waren sehr begeistert, als Google Interesse gezeigt hat, Land zu kaufen“, sagt Kim Walesh, die in der Stadtverwaltung die Abteilung für wirtschaftliche Entwicklung leitet.

Doch nicht alle sehen dem Aufbau eines neuen Techstandorts in San José freudig entgegen. Viele Bürger*innen machen sich Sorgen um die Entwicklung der Stadt, sobald Google einzieht – insbesondere um einen drastischen Anstieg der Immobilienpreise. Die Stadtverwaltung hat im Februar 2018 deshalb die „Station Area Advisory Group“ ins Leben gerufen, ein Beratungsgremium, das sich mit der weiteren Entwicklung des Landes auseinandersetzt.

Insgesamt 38 Gruppen treffen sich dafür einmal im Monat und verständigen sich über die Belange der Bürger*innen von San José beim Ausbau des Stadtteils, darunter Nachbarschaftsinitiativen, Unternehmer*innen und auch die staatliche Universität der Stadt. Die Idee, Vertreter*innen der Bürgerschaft mit an den Tisch zu holen, stammt von Kim Walesh.

Die Stadt

San José ist die größte Stadt des Silicon Valley. Die Stadt hat eine multikulturelle Bevölkerung und eine große japanischstämmige Community. In Japantown kann man einen buddhistischen Tempel besuchen und japanische Waren kaufen. Im Japanese American Museum geht es um die Verfolgung japanisch-amerikanischer Bür­ger*in­nen während des Zweiten Weltkriegs. Japanese American Museum of San José, 535 North Fifth Street, San José, CA 95112, jamsj.org.

Tech Museum

Hier können Besucher*innen technische Neuerungen aus den vielen Innovationszentren der Umgebung bestaunen und damit spielen: Auf dem Bildschirm malen wie auf einer Leinwand, per Virtual Reality durch eine US-amerikanische Großstadt fliegen oder eine Simulation der größten Erdbeben Kaliforniens miterleben. Hier finden vielfältige Ausstellungen statt, von Leo­nardo da Vinci bis Star Trek. The Tech Museum, 201 S. Market Street, San José, CA 95113-2008, thetech.org.

Google

Im nahe gelegenen Mountain View kann der Hauptsitz von Google besucht werden – ­zumindest von außen. Die von Google versprochene „Offenheit“ seiner Geschäftsstelle bezieht sich allerdings nicht auf das Innere der Gebäude. The Googleplex, 1600 Amphitheatre Parkway, Mountain View. Im Computer Museum in Mountain View kann man die Entwicklung der Computer von raumfüllenden Maschinen bis hin zum Tablet nachvollziehen. Computer History Museum computerhistory.org.

Um die Sorgen der Be­woh­ner*innen von San José zu verstehen, muss man sich andere Orte im Silicon Valley ansehen. Bezahlbare Wohnungen und Häuser sind in der Region immer schwerer zu finden, seitdem hier Hard- und Software entwickelt werden. Google hat seit 2004 seinen Hauptsitz in Mountain View, etwa 25 Kilometer vom neuen Standort in San José entfernt. „Seit Google nach Mountain View gezogen ist, sind die Mieten dort um über tausend Prozent gestiegen“, sagt Maria Noel Fernandez, Leiterin der Kampagne Silicon Valley Rising, die sich für die Belange von Niedriglohnarbeiter*innen im Silicon Valley einsetzt.

Auch Wohnungslosigkeit sei ein enormes Problem, sagt Fer­nan­dez. Die Zahl der Obdachlosen in Mountain View ist von 66 im Jahr 2009 auf 411 im Jahr 2017 gestiegen. Das mag nach keiner großen Zahl klingen. In einer Stadt mit knapp 75.000 Einwohner*innen ist es aber auch nicht wenig. In der gesamten Bay Area nimmt die Wohnungslosigkeit zu, weil die Immobilienpreise immer weiter steigen. Auch in San José sind mehr als 4.000 Menschen obdachlos.

Maria Noel Fernandez, Aktivistin

Seit Google nach Mountain View gezogen ist, sind die Mieten drastisch gestiegen“

„Wenn man die Mieten in San José mit denen von San Francisco vergleicht, sind sie etwas weniger absurd. Aber sie sind immer noch ziemlich absurd“, sagt Maria Noel Fernandez. Sie fordert, dass Google eine freiwillige Verpflichtung unterzeichnet, damit sich das Unternehmen in Zukunft für die Stadt San José und ihre Bürger*innen einsetzt. So soll sichergestellt werden, dass Nied­riglohnarbeiter*innen auch weiterhin in der Stadt leben können und dass sie zu ausreichend guten Bedingungen angestellt werden.

Derzeit wohnen die meisten Angestellten außerhalb der Technologiezentren und pendeln zur Arbeit, nicht wenige sind „Superpendler“ mit einer Anreise über 90 Minuten. Das trifft besonders jene, die in den schlechter bezahlten Servicejobs arbeiten, die rund um die Techbranche entstehen. Viele von ihnen leben im Moment in San José und fahren für ihre Arbeit mit dem Auto in die umliegenden Gemeinden. „Unter den zwanzig größten Städten in den USA sind wir die einzige, aus der jeden Morgen mehr Menschen in die Städte im Umland zur Arbeit fahren als reinkommen“, sagt die Stadtverwaltungsmitarbeiterin Kim Walesh. Tagsüber erscheint die Millionenstadt fast wie eine Geisterstadt.

Ein neues Verkehrskonzept

Ein Verkehrskonzept, das die Techunternehmen besser mit öffentlichen Verkehrsmitteln von San José aus erreichbar macht, ist aus Sicht der Stadtverwaltung deshalb sinnvoll. Der zentrale Bahnhof, die Diridon Station, soll sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr stark ausgebaut werden. Bisher ist die Diridon Station nur ein kleines Backsteingebäude mit wenigen Gleisen, rund 1,5 Kilometer Fußweg vom eigentlichen Stadtzentrum von San José entfernt. Man muss unter dem Highway durchlaufen, um den Bahnhof zu erreichen. SAP hat in der Nähe ein Stadion für die lokale Eishockeymannschaft, die San José Sharks, gebaut. Ansonsten befinden sich rund um die Diridon Station hauptsächlich betonierte Großparkplätze.

Bis 2026 soll die Stadt mit dem regionalen U-Bahn-Netz der Bay Area (BART) verbunden werden, um den Weg nach San Francisco, aber auch nach Oak­land und in viele kleinere Orte im Umland zu verkürzen. Das Fernverkehrsnetz soll bis 2030 ausgebaut werden, etwa nach Los Angeles und in andere Teile Südkaliforniens. Auch Expressbuslinien sind geplant. Beim Ausbau des Bahnhofs möchte sich die Stadtverwaltung am Bahnhof von Rotterdam orientieren, einem großen, offenen und modern gestalteten europäischen Zentralbahnhof.

Der Bahnhof Diridon Station in San José, ein Backsteingebäude mit US-Flagge

So sieht die Diridon Station in San José bisher aus Foto: Belinda Grasnick

Die Stadt investiert für den gesamten Ausbau des Verkehrsnetzes etwa 10 Milliarden US-Dollar. Das Land um die Diridon Station soll sich in den kommenden Jahren in einen attraktiven Standort verwandeln. „Google hat sich das angeguckt und gesagt: Das wird ein guter Ort, um unsere Arbeitskräfte unterzubringen“, sagt Charlie Faas, Vizepräsident und Finanzchef der San José State University. Faas nimmt, wie auch Maria Noel Fernandez, regelmäßig an den Sitzungen der Beratungsgruppe Station Area Advisory Group teil.

Die San José State University, laut Faas mit ihren 5.000 Angestellten derzeit der größte Arbeitgeber der Stadt, sieht eine Möglichkeit für die 35.000 Stu­dent*innen, später Jobs bei Google zu ergattern. Viele der Absolvent*innen werden am Ende eher im Servicebereich arbeiten. Die Ausbildung an einer staatlichen Universität ist in den USA bei Weitem nicht so anerkannt wie der Abschluss an einer privaten Uni. Zudem entstehen erfahrungsgemäß mehr Arbeitsplätze rund um das Unternehmen herum als bei Google selbst. „Für jeden Techjob, den es gibt, entstehen vier Servicejobs“, schätzt Maria Noel Fernandez.

Bezahlbare Häuser

Im Gegensatz zu Fernandez sieht Faas Google in der Immobilienkrise nicht in der Pflicht: „Google wird die Immobilienpreise in die Höhe treiben – aber das ist nicht Googles Problem.“ Vielmehr sei es Aufgabe der Stadt und der Region, für bezahlbare Wohnungen zu sorgen. Auch die Universität bemühe sich darum, ausreichend Wohnraum für ihre Student*innen und Angestellten zur Verfügung zu stellen.

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„Die Immobilienpreise sind jetzt schon gestiegen“, sagt Stadtratsmitglied Raul Peralez, dessen Wähler*innenschaft zum größten Teil genau in dem Gebiet in San José lebt, das nun ausgebaut werden soll. „Das macht es so viel schwieriger für die Menschen in einer Region, in der es ohnehin schon teuer ist, Miete zu bezahlen oder ein Haus zu besitzen.“ Die Stadt müsse darum auch dafür sorgen, dass Menschen, die durch Googles Einzug verdrängt werden, an anderer Stelle im Stadtviertel eine Wohnung finden können. „Der Bedarf an bezahlbaren Wohnraum in der Gegend ist sehr hoch“, sagt Peralez.

Laut Kim Walesh ist die Stadtverwaltung bereits dabei, sozial verträglichen Wohnraum zu schaffen: „In den kommenden fünf Jahren wollen wir 10.000 neue bezahlbare Häuser bauen.“ Insgesamt sei geplant, 120.000 neue Wohnungen zu errichten, um die 400.000 neuen Bewohner*innen unterzubringen, mit denen San José im neuen Stadtviertel rechnet. 15 Prozent der neuen Wohnungen seien als Sozialwohnungen geplant, so Walesh. Warum nicht mehr? „Wenn man mehr als 20 Prozent bezahlbare Wohnungen plant, wird es einfach nicht umgesetzt. Es ergibt ökonomisch keinen Sinn“, meint Walesh.

Für die Stadtverwaltung ist es wichtig zu betonen, dass es keinen für das Unternehmen günstigen Deal gab, um Google in die Stadt zu holen. „Es gibt keine Subventionen und keine staatliche Unterstützung für Google“, sagt Kim Walesh. Dennoch ist es zumindest verwunderlich, dass die Stadt Grundstücke in öffentlichem Besitz an das Unternehmen verkauft. Zu einem Preis, der angesichts des gesamten Verkehrskonzepts sehr gering erscheint – 67 Millionen US-Dollar. Der Wert der Grundstücke wird mit dem Ausbau des Bahnverkehrs stark ansteigen. Die Stadt hätte das Land womöglich auch vermieten können.

Soziale Verpflichtung

„Eine Vermietung würde mehr Einkommen für die Stadt generieren“, gibt Stadtratsmitglied Raul Peralez zu. „Google hat aber kein Interesse daran, die Grundstücke zu mieten. Andere Unternehmen im Übrigen auch nicht.“ Der Techkonzern investiere riesige Summen in den Ausbau des Stadtviertels, und es sei deshalb verständlich, dass es das Land besitzen wolle, so Peralez.

Google hatte bereits angefangen, private Grundstücke in der Umgebung der Diridon Station aufzukaufen, bevor es in die Verhandlungen mit der Stadtverwaltung ging. Nun soll das Techunternehmen auch die öffentlichen Grundstücke im Umkreis erhalten. Es wird somit ein riesiges Stück Land rund um den neuen Verkehrsknotenpunkt besitzen.

Einige bunte Google-Figuren stehen auf Sand, daneben ein Google-Fahrrad

Quietschig bunt: Die für Touristen zugänglichen Außenbereiche des Google-Standorts Mountain View Foto: Belinda Grasnick

Man hätte stattdessen auch viele verschiedene Unternehmen in die Stadt holen können, die kleinere Teile des Gebiets in Büros und Wohnraum umwandeln. „Das wäre sehr unzusammenhängend geworden“, findet Peralez. Die Stadt hätte nicht die Möglichkeit gehabt, die Einrichtungen um die Diridon Station so zu planen, wie sie es jetzt mit Google kann, meint Peralez. Die Station Area Advisory Group beschäftigt sich neben der Diskussion über bezahlbaren Wohnraum auch mit der Planung von Parks und anderen öffentlich zugänglichen Gebieten im neuen Stadtviertel. „Wir können über die Entwicklung des gesamten Viertels sprechen. Das ist eine tolle Möglichkeit“, so Peralez.

Für die Aktivistin Maria Noel Fernandez ist die Planung des Stadtviertels als schöner, offener Raum nicht ausreichend. Sie nimmt vor allem deshalb an der StationArea Advisory Group teil, um Google an seine sozialen Verpflichtungen zu erinnern. „Es fühlt sich an, als wären wir nur da, damit Google sagen kann: Wir haben auch die Bürger*innen beteiligt. Wir haben bisher keine sinnvollen Details zur Größe und Gestaltung des Projekts bekommen“, sagt Fernandez. „Sie haben uns nur ein paar schöne Präsentationen gezeigt, wie toll es bei Google in anderen Teilen der Welt aussieht. Aber auch wenn das alles sehr hübsch ist, müssen wir über die ganzen anderen Probleme reden.“ Fernandez sorgt sich insbesondere darum, wie es den Minderheiten im Stadtviertel ergehen wird: „Wir verlieren People of Colour. Deshalb müssen wir kämpfen.“

Der Bau des neuen Google-Standorts wird langsam anlaufen. Vermutlich startet das Unternehmen seine Entwicklungspläne erst, wenn der Ausbau der Diridon Station schon weit fortgeschritten ist. „Was wir jetzt mit Google besprechen, wird wahrscheinlich erst in 15 Jahren umgesetzt“, sagt Raul Peralez. Gegen Ende November wollen Google und die Stadt San José aber schon eine Absichtserklärung unterschreiben. Dann ist der Verkauf des Landes an Google mehr oder weniger beschlossene Sache. Maria Noel Fer­nandez will sich bis dahin weiter dafür einsetzen, dass sich der Techkonzern in der Gemeinde engagiert. „Wir wollen, dass Google sagt: Ja, wir sind Teil des Problems. Aber wir wollen auch ein Teil der Lösung sein.“

Die Autorin hat mehrfach versucht, auch mit Google über die Pläne in San José zu sprechen. Das Unternehmen wollte sich zu diesem Zeitpunkt nicht äußern.

Die Recherche ist im Rahmen einer Journalistenreise entstanden, die Global Experts in Zusammenarbeit mit Visit San José organisiert hat.

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