Eine Frau schaut aus dem Fenster eines Wohnmobils

Derzeit arbeitslos: Nicole Schulze in ihrem Wohnmobil Foto: Esra Klein

Sexarbeit und Coronakrise:Coitus interruptus

Prostitution ist seit Beginn der Coronakrise verboten. Die Sexarbeiterinnen Nicole Schulze und Laura Lönneberga wollen das nicht hinnehmen.

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2.7.2020, 15:27  Uhr

Das Wohnmobil, in dem Nicole Schulze arbeitet, steht normalerweise auf einem Parkplatz in der Nähe von Trier. Es ist ein weißes und schlicht eingerichtetes 80er-Jahre-Modell mit Liegefläche, Bad und Dusche. „Gegen zehn fahre ich raus, gegen 16 Uhr mache ich Feierabend“, sagt Schulze, eine fröhliche 40-Jährige mit schwarz gefärbten Haaren, die ihr Geld seit 16 Jahren als Sexarbeiterin verdient. Drei bis vier Männer empfängt sie üblicherweise pro Tag.

Doch seit Mitte März steht Schulzes Wohnmobil ungenutzt auf dem Hof ihres Hauses. „Bei mir herrscht Stillstand“, sagt sie. Denn während die strikten Coronaregeln für viele Branchen nach und nach gelockert werden, geht in der Sexarbeit gar nichts. Die Bundesländer verbieten das „Betreiben eines Prostitutionsgewerbes“, was neben Fahrzeugen wie Schulzes Mobil auch alle Betriebe betrifft, in denen mehr als eine Frau arbeiten. Auch die Vermittlung von Prostitution ist untersagt. 10 von 16 Bundesländern verbieten zudem ausdrücklich das Erbringen sexueller Dienstleistungen, also Sex gegen Geld, an sich.

Klar sei es vernünftig gewesen, in der Corona-Anfangszeit erst mal alles dichtzumachen, sagt Schulze am Telefon. Doch mittlerweile ist die Ausübung anderer sogenannter körpernaher Dienstleistungen unter Einhaltung der Hygieneregeln wieder zugelassen – etwa von Friseur:innen, Kosmetiker:innen und Masseur:innen. Für Sexarbeiter:innen aber gilt das nicht. „Dass ich nach drei Monaten immer noch nicht wieder arbeiten darf“, sagt Schulze, „damit habe ich nicht gerechnet.“

Nicole Schulze, Sexarbeiterin

„Dass ich nach drei Monaten immer noch nicht wieder arbeiten darf, damit habe ich nicht gerechnet“

Ob auf der Straße, in extra angemieteten Wohnungen, in Dominastudios oder Bordellen: überall geraten Frauen und Männer in der Branche derzeit in existenzielle Bedrängnis, weil ihre Rücklagen, sofern überhaupt vorhanden, aufgebraucht sind. „Viele Sexarbeitende sind von Armut bedroht“, schrieb der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) schon im April und warnte vor deren „Ruin“.

Dabei sind Sexarbeitende nicht immer gleich Sexarbeitende – weder was die Art und Weise ihrer Arbeit noch was ihre finanzielle Absicherung betrifft. „Ich würde momentan drei Gruppen unterscheiden“, sagt Johanna Weber aus dem Vorstand des Berufsverbands. Da seien etwa Arbeits­mi­gran­t:innen. „Davon sind schätzungsweise 80 Prozent nach Hause gefahren, zum Teil mit dem letztmöglichen Bus“, sagt Weber. Dann gebe es die in Deutschland lebenden Soloselbstständigen, die wie Nicole Schulze auf eigene Rechnung arbeiten. „Ich vergleiche die mit Musiker:innen oder freien Journalist:innen: Die hat es kalt ­erwischt.“

Die staatliche Soforthilfe sei vor allem für Selbst­ständige gedacht, die gewisse Betriebskosten haben – Schulze zum Beispiel hat sie ­beantragt. Viele selbstständige Sexarbeitende, die in Bordellen beschäftigt sind, haben solche Kosten aber gar nicht. Ihnen bleibt nur die Grundsicherung, also Hartz IV. Und auch dann seien die Probleme für viele Frauen groß, sagt Silvia Vorhauer, Sozialarbeiterin in der Dortmunder Mitternachtsmission, die Prostituierte berät: „Wenn man von jetzt auf gleich auf ein finanzielles Minimum runtergefahren wird, brechen Leben zusammen.“ Kredite können nicht mehr bedient, Familien nicht mehr unterstützt werden. „Die Frauen“, sagt Vorhauer, „haben gerade unheimliche Ängste.“

Mit denen, die sonst in den Clubs und Bordellen arbeiten, telefoniere sie nun eben, sagt Vorhauer. „Wir hatten zu den Betreibenden schon vor Corona sehr guten Kontakt.“ Als der Lockdown kam, habe sie sich mit allen in Verbindung gesetzt, um Adres­sen auszutauschen und so für die Frauen weiter erreichbar zu sein. Nun hilft sie ihnen zum Beispiel dabei, Anträge zu stellen. „Die meisten“, sagt Vorhauer“, kämpfen schlicht um ihre Existenz.“

Eine Frau betritt ein Wohnmobil, man siehtnur ihre Beine

Dusche, Waschbecken, alles perfekt: Aber Freier empfangen darf Schulze in ihrem Auto nicht Foto: Esra Klein

Und schließlich gebe es die dritte Gruppe: die, „die durch alle Raster fallen“, wie Weber sagt. Frauen, die Hartz IV gar nicht beantragen können – zum Beispiel weil sie keinen festen Wohnsitz haben oder Probleme mit Drogen. Nothilfefonds, wie sie Verbände wie der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen aufgelegt haben, seien weitgehend aufgebraucht. „Was sollen die machen?“, fragt Weber resigniert. „Die arbeiten halt weiter.“ Vieles spiele sich auf der Straße im Bereich der Beschaffungsprostitution ab, sagt Vorhauer. „Wir versuchen, auch dort mit Lebensmitteln auszuhelfen oder ärztliche Kontakte herzustellen.“

Nichts los in Lauras Liebeszimmern

Auch aufseiten der Betreiber:innen sieht es schlecht aus. Laura Lönneberga, die mit ihrem richtigen Namen nicht in der Zeitung stehen will, hat zwei Bordelle aufgebaut, in denen in Vor-Corona-Zeiten täglich bis zu 20 Frauen gearbeitet haben. „Lauras Liebeszimmer in Karlsruhe und Speyer“, steht auf ihrer in Schwarz und Gold gehaltenene Website. Und ganz unten: „derzeit geschlossen“. Vor der Pandemie konnten die Frauen dort Zimmer buchen. Rund ein Drittel von ihnen waren Deutsche, die oft tageweise arbeiteten, zum Teil noch bürgerliche Jobs in der Pflege oder der Gastronomie hatten und sich bei Lönneberga ihre Kasse aufbesserten.

Manchmal habe die Familie das gewusst, manchmal nicht. „Speziell wer Kinder hat, war vorsichtig“, sagt Lönneberga. „Das Hurenstigma greift schnell über.“ Andere Frauen kamen aus Ungarn oder Spanien und mieteten sich zusätzlich einen Schlafplatz bei Lönneberga. „Die waren zum Teil sechs oder acht Wochen hier und sind dann wieder für eine Weile nach Hause gefahren.“

Zwischen drei und fünf Gäste hatten die Frauen pro Tag – und Reinigungs- und Hygienepläne gab es sowieso. „Für jeden Gast frische Laken, Wäsche bei mindestens 60 Grad, Desinfektionsmittel für die Hände – das alles hatten wir schon vor Corona“, sagt Lönneberga. Doch dann kam das Verbot. „Die Panik war groß“, sagt Lönneberga. „Bei mir, bei allen.“ Und jetzt, drei Monate später, bleibt die Situa­tion bedrückend.

Bei den Nachbarn In der Schweiz ist Prostitution seit dem 6. Juni wieder erlaubt. Freier müssen dabei eine Maske tragen und ihre Kontaktdaten hinterlegen. Es sollen nur Stellungen praktiziert werden, bei denen die Gesichter genug Abstand haben. In Österreich und der Niederlande dürfen SexarbeiterInnen seit dem 1. Juli wieder tätig werden. In Holland sind weder Handschuhe noch Masken Pflicht. Freier müssen ihre Hände waschen und desinfizieren.

In Berlin In der deutschen Hauptstadt wird derzeit über eine Erlaubnis von sexuellen Dienstleistungen diskutiert. Die Senatsgesundheitsverwaltung hält eine „stufenweise Aufhebung des aktuellen Tätigkeitsverbotes im Sinne des Infektionsschutzes für denkbar“. So könnten in „einem ersten Schritt zum Beispiel ausschließlich (erotische) Massagen angeboten werden“, heißt es. (taz, dpa)

Die Häuser stehen leer, nur ein paar Katzen sind noch da. Die Hausdamen, die sich sonst um den Empfang der Kunden und die Koordination der Termine kümmerten, sehen ab und zu nach dem Rechten. „Wir konnten die letzten Wochen zu nichts Konstruktivem nutzen“, sagt Lönneberga. „Wir müssen nicht renovieren, wir müssen nichts umstrukturieren. Wir sind einfach dicht.“ Die staatlichen Hilfen hat sie beantragt. Aber bei mehreren tausend Euro pro Monat allein an Miete „ist das ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Politiker-Initiative gegen bezahlten Sex

Die finanziellen Sorgen sind nicht das Einzige, was Frauen wie Nicole Schulze und Laura Lönneberga umtreibt. Denn während Bordelle in einigen Nachbarländern wieder öffnen durften, kommen hierzulande scharfe Angriffe von politischer Seite. 16 Bundespolitiker:innen, darunter Sozialdemokraten wie der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und CDU-Abgeordnete wie Annette Widmann-Mauz wenden sich gegen die Wiedereröffnung der Bordelle – und gegen die Branche als solche. Schon vor rund einem Jahr, lange vor Corona, war hierzulande eine Debatte über ein Sexkaufverbot hochgekocht. Nun veröffentlichten die Bundestagsabgeordneten einen offenen Brief, in dem sie den Ministerpräsident:innen der Länder „herzlich“ dafür danken, dass sie die Öffnung von Bordellen unter Corona bislang nicht wieder zuzulassen. Man halte die „Zustände in der Prostitution“ in der großen Mehrzahl der Fälle grundsätzlich für „menschenunwürdig, zerstörerisch und frauenfeindlich“, heißt es in dem Brief. Prostituierte seien überwiegend nicht freiwillig in der Prostitution, sondern würden in der Mehrheit „getäuscht, erpresst und bedroht“. Und: während Corona habe Prostitution die „epidemiologische Wirkung eines Super-Spreaders. „Social Distancing“, schreiben die Politiker:innen, „ist mit sexuellen Handlungen nicht vereinbar.“

Das Entsetzen in der Branche, bei den Berufsverbänden, aber auch unter Expert:innen ist groß. „In der Not ist Solidarität gefragt – unabhängig von moralischen Bewertungen“, schreiben Organisationen wie die Diakonie, die Caritas, die Deutsche Aidshilfe und der Deutschen Juristinnenbund in einem gemeinsamen Papier. „Wer die Corona-Epidemie missbraucht, um Stimmung gegen Sexarbeit zu machen, schadet denen, die angeblich geschützt werden sollen. Menschen in der Sexarbeit brauchen kein Berufsverbot“, heißt es da, „sondern sichere Arbeitsbedingungen.“

Johanna Weber vom Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen kennt diese Art der Angriffe. „Da steckt etwas anderes dahinter als die Sorge um Prostituierte und Gesundheit“, vermutet sie. „Diese Menschen haben ein grundsätzliches Problem mit Sexarbeit.“ Nun sei deren Strategie, Corona zu instrumentalisieren, „um uns ausbluten zu lassen.“

Längst haben die Berufsverbände Hygienekonzepte vorgelegt, um die Behauptung zu entkräften, das Infektionsrisiko sei in der Sexarbeit höher als beim Haareschneiden oder der Massage, in Kitas und Schulen, bei Gottesdiensten oder gar in der Fleischindustrie. Die Zimmeranzahl in großen Häusern könne reduziert werden, sodass nicht zu viele Kunden auf einmal vor Ort sind, heißt es in dem Papier von BesD und dem Berufsverband Sexuelle Dienstleistungen (BSD), der die Betreibenden vertritt. Der Kontakt zwischen Kunde und Sexarbeiterin, der den 1,5-Meter-Abstand außer Kraft setzt, sei in der Regel ein Eins-zu-eins-Kontakt – wie bei anderen körpernahen Dienstleistungen auch, zum Beispiel der Kosmetik. Kondome seien ohnehin Vorschrift, Mund-Nase-Bedeckung sei verpflichtend, Küssen komme nicht infrage.

Schön seien Masken beim Sex zwar nicht, sagt Stephanie Klee vom BSD – aber möglich allemal. Desinfektion, gutes Lüften und die Dokumentation, wer wann vor Ort war, seien selbstverständlich. Und das Schwitzen beim Sex? Klee winkt müde ab. Der Kunde vielleicht, die Frauen selten. „Für die ist das ein Job“, sagt Klee. „Nicht mehr, nicht ­weniger.“

Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) sieht das anders. „Sexarbeit während Corona ist ein Hochrisikobereich“, sagt er. Das liege an „dem ausgesprochen nahen Körperkontakt in geschlossenen Räumen, dem beabsichtigten oder unbeabsichtigten Austausch von Körperflüssigkeiten und der Anonymität der Begegnung.“ Ein Ehemann, der zu einer Prostituierten gehe, gebe kaum seine echte Identität und Telefonnummer an. Die Möglichkeit, ihn im Fall einer Infektion zu kontaktieren, sei deshalb gering. Zwar enthielten die vorgelegten Hygienekonzepte der Branche „kluge Gedanken“, wie Lauterbach sagt. „Aber die Konzepte sind so gut, wie sie realistisch eingehalten werden.“ Und seine Sicht auf den Alltag von Prostituierten, in dem Anonymität, Abhängigkeiten und Illegalität eine große Rolle spielten, sage ihm, dass diese Konzepte gar nicht eingehalten werden könnten. Selbstbestimmte Sexarbeit sei eine rare Ausnahme und könne nicht zur Grundlage werden, Politik während Corona zu gestalten.

Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitspolitiker

„Ich warne davor, zu sagen: Nur damit die Bordellbranche überleben kann, nehmen wir ein untragbares Risiko in Kauf“

Sein Ziel sei gleichwohl nicht, Prostitution während Corona durch die Hintertür abzuschaffen, sagt Lauterbach. Er betrachte Prostituierte derzeit als Soloselbstständige, die unbürokratisch staatliche Unterstützung bekommen müssten. Gleiches gelte für Bordelle, die normale Wirtschaftsbetriebe seien. „Aber ich warne davor, zu sagen: Nur damit die Bordellbranche überleben kann, nehmen wir ein untragbares Risiko in Kauf.“

Die deutsche Politik bleibt vorsichtig. Rheinland-Pfalz, wo man plante, Bordelle Mitte Juni wieder zu öffnen, zog überraschend zurück. Laut Gesundheitsministeriums gab es Bedenken der Ordnungsämter, dass die Nachverfolgung bei Infektionsfällen in der Branche nur schwer zu gewährleisten sei. Auch die Einhaltung der vorgesehenen Hygiene- und Reinigungsvorgaben hätte in Bordellen nicht ausreichend kon­trolliert werden können. Zudem gab es offenbar die Besorgnis, dass Sexarbeiterinnen sich von überall her nach Rheinland-Pfalz aufmachen könnten und das Bundesland mangels anderer Möglichkeiten plötzlich Hotspot der Sexarbeit würde.

Eine Frau sitz am Steuer eines Wohnmobils und schaut auf ihr Handy

Schulze in ihrer Fahrerinnenkabine: Normalerweise steuerte sie immer denselben Parkplatz an Foto: Esra Klein

„Reisebusse voller Sexarbeitenden waren nicht nach Rheinland-Pfalz unterwegs“, sagt Johanna Weber vom Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen. „Aber herumgesprochen hatte sich das natürlich schon. Wer drei Monate kein Geld verdient hat, greift nach jedem Strohhalm.“ Nun hätten die Sexarbeitenden, die auf eine Wiedereröffnung der Betriebe vertraut hatten, den Schaden: Wer schon eine Werbeanzeige geschaltet oder ein Hotelzimmer bezahlt habe, bleibe auf den Kosten sitzen.

Enttäuschung in Rheinland-Pfalz

Das geht auch Nicole Schulze mit ihrem Wohnmobil so. Sie hatte schon Spender für Desinfek­tions­mittel gekauft. „Da hätte ich doch lieber meinen Kühlschrank vollgemacht“, sagt sie. „Dass Rheinland-Pfalz zurückgezogen hat, war ein riesiger Schock“, sagt sie. „Für die meisten Menschen in Deutschland bessert sich die Lage im Umgang mit Corona. Für uns wird es immer dramatischer.“ Schulze wandte sich an rheinland-pfälzische Politikerinnen von SPD und Grünen. „Meine Gefühle sind Angst, Wut und Enttäuschung“, schrieb sie ihnen. Was aber die Politik derzeit mache, verstärke bei den Frauen nur das „Gefühl der fortlaufenden Diskriminierung“. Schulzes Vorschlag: ein runder Tisch, um gemeinsam Ansätze und Lösungen zu finden, wie die Branche wieder zur Arbeit zurückfinden kann. „Ich setze auf meine Landesregierung“, sagt Schulze. „Ich habe eigentlich ein gutes Bild von denen. Aber im Moment fühle ich mich einfach nur alleingelassen.“

Eine Rückmeldung hat Schulze bisher nicht erhalten. Aus dem Frauenministerium heißt es auf Nachfrage, Ministerin Anne Spiegel werde noch antworten. Sie setze sich dafür ein, „dass es auch für den Bereich der Prostitution eine Perspektive der schrittweisen Öffnung“ gebe, die zwischen den Bundesländern abgestimmt sein müsse. Dennoch seien die Herausforderungen in puncto Infektionsschutz in der Sexarbeit größer als in anderen Branchen. Maßgeblich für eine schrittweise Öffnung, so das Ministerium, „wird daher die Einschätzung des infektiologischen Risikos sein.“

Ein Wohnmobil fährt auf einer Landstraße

Derzeit ohne Kundschaft: Schulzes Wohnmobil darf kein Freier betreten Foto: Esra Klein

Schulze fürchtet derweil, dass viele Frauen ihrer Arbeit nun im Verborgenen nachgehen. Damit ist sie nicht allein: Über kurz oder lang werde die Situation, wie sie derzeit ist, nicht nur „erhebliche Teile des Prostitutionsgewerbes in den Ruin“ treiben, so auch die Einschätzung des Vereins für politische und soziale Rechte von Prostituierten, Doña Carmen. „Sondern sie dürfte sich darüber hinaus als Startschuss für die Entstehung eines informellen Sektors der Prostitution erweisen, den es in diesem Ausmaß in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben hat.“

Das illegale Geschäft geht weiter

Längst sind im Netz wieder Anzeigen von Sexarbeiter:innen zu finden, die ihre Dienste anbieten, „zum Beispiel in Hotels, in Ferienwohnungen und Apartmenthäusern“, wie Lönneberga sagt. Auf einschlägigen Seiten schreiben Frauen ihre Telefonnummer unter ihr Foto, Adres­se und Besuchszeiten sind auf Nachfrage erhältlich. Mehr braucht es nicht, um Kontakte anzubahnen. In manchen Bundesländern sind Einzelkontakte wie diese nach derzeitigem Stand illegal, in anderen nicht. Sie zu verfolgen dürfte schwierig sein – wesentlich schwieriger jedenfalls, als die großen Häuser zu kontrollieren.

Damit, so der Verein Doña Carmen, werde billigend in Kauf genommen, dass der Gesundheitsschutz, der doch eigentlich im Vordergrund stehen sollte, auf der Strecke bleibe. Und nicht nur das: Der entstehende Sektor sei „auch deshalb problematisch, weil die Frauen, wenn sie normalerweise in Bordellen gearbeitet haben, Haus- und Hotelbesuche gar nicht gewohnt sind“, sagt Stephanie Klee vom BSD: „Die sind völlig auf sich allein gestellt.“ Die Risiken, Opfer von Gewalt zu werden, erpressbar für die Arbeit ohne Kondom zu sein oder nicht bezahlt zu werden, steigen.

Neben der Forderung, Sexarbeit wie andere Branchen zu behandeln, steht deshalb derzeit vor allem eine im Raum: „Öffnet die Bordelle – umgehend und bundesweit zur gleichen Zeit!“, wie Doña Carmen schreibt. Das sei das Gebot der Stunde, wenn es darum gehe, auf die Gesundheit von Kunden und Sexarbeitenden zu achten und einer Illegalisierung der Branche etwas entgegenzusetzen.

Nicole Schulze formuliert es einfacher. „Ich wünsche mir“, sagt sie, „dass man uns eine Chance gibt.“

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