Selbstverbrennung von Tibetern: „Das ist Selbstopferung“

Tibet wird von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen, sagt der Sondergesandte des Dalai Lama, Kelsang Gyaltsen. Selbstverbrennung sei ein Akt der Verzweiflung.

Selbstverbrennung eines Tibeter aus Protest gegen China im März. Bild: dapd

taz: Herr Kelsang Gyaltsen, warum weisen Tibeter durch Selbstverbrennungen auf ihr Schicksal hin?

Kelsang Gyaltsen: Hintergrund der tragischen Selbstverbrennungen ist der tibetische Volksaufstand 2008 kurz vor den Olympischen Spielen in Peking. Seitdem hat die Unterdrückung in Tibet durch Chinas Regierung zugenommen. Die Situation gleicht einem Belagerungszustand. Die erste Selbstverbrennung gab es im Februar 2009. Im Jahr 2011 haben sich zwölf Tibeter verbrannt, aber die meisten Fälle gab es 2012. Seit November haben sich 28 Tibeter verbrannt.

Von 2009 bis heute sind es 95 Fälle mit 80 Toten. Zuerst Mönche und Nonnen, dann auch Studenten und Nomaden sowie Laien. Tibet ist auf fünf chinesische Provinzen aufgeteilt und mit Ausnahme des kleinen Gebiets, das der Provinz Yunnan angegliedert wurde, gab es Selbstverbrennungen in allen Regionen Tibets.

Was bedeuten Selbstverbrennungen im tibetischen Buddhismus?

Grundprinzip ist die Gewaltlosigkeit. Suizid gilt – im christlichen Jargon gesprochen – als Todsünde. Das menschliche Leben ist die einzige Lebensform, in der man durch eigenes Praktizieren die Erleuchtung erlangen kann. Im Zyklus von Leben, Tod und Wiedergeburt ist es sehr selten, als Mensch wiedergeboren zu werden. Deshalb ist menschliches Leben einzigartig. Ein zweiter Faktor ist Motivation. Ich kann sehr freundlich sein, jemanden beschenken und anlächeln, doch mit dem Ziel, zu täuschen und zu schaden. Die Tat ist gewaltfrei, aber die Motivation kann tödlich sein.

Verbrennt man sich aus Hass und Verzweiflung selbst, sind Motivation und Tat schlecht. Aber wer sich aus politischem Protest mit der Motivation verbrennt, das tibetische Volk in seinem Überlebenskampf zu unterstützen – wie wir bei den meisten Fällen in Tibet glauben –, handelt aus ethischen Gründen für das Gemeinwohl. Das ist Selbstopferung. Auch gibt es das Grundrecht auf Widerstand gegen Unrechtsregime wie etwa auf den des ANC gegen die Apartheid in Südafrika oder der PLO für einen Palästinenserstaat und heute der syrischen Aufständischen gegen Assad. Die Welt unterstützt diese Kämpfe. Die Tibeter haben ein Widerstandsrecht gegen die kulturelle, politische und religiöse Unterdrückung durch Chinas kommunistische Diktatur.

Sind Selbstverbrennungen ein sinnvoller Weg?

wurde 1951 in Tibet geboren. Er ist der Sonderrepräsentant des Dalai Lama für Europa und war zuvor dessen Sekretär im indischen Exil. Seit 2002 nimmt er als Sondergesandter an den Dialogen mit Peking teil.

Wir wissen noch nicht, welche Folgen sie haben. Man kann nicht leugnen, dass sie Chinas Führung zeigen, dass es in Tibet gravierende Probleme gibt. Auch die internationale Gemeinschaft wird auf die Menschenrechtsprobleme in Tibet hingewiesen, denen sie sich stellen muss.

Sind Selbstverbrennungen gut, wenn sie China unter Druck setzen?

Die Selbstverbrennungen sind nun mal geschehen, und nichts kann daran etwas ändern. Wir können nur hoffen, dass sie dazu beitragen, eine Lösung zu finden, sodass diese drastischen Proteste ein Ende nehmen. Entweder ändert Chinas Regierung ihre Tibetpolitik. Dann werden die Selbstverbrennungsproteste sicher aufhören. Oder die internationale Gemeinschaft wirkt auf Chinas Führung in Richtung eines Umdenkens ein und zeigt damit den Tibetern, dass sie nicht vergessen wurden. Dies gibt ihnen Hoffnung. Das kann zu Geduld führen und die Verzweiflung mindern. Wir Exiltibeter können an der Lage in Tibet nichts ändern.

Der Dalai Lama spricht sich nur milde gegen Selbstverbrennungen aus. Warum nimmt er nicht eindeutig Stellung, statt damit Politik zu machen?

Die strikte Ablehnung des Dalai Lama von Gewalt – auch Gewalt gegen sich selbst – ist allgemein bestens bekannt. Bei den tragischen Fällen in Tibet ist er vor das Problem gestellt, dass er den Tibetern in Tibet eine realistische Alternative aufzeigen muss, wie sie anders für ihre Rechte kämpfen können. Das kann er nicht. Seit über 50 Jahren streckt er Chinas Regierung seine Hand entgegen, fordert die Tibeter zu strikter Gewaltlosigkeit auf und hat bewirkt, dass sie nur auf echter Autonomie bestehen. Er ist seit über 50 Jahren im Exil. Die ganze Zeit hat China versucht, seinen Einfluss in Tibet auszuradieren, macht ihn aber für jeden Protest verantwortlich. Wenn jetzt auch die internationale Gemeinschaft ihn für die Selbstverbrennungen verantwortlich macht, finde ich das zynisch.

Man hat jahrzehntelang tatenlos den Entwicklungen zugesehen, und ausgerechnet jetzt, wo die Situation in Tibet so verzweifelt ist, dass Tibeter sich selbst verbrennen, fordert man vom Dalai Lama, dem ein Ende zu setzen. Wir Tibeter sind ratlos. Die internationale Gemeinschaft hat bewaffnete Befreiungskämpfe unterstützt. Aber bei den Tibetern, die sich in ihrem Widerstand bemühen, keinen Chinesen auch nur zu verletzen, und sich selbst opfern, um Chinas Regierung und die Welt aufzuwecken, empört man sich plötzlich. Wo bleibt hier der Wert der Gewaltlosigkeit? Der Dalai Lama will und wünscht sich nicht, dass sich Tibeter selbst verbrennen. Leider ist die Realität in Tibet so, dass sie sich zu dieser Art Protest gezwungen sehen.

Nach den Unruhen 2008 kam es zu Gesprächen zwischen Vertretern Pekings und des Dalai Lama. Wie ist der Stand heute?

2008 haben wir Chinas Regierung ein Papier unterbreitet, in dem wir eine echte Autonomie für Tibet im Rahmen der Volksrepublik China und ihrer Verfassung beschrieben haben. Aber Chinas Regierung lehnt das ab. Seit Beginn der Selbstverbrennungen fordern wir neue Treffen, aber seit 2010 gibt es leider keine Kontakte mehr.

Sehen Sie eine Kursänderung durch Chinas neue Führung?

Der Vater des neuen Parteichefs und künftigen Staatspräsidenten Xi Jinping hat den vorherigen Panchen Lama und den Dalai Lama persönlich gut gekannt. Er gilt als einer der wenigen kommunistischen Funktionäre, die Verständnis für die Tibeter hatten. Wie weit sich dieses Denken des Vaters auf den Sohn auswirken wird, kann man noch nicht sagen.

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