Seehofers Kritik an Bundesregierung: Politik in Wildwestmanier

Der CSU-Chef redet von „Unrechtsherrschaft“ und rückt die Regierung in die Nähe von Diktaturen. Nicht nur die Opposition ist empört.

Ein Karnevalswagen zeigt Horst Seehofer an einem Schlagbaum hängend, der das Schild „offene Grenzen“ trägt.

Horst Seehofer in seiner liebsten Pose: Hampelmann an der Grenze. Foto: dpa

KARLSRUHE taz/rtr | In bisher unerreichter Härte hat Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung attackiert. In einem Interview sprach er von einer „Herrschaft des Unrechts“. Dabei ist Seehofers Auslegung der Rechtslage mehr als zweifelhaft.

„Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung“, klagte Seehofer in der Passauer neuen Presse, „es ist eine Herrschaft des Unrechts.“ Solche Formulierungen verwendete die CSU bislang eher für Diktaturen wie Nazi-Deutschland oder die DDR. Konkret kritisiert Seehofer, dass Flüchtlinge derzeit ungehindert ins Land einreisen dürfen.

Seehofers Äußerungen sorgten für weitreichende Empörung. SPD-Vize Ralf Stegner nannte die Äußerung abstrus. Entweder spreche sie für eine „besorgniserregende geistige Verwirrung“ Seehofers oder sie sei als Zeugnis für die CSU-Bundesminister zu verstehen, sagte er. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte, Seehofer habe jedes Maß verloren. Die Grünen-Rechtspolitikerin Renate Künast hält Seehofers Satz „schlicht für falsch“. Selbst die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt nannte die Ausführungen ihres Parteichefs „nicht besonders glücklich“.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte schließlich, nach der Logik ihres Parteivorsitzenden seien die CSU-Bundesminister „Vollstrecker des Unrechts“. Daher müssten sie umgehend die Regierung verlassen.

Übereinstimmung mit Dublin-III

Seehofers Analyse beruht wohl vor allem auf einem Gutachten, das der konservative Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio Anfang des Jahres für die bayerische Landesregierung erstattete. Dabei stellte Di Fabio fest, dass der Bund seine Pflicht zu landesfreundlichem Verhalten verletze, wenn er dauerhaft auf die Sicherung der Grenzen verzichte. Der unkontrollierte Zuzug gefährde die Eigenstaatlichkeit der Länder. Als Vergleich für die Situation der deutschen Bundesländer führt er tatsächlich die Krim-Annektion Russlands und den syrischen Bürgerkrieg an.

Zwar agiert die Bundesregierung durchaus in Übereinstimmung mit der maßgeblichen Dublin-III-Verordnung der Europäischen Union. Danach kann Deutschland Asylverfahren an sich ziehen, teilweise muss es dies sogar. Eine Grenzschließung ist mit der Dublin-III-Verordnung jedenfalls nicht vereinbar. Asylsuchende könnten allenfalls in EU-Grenzstaaten zurückgeschickt werden, aber nicht nach Österreich.

Di Fabio will das EU-Recht aber nicht mehr anwenden, weil es viele andere EU-Staaten auch missachten, etwa indem sie auf eine Registrierung der Flüchtlinge verzichten. Bei „politischen Blockaden“ lebe die nationale Souveränität wieder auf und könne, so Di Fabio, „als Hebel zur Veränderung der Staatsbeziehungen innerhalb der Union genutzt werden“. Eigentlich sieht das EU-Recht aber vor, dass bei Konflikten der Europäische Gerichtshof entscheidet und nicht, dass jeder in Wildwestmanier Druck auf die anderen ausübt.

Selbst Di Fabio räumt aber ein, dass der Bund in der aktuellen Flüchtlingspolitik ein „großes Gestaltungsermessen“ hat. Von einer „Herrschaft des Unrechts“ ist bei ihm nicht die Rede.

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