Science-Fiction von Jeff VanderMeer: Mutation in großem Stil

In der „Southern Reach Trilogie“ von Jeff VanderMeer wehrt sich die Natur gegen die Unterdrückung durch den Menschen.

Zeichnung Jeff VanderMeers

Beim Schriftsteller Jeff VanderMeer erobert sich die Natur den Menschen zurück. Foto: Verlag Antje Kunstmann

Freunde der Ursprünglichkeit mögen sich noch so sehr nach einer Einheit des Menschen mit der Natur sehnen: Die Beziehung der beiden ist einfach nicht danach. Genau besehen, kann die Natur sogar durchaus furchterregend sein. Ein Erdbeben sorgt sich nicht um mögliche Opfer, und auch das Verhältnis zwischen Mensch und Tier lässt sich kaum als ausgewogen bezeichnen. Selbst wenn Menschen irgendwann vollständig davon absehen sollten, andere Spezies zu essen, kann man umgekehrt von Raubtieren keinen Verzicht beim Verzehr von Menschenfleisch erwarten.

Dass die Naturbeherrschung auch bei den Naturwissenschaften an Grenzen stößt, ist eine der narzisstischen Kränkungen, die der menschliche Erkenntnisdrang seit jeher erleiden muss. Diese Erfahrung treibt der US-amerikanische Schriftsteller Jeff VanderMeer in seiner „Southern Reach Trilogie“ ins Extrem. Bei ihm wird die Natur zu einem stummen Protagonisten, der den Menschen neue, unverständliche Regeln vorgibt. Die Wissenschaftler sind, gelinde gesagt, überfordert.

Da eine direkte Kommunikation mit der Natur nicht möglich ist, müssen sich die Menschen, so gut es geht, an die veränderten Gegebenheiten anpassen. Und sie müssen ständig auf der Hut sein, denn es lauern unbekannte Gefahren.

Irgendwo in einer entlegenen Küstenregion in Nordamerika hat sich die Natur nach einem nicht näher benannten „Ereignis“ zu verändern begonnen. Eine nebelartige Grenze umgibt seitdem die „Area X“. Forschertrupps, die dorthin geschickt werden, kehren oft in stark dezimierter Form zurück. Die wenigen Überlebenden sind seltsam verändert, viele sterben an einer Art beschleunigtem Krebs.

Jeff VanderMeer: „Autorität“. 368 Seiten. „Akzeptanz“. 336 Seiten. Beide aus dem Englischen von Michael Kellner. Antje Kunstmann Verlag, München 2015, je 18,95 Euro

Was alles bei einer solchen Erkundung schiefgehen kann, schildert VanderMeer in Band I, „Auslöschung“ (taz vom 13. 9. 2014), in dem eine anonyme Biologin ihre Erlebnisse mit ihren Forscherkolleginnen zwischen wissenschaftlicher Sprachlosigkeit und reinem Schrecken beschreibt. Am Ende wird sie die einzige Überlebende sein. VanderMeer findet dabei einen Ton der hellwachen Verstörung und schleichenden Angst, der das Buch zu einem grandios heimtückischen Auftakt macht.

Misstrauen und Angst

Der Irrsinn steigert sich im zweiten Band „Autorität“, in dem VanderMeer die Organisation vorstellt, von der die Expeditionen in Area X entsendet werden. „Southern Reach“ ist eine geheime Forschungseinrichtung am Rande der „Grenze“. Nachdem die Direktorin bei der Expedition von Band I ums Leben gekommen ist, soll ihr Nachfolger John Rodriguez in der dysfunktionalen Institution für Ordnung sorgen. Was sich als schwieriges Unterfangen herausstellt, da er auf Misstrauen und Angst stößt. Auch die Hinterlassenschaften der Direktorin geben Rodriguez mehr Rätsel auf, worum es sich bei Area X eigentlich handelt.

Die Menschen verändern sich hin zu etwas anderem, Monströsen

Wie ein paranoider Detektiv versucht er die vorliegenden Materialien und die mitunter verschrobenen Verhaltensweisen seiner Mitarbeiter zu deuten. Er selbst steht unter Beobachtung der nächsthöheren Instanz, genannt Central, von der er regelmäßig kafkaeske Anrufe einer Stimme erhält, die so stark verzerrt ist, dass er nur mutmaßen kann, zu wem sie gehört. Dass Rodriguez bei der Arbeit auf den Namen „Control“ hört, erweist sich zunehmend als pure Ironie. Am Ende wird er gemeinsam mit der – mutmaßlichen – Biologin in Richtung Area X aufbrechen.

Im abschließenden Band „Akzeptanz“ gibt VanderMeer dann zumindest ein paar Hinweise, was in Area X geschehen sein könnte. Die Natur erobert sich diese Gegend in rasender Geschwindigkeit zurück, die stark überwucherten Reste menschlicher Zivilisation sind längst verfallen. Es scheint wie eine Öko-Vision nach dem Vorbild von Büchern wie „Die Welt ohne uns“ von Alan Wiseman, bloß dass mit dieser Natur etwas nicht stimmt. Es gibt Irritationen, Risse, vor allem verändern sich die Menschen hin zu etwas anderem, Monströsen. Bis zuletzt werden die Leser nicht erfahren, zu was genau.

Dubiose Experimente

Dafür erfährt man, dass ein Leuchtturmwärter namens Saul Evans in die Entstehung von Area X involviert war. Was diese Mutation im ganz großen Stil letztlich ausgelöst hat, lässt VanderMeer nur ansatzweise durchblicken. Doch hat es wohl mit Experimenten zu tun, die eine dubiose „Séance & Science Brigade“ in Saul Evans’ Leuchtturm durchgeführt hat. VanderMeer arbeitet dabei mit wechselnden Perspektiven und Zeitebenen, er jongliert zwischen der Vorgeschichte von Area X, der Zwischenphase aus Sicht der Direktorin und der „Jetztzeit“, wie sie John Rodriguez in Area X erlebt.

Am Ende werden sie mit vielen Fragen zurückbleiben. Auch ob es eine Katastrophe gegeben haben wird, bleibt offen. Klar hingegen ist: Die Natur verändert sich weiter. Es ist eine fantastische Einladung zum Selberdenken.

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