Science-Fiction auf der Berlinale: Die Zukunft war schon immer verrückt

Sternenenergie macht böse, das wusste schon 1920 ein deutscher Science-Fiction-Film. Ein Rückblick findet Größenwahnsinniges neben Grandiosem.

Ein Mann geht durch einen dunklen Tunnel auf ein Licht zu

Filmische Blicke in die Zukunft sind oft düster – die Berlinale guckt auf die Geschichte der Science-Fiction Foto: © National Film Archive, Czech Republic

Joel Robinson, Reinigungskraft einer „Satelliten-Verladerampe“ wurde von zwei wahnsinnigen Wissenschaftlern ins Weltall geschossen und gezwungen, sich zusammen mit ein paar Robotern B-Filme aus der Geschichte des Science-Fiction-Films anzusehen. Dabei benehmen Joel und seine mechanischen Freunde sich wie ein Kinopublikum aus der Hölle und brabbeln in den Dialogpausen vor sich hin.

Das Setting von „Mystery Science Theatre 3000“ kommt einem als Kinogänger bekannt vor. Ende der 1980er Jahre erfand der US-Komiker Joel Hodgson die Serie und erschloss damit im Zeitalter des Videos eine ganze Filmkultur. Die 197 Folgen der Serie (eine weitere Staffel wird gerade von Netflix entwickelt) entwarfen so etwas wie einen Antikanon von Filmen, die in ihrer Ödnis ohne die Kommentare nicht auszuhalten wären. Wer sich also ein Bild davon machen will, wovor einen die Retrospektive der Berlinale in diesem Jahr bewahrt, kann sich auf YouTube einen Eindruck verschaffen.

Unter dem Titel „Future Imperfect. Science. Fiction. Film“ präsentiert die Retrospektive in diesem Jahr eine Auswahl aus der Geschichte des Science-Fiction-Films von den 1910er Jahren bis in die 1980er Jahre. Die Auswahl bringt Filme aus den großen Produktionsländern des Science-Fiction-Films (zuzüglich Deutschland) ins Gespräch miteinander und arbeitet Wechselwirkungen und gegenläufige Entwicklungen heraus. Sie versucht nicht, den Kanon durch Filme aus der Science-Fiction bislang unverdächtigen Ländern grundlegend umzudeuten.

Unstrittig kanonisierten Filmen wie Don Siegels „The Invasion of the Body Snatchers“ (1956), Steven Spielbergs „Close Encounters od the Third Kind “ oder Ridley Scotts „Blade Runner“ (1987) werden einige weniger bekannte Filme an die Seite gestellt. Es steht zu vermuten, dass die Entscheidung gegen die Suche nach vorführbaren Kopien von Science-Fiction-Raritäten aus der Türkei, Ägypten oder dem Irak auch an dem Zustand beziehungsweise der Kooperationsbereitschaft der Archive gelegen haben dürfte.

Energie anzapfen

Die Retrospektive hat Beachtliches zusammengetragen: Nahezu vergessene Kurzfilme aus Japan („Hyakunen-go no aruhi“) und der ČSSR („Ropáci“) stehen neben im Kino rar gewordenen Filmen wie John Frankenheimers „Seconds“ (1966) oder Kathrine Bigelows oft vergessenem „Strange Days“ (1995). Selbst im deutschen Stummfilm der Weimarer Republik gibt es noch Entdeckungen zu machen, wie Hans Werckmeisters „Algol“ von 1920.

Der dänische Stummfilm „Himmelskibet“, 1918 uraufgeführt, gehört zu den ersten Weltraumabenteuern, die friedlich verlaufen. Demgegenüber erinnert „Algol“ deutlich eher an eine fantastische Erzählung à la „Faust“.

Die Handlung ist so simpel wie konfus: Der Bergmann Robert Herne bekommt von einem mephistophelischen Sternendämon gezeigt, wie er mit einer Zackenantenne die Energie des Sterns Algol mit einer fahrradartigen Apparatur aufnehmen kann. Mithilfe dieser Energie wird Herne reich.

Der Berliner Börsen Courier war damals von dem Film wenig angetan: „Regie könnte aus diesem Kolportagespuk und Sensationsroman vielleicht eine zwingende, rhythmisch abgestufte Bildfolge machen, die das Gesetz ihrer Phantastik durch Gliederung und Aufbau erhielte. Statt dessen gab der Regisseur Hans Werckmeister zufällige Wirklichkeitsausschnitte und ebenso zufällige Gruselphantastik. Die Bilder waren weder in sich geschlossen und durchkomponiert, noch steigerten sie sich aneinander.“ So sehr dem zuzustimmen ist, so ist „Algol“ als filmisches Beispiel von ideologischer Kapitalismuskritik doch auch beeindruckend. Nur den Aluhut und die Chemtrails hat Werckmeister noch nicht vorweggenommen.

Berliner Börsen Courir

„Regie könnte aus diesem Kolportagespuk und Sensationsroman vielleicht eine zwingende, rhythmisch abgestufte Bildfolge machen, die das Gesetz ihrer Phantastik durch Gliederung und Aufbau erhielte“

Herne zwingt mithilfe seiner Energiequelle ein Land nach dem anderen in die Abhängigkeit, schließlich auch das kleine Nachbarland, das keine Kohlenvorräte mehr besitzt und nur das Korn gegen den „Wucher“ tauschen kann. Das bedroht auch die Existenz der ehemaligen Geliebten Hernes, die sich im Nachbarland niedergelassen hat und nun meint: „Unser Glück ist unsere kleine Scholle.“

In den Beziehungen zwischen Herne und dem Nachbarland entwirft Werckmeister unbewusst eine filmische Analogie kolonialer Abhängigkeit. Das Verhältnis schlägt um, als Herne von seinem Sohn verdrängt wird und die Herrschaft, der patriarchalen Disziplin beraubt, sich in Dekadenz verwandelt. So viele rassistische und antisemitische Stereotype völkischer Kapitalismuskritik sieht man selten in einem Film vereint, dem Analyse so fremd ist wie Stringenz. Und doch ist „Algol“ just darin ein höchst sehenswertes Zeitdokument aus einer Zeit, in der die futuristische Utopie als freies Experimentierfeld erschien.

Größenwahnsinnig gescheitert

1969 schloss die wichtigste amerikanische Filmkritikerin des 20. Jahrhunderts, Pauline Kael, einen Aufsatz mit der Feststellung: „Wenn wir an den Filmen erwachsen geworden sind, wissen wir, dass gute Arbeit in der respektablen, akademischen Tradition weniger kontinuierlich ist als in dem Aufblitzen von etwas Gutem im Trash. Trash hat uns einen Appetit auf Kunst gegeben.“ „On the Beach“ vom Großmeister des ansehnlich gescheiterten Films, Stanley Kramer, ist Kunst in ihrer wunderbarsten Form: größenwahnsinnig auf sieben Kontinenten gleichzeitig gestartet, an der Kinokasse gescheitert und doch Filmgeschichte geworden.

Zu den Fahrzeugen, die man im Science-Fiction-Film eher selten zu sehen bekommt, zählen U-Boote. Doch das US-Atom-U-Boot „Sawfish“ ist in „On the Beach“ die einzige verbliebene Möglichkeit, von Australien aus die verstrahlte Welt zu erkunden.

Für seine dystopische Erzählung von einer knapp noch überlebenden Menschheit nach einem Atomkrieg vereint Kramer Gregory Peck, Ava Gardner, Fred Astaire, Anthony Perkins als Darsteller – und lockt den Zuschauer so auf den Irrweg, eine halbwegs glamouröse US-Produktion zu erwarten. Stattdessen hat Kramer jedoch den Fellini-Bildgestalter Giuseppe Rotunno eingespannt, der für den Film grandios distanzierte Bilder fand.

Die Bildkonzepte Rotunnos versehen „On the Beach“ irritierenderweise mit der Coolness der Filme Elio Petris und Michelangelo Antonionis, die bei den US-amerikanischen Kritikern der Zeit Begeisterung weckten. Überhaupt ist der Film sichtlich von europäischen Filmen der Zeit angetan: Als Gregory Peck Ava Gardner mit der Hand am Hintern aus dem Meer ins Segelboot schiebt, murmelt ein versonnener Beobachter am Strand, das sei ja ganz wie in einem französischen Film. All das schien dem Hauruck-Liberalen Kramer insgesamt wohl doch zu subtil, weswegen er die berückenden Bilder Rotunnos von Ernest Gold mit einer enervierenden Filmmusik versehen ließ.

Zur Eröffnung wird es episch

Neben diesen aufregend zwiespältigen Filmen stehen bildgewaltige Dystopien wie Konstantin Lopuschanski spätsowjetischer Klassiker „Briefe eines Toten“ von 1986 oder Richard Fleischers „Soylent Green“ von 1973. Rainer Werner Fassbinders fulminanter Kybernetikfilm „Welt am Draht“ ist ebenso Teil der Retrospektive wie Wolf Gremms grelle Per-Wahlöö-Verfilmung „Kamikaze 1989“ mit Fassbinder in seiner letzten Rolle als Polizeileutnant Jansen.

Zur Eröffnung läuft Hermann Zschoches Defa-Prestigeproduktion „Eolomea“ von 1972, sogar in epischen 70 mm. Die Retrospektive bleibt also weiterhin erfreulich bemüht, Filme in ihrer Originalästhetik sichtbar zu halten. Da analoge Filmvorführungen internationaler Filme immer rarer werden, macht allein das die Retrospektive schon zu einem Ereignis. Nölende Roboter im Publikum wie bei „Mystery Science Theatre 3000“ sind auch in diesem Jahr kaum zu befürchten.

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