Schorsch Kamerun bei der Ruhrtriennale: Yoga für die Zugezogenen

Multikulti und Grenzen: Schorsch Kameruns „Nordstadt Phantasien“ erzählen bei der Ruhrtriennale von der Wandlung eines Arbeiterviertels.

Frau im Enten-Schwimmhilfe vor Kiosk

Straßenszene oder Inszenierung? Ruhrpottrevue in der Dortmunder Nordstadt Foto: Christoph Sebastian

Die Dortmunder Nordstadt ist ein „Problemviertel“ wie aus dem Lehrbuch: ein Arbeiterstadtteil hinter dem Hauptbahnhof mit Drogenszene, Straßenstrich und Genossenschaftswohnungen, in dem rund 30 Prozent der 60.000 Bewohner von Sozialleistungen leben. Aber der Stadtteil ist auch die Heimat der migrantischen Communitys. Sie war es von Mehmet Kubaşık, der 2006 in seinem Kiosk vom NSU erschossen wurde.

Der Rest des Ruhrgebiets schaut fasziniert und angewidert zugleich auf die Nordstadt. Voyeuristische Sozialreportagen inszenieren das Viertel als rechtsfreien Raum und rücken noch die letzte Spritze der Heroinsüchtigen auf dem Nordmarkt ins Bild.

Der Hamburger Musiker Schorsch Kamerun inszeniert jetzt bei der Ruhr­triennale in der Nähe des Dortmunder Hafens seine „Nordstadt ­Phantasien“. Am Donnerstag war Premiere. Aber anstatt für Sozialrealismus haben sich Kamerun und sein Mitmusiker PC Nackt für eine Revue im Revier entschieden. Gegenüber einem verklinkerten Haus, in dem sich ein türkischer Supermarkt, ein Café und eine Trinkhalle das Erdgeschoss teilen, werden wir Zuschauer in einem Glaskasten platziert. Das Leben auf der Straße wird über vier Bildschirme ins Innere übertragen, vom Lärm der Straße sind wir durch geschlossene Kopfhörer abgeschirmt.

Wir, die interessierten Kulturbürger, sind die Eindringlinge. Aber wer beobachtet wen? Immer wieder laufen Bewohner der Nordstadt vorbei und werfen einen Blick auf uns im Inneren des Kastens.

Auf der Straße spielen sich typische Szenen ab. Vorm Kiosk wird Bier getrunken, vor dem Café türkischer Tee, zwischendrin spielen Kinder. Aber schon die Authentizität dieses Szenarios ist nicht verbürgt. Ist der Mann, der mit einer Packung Klopapier am Fahrradlenker durch die Szene fährt, jetzt ein Statist, oder kommt er nur vom Einkaufen? Und hat Kamerun die Kinder gecastet, die auf der Straße tanzen und klatschen? Oder waren sie einfach froh darüber, dass in ihrem langweiligen Viertel endlich mal was los ist?

Ist der Mann, der mit einer Packung Klopapier am Fahrradlenker durch die Szene fährt, jetzt ein Statist, oder kommt er nur vom Einkaufen?

Schließlich fährt ein schwarz gekleideter Mann auf einem Tretroller vor. Er setzt zu einem Monolog an. Die Nordstadt besitze „pure Authentizität“, sagt er. Ihre Architektur verweise auf die Improvisation ihrer Bewohner. Schließlich fällt er sein Urteil: „Unglaubliches Potenzial.“ Von dem Moment an wird die Straße gentrifiziert. Sie wird zur Kulisse eines Fotoshootings, während Touristen durchs Viertel geführt werden. Ein paar Bühnenarbeiter bauen dazu einen Pop-up-Laden auf, in dem „Jelly Friends“ verkauft werden: Süßwasserquallen aus dem Becken des Dortmunder Hafens. Zur Eröffnung spielt das Dortmunder Akkordeon-Orchester 79 – alles so lokal hier.

Schließlich treten noch zwei maskierte Wrestler gegeneinander an. Die Neuankömmlinge formen den Arbeiterstadtteil so, wie es ihrer Vorstellung von proletarischem Freizeitvergnügen entspricht.

Von Usbekistan in die Dortmunder Nordstadt

Die Figuren der „Nordstadt Phantasien“ werden dabei nie zu Charakteren, sondern sprechen in Klischees. Ein Immobilienmensch redet von „business opportunities“, und als er von seinem Geschäftspartner ausgebootet wird, kompensiert er dies mit Yogaübungen. Eine junge Frau im Ost­frie­sen­­nerz, geschminkt wie ein Zombie, erzählt von ihrem Leben als Dauertourist in Usbekistan und Nordafrika. Die letzte Station ihres Abenteuers aber soll ein Umzug sein: der in die Dortmunder Nordstadt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Kamerun besingt dazu die Widersprüche: Multikultiviertel lieben, aber nicht gegen Grenzzäune protestieren; der Aktienmarkt als Taktgeber für die Träume vom Eigenheim im Arbeiterviertel. Er trägt all dies über minimalistischer Lo-Fi-Elektronik vor, die über die Dauer des Stücks eine formale Strenge erfüllt. Aber das ist kein Wunder, schließlich antworten die „Nordstadt Phantasien“ auf eine andere Form, die ebenfalls formal streng ist: die Fantasien der „creative city“, die die Stadtplanung des letzten Jahrzehnts geprägt haben. Auch in Dortmund fand dieser Masterplan Gehör. Als das Ruhrgebiet 2010 Kulturhauptstadt war, erhoffte man sich dort den „Wandel durch Kultur“.

Designer, Softwareentwickler und sonstige Kreativarbeiter würden die Kumpel von morgen sein und in den „Kreativquartieren“ im Schatten ehemaliger Industriebauten arbeiten, die mit öffentlichen Mitteln bezugsfertig gemacht wurden. Der berühmteste von ihnen mit dem leuchtenden U, dem Wahrzeichen der ehemaligen Union-Brauerei, strahlt bis in die Nordstadt. Aber anstelle von Ateliers und Designstudios sind dort heute Firmen aus der Gesundheitsbranche und dem ­Asset-Management untergebracht – Wandel durch Immobilienwirtschaft.

Auch die „Nordstadt Phantasien“ erfüllen sich nicht. Die Zugezogenen auf der Bühne haben Angst um ihre Eigentumswerte, sie wenden sich an den Immobilienentwickler, der sie hergelockt hat. Es ist seine Bewährungsprobe, und er besteht sie, indem er die Unzufriedenen mit Musik, Tanz und Motivationsvokabeln betreut. Wenn der Markt sein Versprechen nicht halten kann, bleibt nur die Esoterik übrig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.