S-21-Gegner nach dem Volksentscheid: Wer sind wir und wieviele?

Die Abstimmung über den Baustopp von Stuttgart 21 ging klar verloren. Am Tag danach mischen sich auf der Montagskundgebung Ratlosigkeit und Selbstreflektion.

Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Bild: dapd

STUTTGART taz | Renate Rüter ist eine renitente Rentnerin gegen Stuttgart 21. Zumindest hat sie das auf ihr Pappschild geschrieben, das sie, festgeklebt an einen kleinen Kehrbesen, jede Woche mit zur Montagsdemonstration bringt.

Der Aussage zufolge müsste eigentlich klar sein, dass die 72-Jährige auch jetzt weiter auf die Straße geht. Jetzt, nachdem sie und ihre Mitstreiter den Volksentscheid zum Bahnprojekt verloren haben, nachdem fast 60 Prozent gegen den Ausstieg gestimmt haben. Doch seit dem Abstimmungssonntag passt die Aufschrift nicht mehr so ganz zu ihren Gedanken und Gefühlen.

Dass Stuttgart 21 Murks bleibt, davon sind bei der ersten Montagsdemo nach der Volksabstimmung alle überzeugt. Und so steht auch die grauhaarige Rüter mit ihrem Besen, grünem Protestschal und Trillerpfeife wieder am Bahnhof. Aber wie es mit dem Protest weitergehen soll, das weiß an diesem Abend noch keiner so recht. „Heute Morgen habe ich gedacht, ich schmeiße alles hin“, sagt Rüter. „Und dann war ich doch bei der Blockade um sechs Uhr.“

So wie Rüter scheint es an diesem Tag vielen zu gehen. Trotz der Niederlage sind erneut Tausende zur Kundgebung gekommen. Die Veranstalter sprechen von 3.500 Teilnehmern, die Polizei von 2.000. Aber etwas ist anders. Die Stimmung wirkt bedeckt, erst später wieder etwas entschlossener. Zur Begrüßung umarmen sich einige und sagen sich gegenseitig „Kopf hoch!“

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Die bisherige Sprecherin des Aktionsbündnisses, Brigitte Dahlbender, verkündet auf der Bühne ihren Rücktritt. Zugleich versucht sie, das Positive herauszukehren. „Guckt nicht nur auf das Abstimmungsergebnis, sondern schaut auf das, was die Bewegung erreicht hat.“ Und schließlich sei nach dem Spiel vor dem Spiel. Solche Worte überzeugen nicht alle. „Ach ja, lass gut sein“, sagt ein Mann in den hinteren Reihen.

Erstmals ist an diesem Abend auch Platz für Selbstreflexion. „Einfach so weitermachen, als wäre nichts passiert, wäre ein Fehler“, sagt Hannes Rockenbauch vom Aktionsbündnis. Er lädt alle Protestgruppierungen zu einem gemeinsamen „großen Ratschlag“ ein. In großer Runde soll am Sonntag im Stuttgarter Rathaus das Ergebnis analysiert werden. „Wir müssen es wagen, gemeinsam aus den Ergebnissen zu lernen.“

Norbert Bongartz steht in der Protestmenge und fängt mit seiner Analyse schon mal an. „Ich bin überrascht, dass sich so viele Befürworter mobilisieren ließen“, sagt der 68-Jährige. „Aber dabei ist mir eines klar geworden: dass jeder Kritiker von Stuttgart 21 als Störenfried gilt.“

Die schweigende Mehrheit

Für ihn ist es aber gar keine Frage, er will weiterdemonstrieren. Dabei geht es vielen nicht nur um den Protest an sich, sondern auch um das, was in Stuttgart entstanden ist. „Was ich hier an Solidarität, an Kreativität kennengelernt habe, das möchte ich in meinem Leben nicht mehr missen“, sagt Renate Rüter.

Viele beschäftigt auch das Abstimmungsergebnis in Stuttgart. Knapp 53 Prozent stimmten in der Protesthauptstadt gegen den Ausstieg. Vielleicht war dieses Einzelergebnis die bitterste Niederlage für die Bewegung. Denn ihre Selbstwahrnehmung war bislang eine andere.

Die Gegner glaubten die deutliche Stuttgarter Mehrheit hinter sich. Rüter sucht nach einer Erklärung. Es habe eine schweigende Mehrheit gegeben, was die Wahrnehmung verzerrt habe. „Die anderen waren stumm. Und blieben stumm bis zur Abstimmung“, sagt sie. „Und dann waren sie da.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.