Rollstuhlfahrt als Action-Game: Mit Karacho die Treppe runter

„Extreme Wheelchairing“ heißt das Smartphone-Game eines schwedischen Programmierers. Er war fasziniert von der Antriebstechnik klassischer Rollstühle.

Da kommt man schon mal ins Schleudern: Standbild aus „Extreme Wheelcharing“ Bild: devm-games

Früher, als es noch den Zivildienst gab, landeten viele junge Männer fast zwangsläufig irgendwann im Rollstuhl. Entweder im Rahmen eines Lehrgangs, bei dem sie als „Fußgänger“ erfahren sollten, was es heißt, auf zwei großen und zwei kleinen Rädern über Stock und Stein geschoben zu werden. Oder später im Dienst, wenn sie einfach mal ausprobierten, wie man mit einem Rollstuhl kippeln und Pirouetten drehen oder Rennen auf dem Gang des Studentenwohnheims gewinnen kann – und so entdeckten, dass ein Rolli durchaus ein anspruchsvolles Sportgerät sein kann.

Heute, wo es statt der Zivis nur noch zwanglose Bufdis gibt, sind die Gelegenheiten für Nichtbehinderte die Rollstuhl-Perspektive kennen zu lernen in der realen Welt seltener geworden.

Aber zum Glück gibt es ja noch die virtuelle – und da geht es seit neuestem richtig rund. „Extreme Wheelchairing“ heißt ein Online-Spiel, das man sich auf sein Smartphone oder Tablet herunterladen kann. Zu sehen ist eine junge Rollstuhlfahrerin von hinten. Sie trägt einen Helm, was bei dem, was in den 21 Levels des Spiels alles auf sie zukommen wird, mehr als angebracht ist.

Die Aufgabe ist relativ simpel: Irgendwo auf den Parkhausdecks, über die man kurven muss, gibt es einen leuchtenden Kreis. In den niedrigen Levels ist er von Beginn an zu sehen, später muss man ihn erst einmal suchen. So oder so gilt: Kreis erreicht, Level erledigt.

Rampen, Schanzen, Hebebühnen

Klingt einfach, ist es aber nicht. Im Gegenteil. Zum einen sind da die von Level zu Level extremer werdenden Hindernisse: anfangs ein paar sanft ansteigenden Rampen, dann Treppen, hügelige Gelände und schließlich sich drehende Hebebühnen oder Sprungschanzen. So wie es sich für ein klassisches Jump‘n‘run-Game gehört.

Zur echten Herausforderung aber wird das Spiel durch die Steuerung. Rechts und links am Bildschirmrand sind – quasi wie in echt – die Räder mit den Schwungringen angebracht. Hier muss man sie mit den Daumen nach oben oder unten bewegen und kann so den Rollstuhl drehen, beziehungsweise die Fahrtrichtung ändern. Ein komplexer Vorgang, schon weil man im Kopf umdenken muss, um die Reaktion des Rollstuhls zu verstehen. Aber mit einiger Übung klappt sogar Rückwärtsfahren, was man spätestens drauf haben muss, wenn man in dem Parkhauslabyrinth in eine schmale Gasse gerät, in der es mit dem breiten Rollstuhl kein Durchkommen gibt.

Genau diese Steuerung war die große Herausforderung für Jan Rigerl, der das Spiel programmiert hat. Der junge Schwede hat keine Freunde oder Familienmitglieder mit Handicap. Ihm ging es auch nicht um darum, Behinderte irgendwie unterstützen. Er sei schlichtweg fasziniert vom Steuerungsmechnismus eines Rollstuhls gewesen.

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„Für mich war die Herausforderung, das auf einem Touchscreen abzubilden“, sagt Rigerl, der schon seit Jahren in der Branche arbeitet und sich nun mit seiner Ein-Mann-Firma devm-games als unabhängiger Spielentwickler selbstständig gemacht hat. Zuletzt hatte er zum Beispiel das Spiel „Extreme Forklifting“ präsentiert, bei dem man mit Gabelstaplern diverse Aufgaben erledigen musste.

Die Gabelstapler stehen jetzt auch wieder bei „Extreme Wheelchairing“ oft auf den Parkdecks herum. Sie spielen außer als Hindernis diesmal aber keine Rolle. Auffällig ist zudem die hohe Zahl von freien Behindertenparkplätzen. Eine Darstellung, die zumindest für deutsche Verhältnisse unrealistisch ist. Genauso wenig gehört es zum Alltag eines Rollifahrers, Treppen runterzubrettern oder über Schanzen zu springen. Aber es soll hier ja auch nicht um Wheelcharing allgemein gehen, sondern um die Extremform.

Extremer Realsport

Die gibt es längst auch in der echten Welt. Denn Rollstuhl-Sport heißt nicht mehr unbedingt, dass hunderte Behinderte, meist in tiefer gelegten Boliden über eine bordsteinfreie Marathon-Strecke rasen. Längst gibt es junge Rollstuhlfahrer, die ihr Hilfs- als extremes Sportgerät begreifen und damit wie ein Skater durch Halfpipes düsen, Stunts inklusive.

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„Ich habe mir zur Inspiration eine Menge Rollstuhlsportvideos auf youtube angeschaut“, sagt Jan Rigerl, „etwa von solchen Leuten wie Aaron Fotheringham“. Dieser heute 24-jährige US-Amerikaner gilt als der einzige, dem nach vielen schmerzhaften Fehlversuchen mit seinem Rollstuhl sogar Doppelsaltos gelungen sind.

Dennoch war sich Jan Rigerl nicht sicher, wie sein Spiel ankommt. „Ich hatte erwartet, dass sich einige aufregen, weil sie denken, dass das Spiel Behinderte verhönt“, sagt der Schwede. Stattdessen hätten ihn viele Rollifahrer gelobt, weil sie mal nicht als hilflose Opfer dargestellt würden.

Das deutsche Online-Protal Der Querschnitt, das Infos für Paraplegiker – also meist an den Beinen Gelähmte – bietet, lobt etwa, dass „Steuerung und Körperschwerpunkt des Alter Ego ziemlich realistisch sind“. Und die Betreiber von wheelmap.org schreiben begeistert auf facebook: „Zockte das ganze Wochenende die Extreme Wheelchairing App“. Also Vorsicht: Rollstuhlfahren kann süchtig machen.

Das Spiel gibt es für iOS und Android-Geräte in einer kostenlosen Version, die durch Werbeclips unterbrochen wird. Und in einer werbefreien für 99 Cent.

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