Revolution in Libyen: Ein Land im Aufruhr

Es scheint wenig zu helfen. Obwohl der Gaddafi-Sohn eine Ansprache hält, die beschwichtigen soll, taucht sein Vater unter. Diplomaten, Stämme und Militärs wechseln die Seite.

Ein Bild aus Libyen, ausgestrahlt vom TV-Sender "Al-Arabija". Bild: dpa

Das libysche Regime ist in die Ecke gedrängt und reagiert brutal: Eine Verzweiflungsrede Seif al-Islam Gaddafis, der anstelle seines abgetauchten Vaters, des Revolutionsführers Muammar Gaddafi, im staatlichen Fernsehen spricht. Ein Aufstand, der sich nicht mehr nur im Osten des Landes abspielt, sondern inzwischen die Hauptstadt Tripolis erreicht hat. Ein Militär, das im Osten des Landes zu den Aufständischen überläuft, und Stammesführer, die Gaddafi öffentlich die Gefolgschaft verweigern.

Nach konservativen Schätzungen der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch waren bis Sonntag mindestens 233 Menschen in Libyen umgekommen. Die Zahl basiert auf Gesprächen mit nur zwei Krankenhäusern in Bengasi, Libyens zweitgrößter Stadt. Allein in der Nacht von Sonntag auf Montag sollen nach Schätzungen aus Krankenhäusern in Tripolis laut dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira noch einmal mindestens 61 Menschen getötet worden sein.

"Das libysche Regime hat aus der ägyptischen und tunesischen Erfahrung gelernt, nicht zu zögern, ein blutiges Massaker anzurichten, um seinen Sturz zu verhindern. Das ist der Grund, warum es alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt", schreibt die überregionale arabische Tageszeitung al-Quds al-Arabi.

Spekulationen über eine mögliche Flucht des bedrängten libyschen Staatschefs Muammar al Gaddafi haben am Montagabend in Brüssel für Aufregung gesorgt. Er habe keine Informationen darüber, dass sich Gaddafi auf den Weg nach Venezuela gemacht habe, sagte der britische Außenminister William Hague. "Aber ich habe einige Informationen gesehen, die darauf hindeuten, dass er auf dem Weg dorthin ist." Konkretere Angaben machte er nicht. (dapd)

Noch in der Nacht zum Montag hatte Seif al-Islam Gaddafi eine lange und doch kryptische Rede gehalten. Die erste Auffälligkeit: Der Revolutionsführer selbst hat sich nicht zu Wort gemeldet. Dafür aber sein Sohn, der schon seit Jahren als der Nachfolger Muammar Gaddafis gehandelt wird und der sich ähnlich wie Mubaraks Sohn Gamal gerne als Reformer verkauft. Seine Rede bestand aus einer Mischung aus wüsten Drohungen und Reformversprechen. "Wir werden bis zur letzten Minute und bis zur letzten Patrone kämpfen", kündigte er an. Und erklärte den Aufstand als von außen gesteuert und die Anzahl der Toten als von den Medien übertrieben.

Andererseits gab er sich beschwichtigend und räumte ein, dass sich die Armee falsch verhalten habe, weil sie für so eine Situation nicht geschult sei. Und er versprach eine "historische nationale" Reforminitiative, die bereits am Montag vom Parlament ausgearbeitet werden sollte. Auch die Verfassung soll umgeschrieben werden. Das Problem: Am Montag kamen die ersten Meldungen, das Parlament in Tripolis stehe in Flammen. Der Aufstand hatte die Hauptstadt erreicht.

Während das Regime darum kämpft, die Kontrolle in der Hauptstadt zu behalten, mehrten sich die Meldungen, dass die im Osten des Landes liegende Stadt Bengasi sich bereits in der Hand der Aufständischen befinde. Dort soll auch nach Augenzeugenberichten eine ganze Armeeeinheit namens "Donnerschlag" zu den Aufständischen übergelaufen sein. Ein Chirurg, Habib al-Obaidi, des lokalen Al-Dschalaa-Krankenhauses berichtete gegenüber der arabischen Fernsehstation al-Dschasira von 50 Toten und 200 Verletzten allein in seinem Krankenhaus. Einige Verletzte waren von Soldaten eingeliefert worden.

Auch die Gefolgschaft der Stämme, auf deren Loyalität Gaddafi seine Macht aufbaut, scheint zu bröckeln. Faraj al-Zuway, der Chef des Zawwaya-Clans im Osten des Landes, hat gedroht, den Ölexport innerhalb von 24 Stunden zu stoppen, wenn die Gewalt gegen die Demonstranten nicht aufhört. Akram al-Warfalli, einer der Chefs des Al-Warfalla-Stammes - einer der größten Clans in Libyen -, hat öffentlich erklärt, dass Gaddafi nicht mehr der Bruder des Stammes sei und das Land verlassen solle. Einige Stammesführer sollen sich verabredet haben, um am Montagabend mit ihren Anhängern in Richtung Hauptstadt zu marschieren.

Einer der Gründe für den libyschen Aufstand ist auch die grassierende Korruption im Land. Die libysche Online-Zeitung al-Watan al-Libya beschrieb unlängst die verschiedenen Formen der Korruption: Verbreitet ist die "Schleck deine Finger ab"-Methode. Der Austausch von Dienstleistungen je nach Einflussbereich: Du verschaffst mir ein Bett im Krankenhaus, im Gegenzug erledigst du meine Autopapiere.

Oft anzutreffen ist auch die "Essen und lass andere mitessen"-Methode. Ein höherer Beamter oder Chef eines staatlichen Betriebes lässt von seinen Untergebenen Bestechungsgelder einsammeln. Er steckt einen großen Teil ein, verteilt aber auch einen Teil nach unten weiter. Dann gibt es noch die "Kawasheek"-Methode. Dabei geht es um die Veruntreuung von Geldern in den Volkskomitees, wenn etwa für imaginäre Verträge staatliche Gelder abgezogen werden. Und schließlich die "fetten Katzen": hohe Regierungsbeamte oder Sekretäre der Volkskomitees, ohne die kein lukratives Geschäft vonstatten geht.

Ein weiteres Zeichen, dass sich das libysche Regime seinem Ende nähert, ist die Tatsache, dass die ersten libyschen Diplomaten bereits ihr Fähnchen mit dem Wind drehen. Der libysche Botschafter bei der Arabischen Liga in Kairo, Abdel Moneim al-Honi, hat verkündet, er nehme fortan an der Revolution teil. Seitdem war er telefonisch nicht mehr zu erreichen. Auch der libysche Botschafter in Indien, Ali al-Essawi, ist aus Protest gegen die Gewalt gegen die Demonstranten von seinem Amt zurückgetreten.

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