Rekrutierung in der Nazi-Szene: Musik als Einstiegsdroge

Auf Rechtsrock-Konzerten rekrutiert die Neonazi-Szene ihren Nachwuchs. Aktuelle Zahlen zeigen, dass diese Taktik beunruhigend erfolgreich ist.

NPD Plakat und Nazi

Rechtsextreme treffen sich auf Konzerten – wie dem „Schild und Schwert-Festival“ Foto: imago / xcitepress

BERLIN taz | Auch 2018 setzt die extreme Rechte auf Musikveranstaltungen als Lockmittel für potenziellen Nachwuchs. Ihre Events sind regelmäßig gut besucht, und das auch die von noch unbekannten Neulingen. Aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linkspartei geht hervor, dass sich der Trend zu größeren Konzerten in der rechten Szene fortsetzt. Insgesamt fanden im ersten Halbjahr 2018 131 Musikveranstaltungen statt, zu denen vor allem Konzerte und Liederabende gerechnet wurden. 13.000 Besucher wurden insgesamt gezählt, die Zahlen könnten wegen Nachmeldungen aber noch nach oben korrigiert werden.

Wegen der hohen Anzahl an Menschen, die sie anzogen, sind die gut 50 Konzerte besonders beunruhigend. Denn damit zeigt sich, dass die Nazi-Szene weiterhin im Großveranstaltungsbereich aktiv ist – und das erfolgreich. Im Rahmen dieser Veranstaltungen kam es zusätzlich zu zahlreichen Straftaten, die von verfassungswidrigen Kennzeichnungen bis hin zu Sachbeschädigung, Körperverletzung und Volksverhetzung reichten. Außerdem wurden im ersten Halbjahr 2018 66 Tonträger aus der Szene aufgrund der Verherrlichung oder Verharmlosung von Nationalsozialismus und Krieg oder wegen Rassismus auf den Index gesetzt.

Vertreter*innen der Linkspartei betonen die Bedeutung der Vernetzung der Szene im Bereich Musik, zum Beispiel mit Hilfe des rechtsextremen Netzwerkes und Musikvertreibers „Blood & Honour“. Dieses wurde mittlerweile verboten, nicht aber dessen gewalttätige Untergruppe „Combat18“, die weiter vorangetrieben wird. Bedenklich sei aber vor allem das Ziel der Politisierung des Nachwuchses, der mit großen Musikerlebnissen regelrecht angeworben werden soll. Denn auf den Konzerten seien oft auch zentrale Persönlichkeiten der Nazi-Szene anwesend, die die Neulinge für ihre Ideologie zu begeistern versuchen. Eines der größten Ereignisse dieser Art war das „Schwert und Schild-Festival“ im April in Osteritz mit 1.200 Menschen, das von dem Nazikader und NPD-Funktionär Torsten Heise organisiert wurde.

Die nächste große Veranstaltung soll am 25. August 3.000 Menschen nach Mattstedt in Thüringen bringen, berichtet die Neue Osnabrücker Zeitung. Der Verfassungsschutz des Landes geht allerdings von mehr Besuchern aus, denn im letzten Jahr waren etwa 6.000 Neonazis aus Deutschland und dem Ausland nach Themar gekommen. Noch immer laufen Gerichtsverfahren wegen Hitlergrüßen und „Heil Hitler“-Rufen, die im Rahmen der Veranstaltung ungehindert von Besuchern gegenüber der Polizei gezeigt worden waren.

„Konzerte als Rekrutierungsmittel der Nazi-Szene haben ungebrochenen Zulauf, das belegen die aktuellen Zahlen auf meine Anfrage. Über 9.000 Besucher von Nazikonzerten im zweiten Quartal zeigen die Mobilisierungsfähigkeit gerade des radikalen und militanten Teils der Nazi-Szene“, kommentiert Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei. Ihre Anfrage hatte die Fraktion mit der Dringlichkeit des Problems begründet: „Als vermeintlich unpolitische „Einstiegsdroge“ bieten Rechtsrock und die verschiedenen, innerhalb der extremen Rechten verbreiteten Musikstile die Möglichkeit, vor allem Jugendliche anzusprechen und mit der extrem rechten Szene in Berührung zu bringen“, heißt es in der Anfrage.

Bedenklich sei aber vor allem das Ziel der Politisierung des Nachwuchses

Jugendkulturforscher bestätigen die Sorge

Die Befürchtung der Linkspartei, dass rechte Musik oft als „Einstiegsdroge“ zur Neonazi-Szene instrumentalisiert werden könnte, teilt das Archiv der Jugendkulturen. Die Forschungs-, Bildungs-, und Informationsstätte betreibt schon lange ein „Monitoring“ der Neuen Rechten, vor allem auf Social Media.

„Die rechte Szene ist vielfältiger geworden, und stellt damit auch eine größere Gefahr dar“, erklärt die Leiterin des Archivs Gabriele Rohmann. Nach dem Rechtsrock der 80er und 90er Jahre hätte sich Anfang der 2000er Jahre die Musikszene weiterentwickelt, über rechte DJs bis hin zum ersten rechten Neonazi-Rapper MaKss Damage. Dieser begeistere die Menschen nicht nur mit Rap, sondern auch mit seinem Kleidungsstil und der Vermittlung von Gemeinschaftsgefühl. „Das gehört alles zusammen, es wird ein gesamter Lifestyle, der unterschiedliche Leute anzieht“, erklärt Rohmann. „Und Musik ist wichtig, weil sie die Emotionen trifft.“ Zu den neuesten Erscheinungsformen der rechten Szene gehöre heute die „Identitäre Bewegung“, die sich mit einem eher popkulturelleren und harmloseren Image in der Mitte der Gesellschaft positionieren wolle. Diese klaut tatsächlich gerne bei bekannten linken Musikern, um einen eigenen Sound mit unterschwelligem rechten Ton zu produzieren, wie es der Rapper „Komplott“ tut.

Im Gegensatz zu den 90er Jahren, in denen die NPD versucht hatte, rechtsextreme Musik über „Schulhof-CDs“ an Jugendliche zu verteilen, hörten junge Menschen rechte Musik heute vor allem über das Internet. „Wichtig ist aber auch das Konzerterlebnis: andere treffen, ein bestimmter Kleidungsstil, das Gefühl einer verschworenen Gemeinschaft anzugehören“, betont Rohmann. Das Bewegen in der peer group ziehe die Jugendlichen an, oft sei es auch eine vermeintliche Rebellion gegen linke Elternhäuser. Jedoch müsste man differenzieren, denn nicht alle Jugendlichen, die einmal ein rechtes Konzert besuchten, würden sich auch von der rechtsextremen Ideologie manipulieren lassen.

Rechte Musikszene bleibt kritisch
Gabriele Rohman, Leiterin Archiv der Jugendkulturen

Die rechte Szene ist vielfältiger geworden, und stellt damit auch ein größeres Risiko dar

Rohmann summiert: „Die rechte Szene ist stärker geworden in Deutschland. Das zeigt sich zum einen an der breiteren Aufstellung der Szene, die sich ausdifferenziert hat. Zum anderen ist sie aber auch hoffähiger geworden durch den Rechtsruck in der Gesellschaft.“ Deswegen sei es wichtig, transparent zu machen, wo sich rechte Ideologie verstecke. Dafür müsste neben verschiedener Initiativen auch die Zivilgesellschaft ihren Teil beitragen und klar Haltung zeigen.

Doch die Linkspartei sieht die Reaktionen gerade auf Seiten der Verwaltung auf die Erkenntnisse zur Musikszene der extremen Rechten kritisch. „Leider kann ich bis heute nicht erkennen, dass es ein abgestimmtes Vorgehen der Behörden in Bund und Ländern gibt, um diesem Treiben der Nazi-Szene wirksam etwas entgegen zu setzen“, kommentiert Ulla Jelpke.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.