Reisen in Namibia: Auf Pirsch in der Kalahari

Leere Landschaften, teure Unterkünfte: Urlaub in einem Land, das Naturschutz in die Verfassung geschrieben hat.

Das Glück der märchenhaften Naturschönheit im NamibRand-Naturreservat. Bild: imago/Anke Agency

Wir sind mit einer Idee hierhergekommen: zu sehen, was ein Land macht, das vor knapp 25 Jahren unabhängig wurde, das als erstes Land der Welt den Naturschutz in seiner Verfassung verankert hat. Ein Land, das dreimal so groß ist wie Deutschland, aber nur von zwei Millionen Menschen bewohnt wird. Wir sind auch nach Namibia gefahren, um wilde Tiere zu sehen und die ältesten Landschaften der Erde.

Vor seiner Unabhängigkeit im März 1990 teilte ein tiefer Graben das Land. Das Farmland war in weißer Hand. Eine direkte Folge des deutschen Kolonialismus. 35 Jahre lang, zwischen 1884 und 1919, hieß Namibia Deutsch-Südwestafrika. Die Einheimischen dienten als Farmarbeiter. Erst dem deutschen Kaiser, dann den südafrikanischen Buren.

Heute, 25 Jahre nach der Unabhängigkeit von Südafrika, steht das Land noch immer vor unlösbar scheinenden Herausforderungen. Eine Landreform hat es nie gegeben. Die Farmen gehören den Kindeskindern der ehemaligen deutschen Besatzer. Sie nennen sich Deutschnamibier und sind beseelt von Heimatliebe und dem Glauben, dass es gelinge, Ökologie und Ökonomie im Tourismus dauerhaft miteinander zu versöhnen.

Von Windhoek aus fahren wir durch die Steppe. Die rostrote Weite berauscht uns. Es hat viel geregnet. Über der Kalahari liegt ein filigran gewebtes Tuch aus Silbergras. Die Einsamkeit dieser Landschaft lässt sich nur stoisch ertragen, wenn man stundenlang auf schnurgeraden Schotterpisten fährt, vorbei an mannshoch umzäunten Farmen von der Größe halber Bundesländer. Wir hocken im Auto, amüsieren uns über die Hüpftechnik der Springböcke, hören den Wind pfeifen und bekommen eine Ahnung davon, was Zeit wirklich bedeutet. Minuten, Stunden, Tage. Töricht, sie messen zu wollen. In der größten zusammenhängenden Sandfläche der Erde verrauschen Zeit und Geschwindigkeit auf ewig.

Unterkünfte: Preiswerte Gästezimmer, Lodges und Campingplätze inserieren auf dem Info-Portal www.namibia-info.net/; einen guten Einstieg in die Reise bieten Gaby und Stephan Voigt von der Guestfarm Voigtland, 20 Kilometer vom Flughafen Windhoek entfernt. Ein Doppelzimmer mit Halbpension kostet 140 Euro für zwei Personen: www.voigt-land.com. Sehr luxuriös wohnt es sich in der Mushara Outpost, rund 10 Kilometer vom Etosha Nationalpark entfernt, in der Nähe des Von-Lindquist-Tors, rund 250 Euro für zwei Personen: www.mushara-lodge.com

Wüstenwanderung: Informationen dazu gibt es unter: www.toktokkietrails.com

Maultiertrekking: Durch den Fischfluss-Canyon im Süden des Landes. Maultiere schleppen auf der geführten Wanderung Gepäck und Ausrüstung:www.gondwana-collection.com

Wildbeobachtung: Fast jede Logde bietet eine Pirschfahrt mit dem Jeep an.

Stampriet und die Kirche aus der Kaiserzeit

Ja, Geduld braucht man in Namibia. Nach mehreren Versuchen, den richtigen Abzweig auf der Schotterpiste zu finden, rollen wir nach Stampriet. Der Ort ist eine Flussoase, umringt von Gemüsefeldern und Viehzucht. Im Zentrum eine evangelische Kirche aus der Kaiserzeit, ein Fußballfeld, ein Supermarkt. Den Deutschen verdankt Stampriet seine Existenz und sein Geld; sie gründeten den Ort vor 117 Jahren als Handelszentrum und Militärbasis.

Das erste Haus am Platz ist das Kalahari Farmhouse. Was seinerzeit als Farm angelegt wurde, ist zu einem üppigen Garten mit Palmen, Bougainvillea und Oleander herangewachsen. In den elf kleinen Gästehäusern erinnern Trinkbecher, Eimer und Schüsseln aus Email an das Farmerleben und die Gemütlichkeit des einfachen Daseins.

Etwas abseits stehen die Gewächshäuser. Hier gedeihen Paprika, Tomate, Aubergine und Kürbis. „Normalerweise beziehen Köche in Namibia alles aus Südafrika. Wir aber pflanzen selbst Salat und Gemüse an“, sagt Cynia, eine patente Mittdreißigerin. Sie führt uns um die Ecke, wo Kühe im Matsch stehen.

Das Kalahari Farmhouse ist das landwirtschaftliche Versorgungszentrum der Gondwana Collection. Schutz der Natur und Achtung der Interessen der Menschen – nach diesem Grundsatz arbeitet die Tourismusgruppe. Vier Wildreservate gehören ihr inzwischen.

Cynia zeigt uns die Käserei und die Biogasanlage, in der aller menschliche und tierische Abfall zu Küchengas recycelt werden. Das Fleisch für den Braten schießen die Ranger in freier Wildbahn. Für Cynia ist die Berufsausbildung der größte Beitrag, den Tourismusinvestoren in der namibischen Gesellschaft leisten können. Statistisch gesehen sind sieben von zehn Landbewohnern ohne Arbeit. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Erwerbslosen verdoppelt. Grund ist der schlechte Zugang zu einer Schule. Viele Kinder werden nur temporär unterrichtet. Jeder zweite Schüler beendet die Primarschule nicht.

„Wer bei uns als ungelernter Küchenhelfer einsteigt, kann es bis zum Lodge Manager schaffen“, sagt Cynia. In Namibia herrsche permanent ein Mangel an Fachkräften. In ihren Ausbildungszentren macht die Gondwana Collection ihr Personal fit für die 14 eigenen Lodges.

Das Glück der märchenhaften Naturschönheit liegt im Südwesten, im staubtrockenen Tal am Rande der Nubibberge im NamibRand-Naturreservat. Die Geschichte des Reservats begann vor 30 Jahren. Damals kaufte Albi Brückner, ein deutschstämmiger Geschäftsmann aus Windhoek, Farmen in der Namib auf. Früh hatte er erkannt, dass die Schafzucht in diesem kargen Gebiet ökonomisch riskant wurde. Das natürliche Gleichgewicht war aus den Fugen geraten, Dürreperioden und die Ausrottung des heimischen Wildes taten ihr Übriges. Den Farmern fiel es nicht schwer, ihr Land zu verkaufen. Weidezäune wurden abgerissen, Wasserstellen angelegt, Flora und Fauna hatten Zeit, sich zu erholen. Heute ist das NamibRand-Naturreservat fast so groß wie das Saarland und eines der größten privaten Naturschutzgebiete im südlichen Afrika.

Eine Nacht im Traumbett

Vier exklusive Lodges und Camps liegen weit voneinander entfernt. Höchstens ein Gästebett pro 1.000 Hektar Reservatfläche, heißt die Devise. Die Nacht in einem Traumbett mitten in der Wüste fängt bei 250 Euro an. Dieser Preis beschränkt die Zahl der Besucher automatisch. Wir laufen. Zwei halbe und einen ganzen Tag sind wir auf dem Tok Tokkie Trail. Es ist ein geheimnisvoller Ausflug mit Sebastian, der uns erklärt, wie und warum die Wüste lebt. Da ist der Stoff der Wüste: Sand. Nicht fest und nicht flüssig, fein und geschmeidig, magnetisch aufgeladene Quarzkörper, zimtbraun und schwarz gesprenkelt. Meine billige Uhr hält dem Magnetfeld nicht stand und bleibt um Stunden zurück. Wir sitzen auf einer Düne. Minutenlang starren wir auf die gewundenen Linien eines Skorpions, rätselnd, ob seine Spur zu uns hin- oder von uns wegführt.

Die Weite der Namib entspricht nicht unseren Erfahrungswerten. Darin zu wandern ist, als würden wir umprogrammiert. Von der ersten Stunde an. Am Abend erreichen wir ein mobiles Dünencamp mit Eimerdusche und Plumpsklo hinterm Palisadenzaun. In der Dünenküche brutzeln Oryx-Antilope und Kudufleisch mit Süßkartoffeln. Etwas abseits, in einer separaten Düne, warten die gemachten Feldbetten. Nie zuvor waren wir beim Einschlafen dem Himmel so nah.

Sebastian erzählt die Geschichte des Reservats, vom Zusammenbruch des Handels mit Persianerschafen in den 80er Jahren, als Europa und Amerika keine Pelzmäntel mehr wollten. Er zeigt die braun-grau gefleckten Webervögel, die ihre ausladenden Nester in Akazienbäumen bauen, Hunderte Eingänge legen und zu Hunderten Familien darin wohnen. Wir sehen Unmengen von Straußen, die mit ihren langen Hälsen weite Strecken überblicken und bei Gefahr mit Tempo 70 durch die Gegend flitzen, und staunen über das Verdauungssystem von Hyänen, deren weiße Köttel zwei Jahre lang im Sand liegen bleiben. Warum? „Weil Hyänen ihre Feinde mit Haut und Knochen verspeisen und so sehr viel Calcium ausscheiden“, weiß Sebastian.

Die friedfertige Stimmung – eine Illusion?

Sebastian gehört zur schwarzen Mehrheit und sagt, er sei völlig unpolitisch. Über Besitzverhältnisse und Landreform will er nicht reden. „Wir müssen nach vorn schauen und die Vergangenheit auf sich beruhen lassen.“ Statt zu politisieren, zeigt er uns seine Idee von Entwicklung und bringt uns zu NaDEET. In das Ökozentrum am Rand des Reservats kommen jede Woche Schulkinder und lernen, den Müll zu trennen, Wasser zu sparen und mit Solarkochern zu wirtschaften. Aus Abfalltüten und alten Zeitungen pressen sie Schamottsteine. „Die meisten sehen zum ersten Mal die Wüste, erkunden die Dünen und lernen ihr Land kennen“, sagt Sebastian.

Seine Tochter wächst im Kerngebiet der kolonialen Besiedlung auf, am Atlantik, in Swakopmund, wo die Shoppingmall noch Einkaufszentrum heißt. Wie groß ihr Land ist, weiß sie nicht. Sie kennt die wilde Schönheit nicht. Aber sie besitzt einen Computer und skypt täglich mit ihrem Vater. Er nimmt dann seinen Laptop mit nach draußen und zeigt ihr, wie die Wüste aussieht.

Auf dem Plateau des Waterbergs

Einige Tage später wandern wir über das Plateau des Waterbergs. Tief unter dem roten Sandsteinkliff kämpften im August 1914 die Herero gegen die deutschen Truppen. Über Wochen hatten die Deutschen diese Schlacht gegen die indigene Bevölkerungsgruppe vorbereitet. Von den ursprünglich 60.000 bis 80.000 Herero überlebten nur etwa 16.000. Historiker stufen den Krieg heute mehrheitlich als Völkermord ein.

Wir sind mit Joseph unterwegs. Er ist Ovaherero. Über den Krieg gegen seine Vorfahren will er nicht sprechen. „Wir haben gelernt, die Vergangenheit ruhen zu lassen“, sagte er. Joseph arbeitet bei einem deutschstämmigen Farmerehepaar als Tourguide. Sein Vertrag ist jederzeit kündbar.

Mit dem sicheren Blick des Spurensuchers findet Joseph Fußabdrücke vom Spitzmaul-Nashorn und ein Kraut, das nach Lavendel und Zitrone duftet. „Die Hererofrauen benutzen es als Parfüm, sie reiben sich damit ein“, sagt er und zeichnet nebenbei die Umrisse eines Dorfs in den Sand. Die Frauen wohnen im Süden, die Männer im Norden. Zwischen ihnen brennt das heilige Feuer. Es lodert Tag und Nacht. Es ist das Dorf, in dem Joseph wohnt. Die Fahrt dorthin ist sehr aufwendig und teuer. Joseph kann sie sich nur alle drei Monate leisten. Dann bringt er das Geld nach Hause. Der weit verzweigte Clan lebt von diesem Geld. „Ich bin der Einzige, der Arbeit hat.“ Joseph organisiert sein Leben im Windschatten der Geschichte. Einfach und unspektakulär.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.