Reisen im Iran: Unter dem Radar

Unpolitisch ist die Kulturszene nicht, trotz der staatlichen Kontrollen. Was im Iran geht und was nicht, ist schwer zu durchschauen.

Graffiti mit Mullah

An der ehemaligen amerikanischen Botschaft in Teheran, jetzt Museum für antiamerikanische Kunst Foto: imago/imagebroker

Es geht um alles. Ein Kampf ums Leben, ums Überleben. Aus der Tonne rollt ein Klumpen Lehm auf den Boden. Ein Mann beginnt ihn zu formen. Er ächzt, die Arbeit ist hart. Was wird er erschaffen, einen Gott, ein Monster? Lichtblitze erleuchten für Momente Stadien der Menschwerdung. Fast eine Stunde dauert dieser Kampf ohne Worte, erst dann zerrinnt die atonale Begleitmusik in sphärische Klänge. Das Licht geht an, ein Mann steht aufrecht im Saal, Yaser Khaseb, der Klumpen Ton, dreckig und glücklich. Es gibt stehende Ovationen, die Leute machen Selfies mit ihm.

Wer bei uns das ideologisch aufgeladene Ringen um das Schicksal des Iran erlebt, kann nicht anders, als die Analogie zu sehen zwischen diesem Teheraner Theaterabend und der Weltpolitik. Im Iranian Artists Forum im Zentrum der Hauptstadt geht es hingegen nur um Body Art Performance. Yaser, ein 36-jähriger Kurde aus dem Nord­iran, und sein Bühnenkollege verweben ihre bäuerliche Herkunft mit Körperbeherrschung zu „Mud“, Matsch, wie das Stück heißt, zu dem gut hundert Besucher ins Künstlerhaus gekommen sind.

Das Iranian Artists Forum war früher eine Kaserne. Nun finden in den Räumen Workshops und Ausstellungen statt. Das Forum versteht sich als Bühne für Künstler aller Art. Fast jeden Abend gibt es Aufführungen, zu denen sich ein buntes Publikum trifft. Studenten in Jeans und T-Shirt, Typen mit Baskenmütze im Stil der Pariser Bohème, Leute mit Punkfrisur, expressiv geschminkte Mädchen. Fünf Euro kostet die Theaterkarte, viel Geld für die meisten. Doch die junge, gebildete Mittelschicht in den Städten ist heiß auf Kunst.

Die Dichter täglich im Radio

Der Iran ist eine Hochkulturnation seit Jahrtausenden. Dichtung und Musik sind allgegenwärtig. Altpersische Poeten wie Ferdosi, Saadi und Hafis werden im Fernsehen und Radio vorgetragen. Ihre Zitate finden sich auf Speisekarten, als Sprichwörter und Lebensweisheiten. Sie sind Songtexte iranischer Popgrößen wie Alireza Eftekhari. Es ist so, als sei man bei uns täglich umgeben von Goethe und Heine, und Helene Fischer sänge das Ännchen von Tharau.

Einreise

Für die Einreise ist ein Visum erforderlich, das online bei der Botschaft des Iran in Berlin beantragt werden kann: http://e_visa.mfa.ir/en/

Reisen im Land

Neben Mietwagen (hohes Schadensrisiko), Inlandsflügen und Bussen ist Bahnfahren in modernen Zügen eine gute Art, das Land kennenzulernen. Buchungen über lokale Agenturen oder Tickets direkt am Bahnhof (Passvorlage).

Bezahlen im Land

Wegen des Handelsembargos kann man im Iran keine Kreditkarten benutzen. Alles (Hotels, Restaurants, Tickets) muss bar bezahlt werden. Reisende können Euro einführen und in Wechselstuben in Rial tauschen. Die iranische Melli Bank, https://bmi.ir/, hat eine „Tourist Card“ aufgelegt, die in einigen Filialen gegen Vorlage von Visum und Pass mit Euro bezahlt und in Rial aufgeladen wird. Diese wird dann fast überall akzeptiert. Nicht genutzte Guthaben können zurückgetauscht werden.

Kommunikation

Alleinreisende ohne Guide können sich mit Einheimischen nur sehr beschränkt verständigen. Englisch wird, auch in Städten, wenig gesprochen.

Pauschalreisen

Studiosus ist der größte Veranstalter für den Iran und hat mehrere Gruppenreisen www.studiosus.com. Die Studiosus-Tocher Marco Polo bietet geführte Individualreisen durch den Iran an, www.marco-polo-reisen.com.

Auch Yaser hat sein Publikum. Schwierig sei es anfangs gewesen, die Beamten im Kulturministerium, trainiert darin, das gesprochene Wort nach Verbotenem abzuklopfen, davon zu überzeugen, dass von seiner sprachfreien Show keine Gefahr ausgeht. Doch nun gehe das.

Wer zurzeit den Iran bereist, wird jeden Tag aufs Neue davon überrascht, wie wenig die bis zur Frage „Krieg oder Frieden“ aufgeladene Debatte bei uns auf den Alltag der meisten Iraner durchschlägt. Da geht es vielmehr um den galoppierenden Verfall des Rial, den Mangel an Konsumgütern, vieles davon direkte Auswirkung des unvermindert greifenden Handelsembargos, das die Bürger des Iran im Würgegriff hält.

Reiche können sich deutsche Autos leisten oder bei Apple, Coca-Cola und Pepsi zugreifen, die allesamt Geschäfte machen im Land des erklärten Erzfeindes der USA. Warum sie wie Parias behandelt werden, ist vielen Iranern ein Rätsel. Unter der Knute des Mullah-Re­gimes fühlt sich nur eine Minderheit wohl. Reformen wollen alle, erlöst werden will niemand.

Auch Nooshin Foroutan macht sich weniger Sorgen um die Freiheit im eigenen Land als das Bild des Iran im Ausland, das Touristen fernhalten könnte. Die Malerin stellt ihre Tintenzeichnungen dünner Frauen im Art Center, einem Kunstzentrum im Norden der Stadt, aus. Etwa hundertzwanzig Galerien gebe es allein in Teheran, sagt Foroutan. Mancher, der sich früher einen Teppich für die Wohnung gekauft hätte, nehme nun ein Bild für die Wand.

Nooshin Foroutan hat eine typische Diaspora-Biographie: Emigration nach der Revolution. Kunststudium in Wien, Rückkehr in den 1980er Jahren, dann Ausreise in die USA, wieder zurück in die Heimat. Wie viele Auslands-Iraner folgte auch sie den politischen Richtungswechseln im Land. Hoffnung bei Reformern wie Chatami, Rückschlä­ge unter Hardlinern wie Ahmadinedschad. Seit dem moderaten Präsidenten Rohani habe die Vielfalt der Kulturszene einen neuen Höhepunkt erreicht, sagt die 53-jährige. Hier gingen mehr Leute zu Vernissagen und in Ateliers als in München oder Köln.

Unpolitisch ist die Kulturszene nicht, trotz der staatlichen Kontrollen. Was im Iran geht und was nicht, ist schwer zu durchschauen. Prominente Literaten und Filmemacher werden geächtet, andere geduldet. Früher seien einige ihrer Motive krass fehlinterpretiert und auf den Index gesetzt worden, sagt Foroutan. Auch heute seien politische Themen und Nacktheit verpönt. Doch Frauen ohne Kopftuch zu malen in lockerer Kleidung sei nun möglich, Abstraktes sowieso. Zensur sei nicht subtil, Feingefühl im künstlerischen Ausdruck also schwer zensierbar. Im Radio wird grundsätzlich in Farsi gesungen, westliche Titel laufen nur instrumental.

Frauen tragen Make-up und körperbetontes Outfit im Zentrum. Internet und Messenger-Dienste wie Telegram und WhatsApp sind verfügbar und beliebt wie bei uns. Manches wird ab- und wieder angeschaltet, man hat den Eindruck, die Zensoren seien sich heillos uneins. Der Hidschab, im Westen das Schlüsselsymbol im Freiheitskampf, ist, trotz Vida Movaheds Demonstration im Dezember, für viele Frauen im Land nicht viel mehr als lästig.

Ein Besuch im Teehaus

Sie wollen Karriere machen, eine bezahlbare Wohnung, vielleicht ein Auto, sagt Mina, eine junge Deutschlehrerin aus Teheran, die auch bei Yaser Khasebs Aufführung war. Nichts davon könne sie sich leisten, obwohl sie jeden Tag der Woche zehn Stunden arbeite. Nur mit einem Partner sei das möglich; zehn Prozent ihrer Bekannten in Teheran lebten bereits mit Freund oder Freundin zusammen, unverheiratet.

Nooshin Foroutan, Malerin

„Hier gehen mehr Leute zu Vernissagen als in München oder Köln“

Wenig wissen wir über den Iran. Urlauber, die Nooshin Foroutan so gerne zum Gedankenaustausch zu Gast sähe, reisen fast immer in Gruppen zu den bekannten Attraktionen: Isfahan, Persepolis, Basare, Museen, Paläste. Nur wer mit eigenem Führer unterwegs ist, kommt den Menschen näher und überwindet die Sprachbarriere; viele Iraner sprechen nur Farsi. Dabei gibt es kaum ein Volk, das Ausländern gegenüber so neugierig und aufgeschlossen ist.

Am einfachsten kommt man dem Lebensgefühl der Iraner im Teehaus näher, hier ein Crossover aus Shisha-Bar und Restaurant mit Livemusik. Es gibt sie überall im Iran, entlang der ­Valiasr-Straße in Teheran ebenso wie in Maschhad im Osten, in Schiraz und Yazd im Süden des Landes. Abends treffen sich dort junge Leute zum Kebab, rauchen auf Diwanen Wasserpfeife und singen die Evergreens aus der Zeit Reza Schahs mit, die so beliebt wie vor achtzig Jahren sind.

Omar, Ehsan und Ali erzählen eines Abends im Mozaffar in Yazd dem Besucher von ihrer Hoffnung auf den Fremdenverkehr, von der Unmöglichkeit, ein Reisevisum nach Europa zu ergattern, nur für einen Urlaub, selbst wenn sie das Geld dafür haben. Deutschland, dieses seltsame Land, dem alles zu gelingen scheint, ist der größte Sehnsuchtsort vieler junger Iraner. Mina und Nooshin, die beiden Frauen aus Teheran, und Ehsan, der 30-jährige Guide in Yazd, die alle schon dort waren, müssen gegenüber ihren Freunden immer wieder die Euphorie dämpfen, die der Bundesrepublik entgegenschlägt. Dem Gast aus dem gelobten Land ist die Ehrfurcht manchmal peinlich.

Viele Diwane im Mozaffar sind nur von Mädchen besetzt. Junge Frauen gehen im Iran häufig mit ihren Freundinnen aus, zum Paintball, auf Ausflüge, besonders aber abends zum Feiern. Zu später Stunde geht es im Mozaffar hoch her. Die Mädchen fordern vom Sänger ihre Hits, die Kellner bringen mehr Tee, die Band gibt ihr Bestes. Hidschabs beginnen zu rutschen, fallen herab auf die Schultern. Niemanden kümmert es.

Yazd liegt eine Tagesreise im Auto südlich von Teheran und ist neben Schiraz eines der Zentren des kulturellen Erbes, die zeigen, wie viel Persien von einst im Iran von heute lebt. Yazd ist umgeben von Wüsten, aber gleichzeitig die Stadt des Wassers, Windes und die Hochburg der Zoroastrier, einer der ältesten Glaubensgemeinschaften der Menschheit.

Suche nach neuen, religiösen Vorbildern

Der Zoroastrismus, der Nietzsche als Vorlage für sein Werk „Also sprach Zarathustra“ diente, erlebe eine Renaissance, sagt Ehsan. Junge Iraner wendeten sich zunehmend vom Islam ab und sähen im Grundsatz des Religionsgründers Zoroaster – gut denken, gut reden, gut handeln – die zeitgemäßere Handlungsanweisung für ihr Leben, Moscheen hingegen leerten sich. Auch das Prinzip, die Elemente Erde, Luft, Wasser und Feuer rein zu halten, entspreche modernem Denken.

So sieht es auch die Architektin Sarah Ahmadi bei einem Treffen am nächsten Tag. Zweimal pro Woche kommt die 39-jährige aus Teheran, um ihr Herzensprojekt zu betreuen: die Qanate der Stadt zu erhalten. Das uralte unterirdische Kanalsystem zur Wasserversorgung aus den Bergen gewinnt in Zeiten knapper Ressourcen neue Bedeutung. Sie habe, sagt Ahmadi, viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, dass sich deren teure Renovierung lohne, ebenso wie die Erhaltung der für Yazd typischen Windtürme, die einen natürlichen Austausch heißer und kühler Luft bieten und eine nachhaltige Alternative zur stromfressenden Klimaanlage sind.

Das Interesse von Touristen am Erlebnis, tief im Keller eines Speichers oder Stadthauses Quellwasser sprudeln zu sehen, das aus fünfzig Kilometer Entfernung kommt, bei 35 Grad im kühlen Luftzug eines Windturms zu stehen, habe ihre Auftraggeber schließlich überzeugt. Denn im Fremdenverkehr, sagt Ahmadi, sähen viele trotz allem die größte Chance für einen wirtschaftlichen Aufschwung.

Kulturell inspirierte Reisen – wie wichtig dies für Iraner selbst im eigenen Land ist, dafür steht Schiraz. Die Stadt, dreihundert Kilometer südlich von Yazd, ist die Heimat der beiden größten Poeten Persiens: Saadi und Hafis. Beide gehören zum Grundkanon iranischer Bildung. Schulklassen aus dem ganzen Land kommen zu ihren Gräbern, die in eigenen Parks liegen. Samin Kamali, eine junge Lehrerin, erklärt einer Gruppe Jugendlicher, warum beide noch heute so aktuell sind. Saadi wegen seiner klaren Sprache zu Gut und Böse, zu Alltag und Liebe, vor achthundert Jahren aufgeschrieben; Hafis als Mystiker, der vierhundert Jahre nach seinem Tod Goethe zu dessen „West-östlichem Divan“ inspirierte.

Im Frühjahr stehen in Schiraz die Rosen in Blüte. Verliebte und frisch Verheiratete kommen dann aus Tradition aus dem ganzen Land hierher in die Parks und zu den Mausoleen der Nationaldichter, um diese für ein glückliches, unbeschwertes, romantisches Leben zu bitten.

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