Reisebericht Bosnien u. Herzegowina 2011: Brücken, Begegnungen und viele Gespräche

von Gisela Graf, Teilnehmerin der Reise im August 2011

Die Brücke in Visegrad. Bild: imago/Pixsell

Brücken

Die Kroaten haben die Brücke von Mostar gesprengt - das dürfen die Stadtführer aber nicht sagen! Wir erfuhren es von unserem überaus kundigen Reiseleiter Erich Rathfelder. Inzwischen ist die Brücke über die Neretva wieder aufgebaut mit EU-Geldern und der Höhepunkt eines Mostar-Besuchs.

Nicht ganz so bekannt ist die Brücke in Visegrad, der Ivo Andric mit seinem - lesenswerten - historischen Roman „Die Brücke über die Drina“ ein Denkmal gesetzt hat. Im Krieg stürzten die Serben Hunderte gefesselte Menschen von der Brücke in die Drina; wer sich trotzdem ans Ufer retten konnte, wurde mit Knüppeln totgeschlagen. Insgesamt brachten die Nationalisten 3000 muslimische Visegrader um, ein Viertel der Bevölkerung.

Und in Sarajevo sahen wir die Brücke über den Miljacka-Fluss, über die Kronprinz Ferdinand 1914 fuhr. Wenige Meter später erschoss ihn ein (sorry, schon wieder) serbischer Nationalist und löste den 1. Weltkrieg aus.

Eine halbe Brücke besichtigten wir neben dem Partisanenmuseum in Jablanica. Es war aber nicht die originale - für einen Film über das dramatische 2.-Weltkriegs-Ereignis hatte man eine neue gebaut, um sie erneut kaputtzusprengen. Die ursprüngliche Brücke war von den Jugoslawen selbst zerstört worden, um einen Rückzug ihrer Truppen zu verhindern. Als diese dann doch drüber mussten, bauten sie innerhalb eines Tages einen Ersatz, über den sie auch viele Verwundete retten konnten. Eine Großtat angesichts des äußerst hohen, steilen Ufers.  

Begegnungen

Im Laufe unserer Reise durch Bosnien und Herzegowina ermöglichte uns Erich eine Vielzahl von Gesprächen mit engagierten Bürgerinnen und Funktionsträgern. Alle wandten sich gegen Nationalismen und die ständig geforderten Einteilungen in Schubladen wie Kroate, Serbin, Muslim. Etliche genervte Bürger bezeichneten sich - nach ihrer Ethnie befragt - auf Formularen schon als Eskimos, Apachen und Klingonen; ein Schriftsteller antwortete einmal auf die Frage „Was sind Sie?“ nicht mit der erwarteten ethnischen Zuordnung, sondern mit „Ich bin komplex.“ Wie sollte es auch anders sein? Eine Muslimin, der erst nach Jahren bewusst wird, dass ihr Mann Serbe ist; ein atheistischer „Muslim“; ein nicht-nationalistischer Serbe - warum sollen die sich ständig klassifizieren und rechtfertigen müssen? Am Schluss unserer Reise, als jemand nach der Ethnie eines Gesprächspartners fragte, sagte Reiseleiterin Amela Maldosevic müde: „Ich konnte nicht fragen.“

Reiseleiterin Amela Maldosevic mit Musikern in einem Musikrestaurant in Sarajevo. Bild: Marion Berg

Leider sind nicht alle so offen eingestellt. Eine Schule, die serbische und muslimische Kinder getrennt unterrichtet, begründet das damit, dass man Äpfel und Birnen eben nicht mische. Die BI „Wir mischen Äpfel und Birnen“ stinkt dagegen an. Schwer genug, denn auch die Aufarbeitung der Kriegsereignisse wird von etlichen Betroffenen abgelehnt. Umso größer ist die Sehnsucht vieler nach dem alten Jugoslawien unter Tito. Es war nicht alles schlecht!

Das Land

Unübersichtlich. Das ist die Situation in den sechs bis sieben Ländern des ehemaligen Jugoslawien: der wirtschaftlich erfolgreiche Klassenprimus Slowenien (EU-Mitglied!), Touristenliebling Kroatien mit Adria und Dubrovnik, Haudrauf Serbien incl. Kosovo (Status ungeklärt), das unbekannte kleine Land Montenegro, kürzlich von Außenminister W. mit einem Besuch beehrt, Mazedonien (das sich „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ nennen muss, weil Griechenland mauert wg. eigener wichtiger Makedonen). Und mittendrin Bosnien und Herzegowina mit seinen waldigen Gebirgen und geschichtsträchtigen Orten, ethnisch geteilt in zwei Provinzen: die bosniakisch dominierte Föderation und die serbische Republika Srpska.

Der Krieg

Die Serben sind die Bösen. Heißt natürlich, die nationalistischen Serben. Auf die Idee muss man erstmal kommen, wegen einer vor 600 Jahren verlorenen Schlacht gegen die Türken - Amselfeld 1389, Kosovo - nun auf einmal allen Muslimen die Bürgerrechte und das Recht auf Leben abzusprechen. Wie sollte das gehen in einer Gesellschaft, in der  Kroaten, Serben und Bosniaken (muslimische Bosnier) nicht nur friedlich miteinander lebten, sondern oft auch miteinander verheiratet waren? In Sarajevo beispielsweise war vor dem Krieg jede zweite Ehe „gemischt“.

Neben der dreieinhalbjährigen Belagerung Sarajevos 1992-95 - auf dem jüdischen Friedhof (!) postierte Scharfschützen erschossen viele Zivilisten - war das Massaker von Srebrenica eins der schlimmsten Kriegsverbrechen der Serben. Über 8000 Männer und Jungen ab 12 wurden vom Rest der Familie getrennt und quasi unter den Augen der UN-Truppen erschossen. Ausschnitte aus von den Serben gedrehten Filmen dazu konnten wir in der Gedenkstätte sehen. Da quälen sich abgerissene, völlig erschöpfte Männer in der prallen Sonne einen Berg rauf, einige gucken misstrauisch in die Kamera. „Hast du Angst?“, verhöhnt ein Serbe einen älteren Mann. Dieser weiß, dass sein Leben nicht mehr lange dauern wird. Anstatt die Angst abzustreiten und in heroische Phrasen zu verfallen, antwortet der Bosniake nach einem Moment des Zögerns stolz und einfach: „Wie sollte ich keine Angst haben?“

Nicht dass die Kroaten keine Kriegsverbrechen begangen hätten. Guckt man aber auf die Karte mit Massengräbern aus dem Krieg, so befinden sich die allermeisten auf serbischem Gebiet. Die serbische Ausrede, Srebrenica sei eine Antwort gewesen auf ein Massaker der Kroaten mit 3000 serbischen Opfern, ist erwiesenermaßen eine Lüge, die selbst Serbien inzwischen peinlich ist.

Dass Gorazde nicht das gleiche Schicksal wie Srebrenica erleiden musste, ist dem Eingreifen internationaler Truppen zu verdanken. Mit Pazifismus wären die Menschen nicht zu retten gewesen.

Momente

Der junge Mann, der von der Brücke in Mostar in die Neretva springt, Knie voran, nachdem sein besser aussehender Badehosenkollege von den Touristen Geld gesammelt hat. Die alte Frau, die sich vor dem Betreten des muslimischen Friedhofs ein Kopftuch umschlingt. Der abendliche Böller als Signal zum Fastenbrechen im Ramadan. Die zwei Kinder, die juchzend auf der Anhängerkupplung einer Straßenbahn in Sarajevo mitfahren. Die alte Frau, die an einer Bergstraße steht und strickt, einige ihrer gefertigten Textilien hängen zwischen den Bäumen.