Regisseurin über Ökofeminismus-Thriller: „Wut ist hyperpräsent“

Der neue Film von Agnieszka Holland wird kontrovers aufgenommen. Ein Gespräch über Ökologie, Feminismus und Künstler als Staatsfeinde.

Ein Mann und eine Frau hocken auf einem Waldboden, die Frau hat einen Käfer auf der Hand, der Mann füllt etwa in ein Fläschchen.

Szene aus „Die Spur“ Foto: Film Kino Text

Jetlag sei ihr „ganz normaler Geisteszustand“, sagt Agnieszka Holland. Das ist nur ­halb­ironisch. Denn ihr Film „Die Spur“ hat seit der Weltpremiere zur Berlinale 2017 eine dicke Spur gezogen, genauer: hohe politische Wellen geschlagen. Besonders in Polen, das die internationale Regisseurin (unter anderem für die US-Serie „House of Cards“) immer noch als ihr Heimatland versteht, verbreitet der Ökofeminismus-Thriller Unbeha­gen in den klerikal-konservativen ­Reihen. Zeitverschiebungen und Kopfschmerzen sind da naheliegend.

taz: Frau Holland, Ihr Film „Die Spur“ startete als Faustschlag gegen eine wildernde Macho-Macht-Clique, der es an den Kragen geht. Nun ist er ein Flaggschiff der Regierungsgegner.

Agnieszka Holland: Wir stehen wieder an einem Punkt, wo alles irgendwie politisch ist. Die Romanvorlage, Olga Tokarczuks „Gesang der Fledermäuse“, entstand vor fast zehn Jahren, zu einer anderen Zeit, aber in derselben Welt. Olgas Überzeugungen sind stark, leidenschaftlich, moralisch. Es mag politisch etwas naiv sein, aber als großartige Autorin hat sie diesen Instinkt, uns spüren zu lassen, was sich unterhalb der Realitätsoberfläche gerade abspielt. Man sieht das nicht: Aber es ist da, und drängt.

Die politische Sprengkraft des Films liegt im Buch?

Der Roman war der Keim. Aber als wir das Drehbuch schrieben, war uns das nicht so bewusst, weil „Die Spur“ eine technische Herausforderung darstellte. Die Umsetzung eines stilistisch so komplexen Genremixes ist im Gegenwartskino ungewöhnlich und hat mich stark gefordert. Natürlich wussten wir, worum es geht, aber das trat in den Hintergrund. Die Produktion war schwierig: Schnee, Wetter, Tiere. Alles zog sich über mehrere Jahre hin. Ich bin überrascht, dass das, worum es geht, dabei nicht verschwunden ist, sondern im Gegenteil fast noch stärker zum Ausdruck kommt.

Worum geht es im Kern?

Um den innerstaatlichen Krieg, der in Polen, aber auch anderswo geführt wird – zwischen Frauen und Männern, Mächtigen und Schwachen. Um den Kontrollappetit, eine traditionelle Welt zu halten. Um Empathie. Um eine Mehrheit, die mit brutalen Mitteln jene ohne Stimme unterdrücken kann.

Eine aktuelle Sache, gerade in Polen?

Unsere Regierung kann man als neues Regime bezeichnen. Alle politischen, sozialen und konstitutionellen Regeln werden gerade ausgetauscht. Die Jäger in „Die Spur“ repräsentieren diese Riege ziemlich gut. Einige sind denen so ähnlich! Sie scheinen direkt der Leinwand entstiegen zu sein.

Sie selbst leben in Polen, aber auch in den USA und in Frankreich …

In den USA gibt es einen ganz ähnlichen Trend, nur sind dort das konstitutionelle Gefüge und die demokratischen Institutionen stärker. Aber der Geschlechterkampf, der Kampf zwischen Mensch und Tier, zwischen denen, die ökologisch denken, und solchen, die allein schon die Idee bekämpfen, dass wir als Menschen verantwortlich sind für unseren Planeten, der wird auch dort geführt.

Im Film gehen ökologisches Bewusstsein und Feminismus Hand in Hand.

Die Situation von Frauen hat sich in den letzten paar Jahren drastisch verändert. Genau deshalb kommt das feministische Bewusstsein, offenbar lange Zeit unterdrückt, jetzt stark heraus, paradoxerweise in Polen wie in den USA.

Ihr Film wurde zu einem Mittel in diesem Kampf.

Er ist brutaler als der Roman, direkter, politischer. Der ist verspielter, diskreter, mehrfach deutbar, ein Thriller eben über eine verrückte Frau, die auch deine Nachbarin sein könnte … Im Film wurde diese verrückte Frau zu jemand, die du plötzlich selbst sein könntest! Damals lebten wir in einer liberalen, demokratischen Gesellschaft mit Problemen, aber progressiv, was den Kampf zwischen brutaler Gewalt und Individuum betraf. Was damals abstrakt war, ist heute realer: Mein Film wurde so zu einem Schlachtfeld.

Die Filmemacherin:geboren 1948 in Warschau, studierte Filmregie in Prag. Zu Beginn ihrer Karriere war sie Regie­assistentin von Krzysztof Zanussi und Andrzej Wajda. Ihr Film „Fieber“ gewann 1981 bei der Berlinale den Silbernen Bären für die beste Hauptdarstellerin. Seit 1993 arbeitet Holland vornehmlich in den USA, wo sie unter anderem „In Darkness“ (2011) drehte. „Pokot“ (Die Spur) lief 2017 im Wettbewerb der Berlinale, Holland erhielt dafür den Alfred-Bauer-Preis.

Der Film: „Die Spur“. Regie: Agnieszka Holland. Mit Agnieszka Mandat, Wiktor Zborowski u. a. Polen/Deutschland/Tschechische Republik/Schweden/Slowakische Republik 2017, 128 Min.

Und Sie wurden zum Alter Ego Ihrer Heldin, Janina Duszejko?

Es muss ja Gründe geben dafür, dass ich mich dieser Figur so lange gewidmet habe. Das Gefühl war: Duszejko – das bin ich. Wie bei Flaubert und Madame Bovary. Aber sie wurde auch zum Symbol für den Kampf in einem Land, das die Natur zerstört, Jagd- und Waldgesetze radikal ändert. Unser Umweltminister ist ein brutaler Jäger. Er ließ den letzten europäischen Urwald roden, bis zum totalen Desaster. Genau wie der Bürgermeister im Film. Als es ­Proteste gab, trugen die Demon­strant*innen Banner mit der Aufschrift: „Frau Duszejko wird dir nicht verzeihen!“ (lacht).

In einer der stärksten Szenen zieht „Die Spur“ gegen ein polnisches Heiligtum, die Kirche.

Nicht gegen die Religion, gegen die Institution! Ich werde in der rechten Presse und von der Regierung des Ökoterrorismus und der antichristlichen Einstellung bezichtigt. „Die Spur“ rechtfertigt das sogar: Für Aktivist*innen ist Duszejko ein wichtiges Symbol …

Ist der Film sogar mehr – ein Aufruf zum politischen Mord?

Diese Frage wird oft gestellt. Natürlich nicht! Wir haben es mit Fiktion zu tun, mit Metaphern, der Erschließung bestimmter Emotionen. Die Kunst hat die Freiheit, zu experimentieren, zu provozieren. Der Film zeigt auf, wie eine brutale, ignorante Macht unglaubliche Wut erzeugen kann. Das ist ein wichtiges Gefühl, und ein großer Teil der Menschheit teilt es, auf beiden Seiten der ideologischen Agenda. Wenn wir nicht daran arbeiten, wird es uns überwältigen.

Das Gefühl der Wut?

Ja. Wut ist ein interessantes Gefühl, das in der Geschichte der Menschheit viel bewegen konnte, aber auch zu mörderischen Kriegen führte. Wir sollten nicht blind für diese Wut sein. Sie ist hyperpräsent.

Am Ende Ihres Films taucht eine Art „neue Gemeinschaft“ auf, die ich irritierend fand. Eine reale Gesellschaftsutopie bleibt da irgendwie im Märchenmodus stecken.

Einige Leute sehen das ähnlich, meine Schwester zum Beispiel, die auch Filmemacherin ist. Für mich ist genau dieses Ende stärker. Wir dachten lange darüber nach. Wir wollten kein Moralende: Duszejko wird verhaftet oder bestraft durch Krankheit. – Stimmt, das Ende zeigt eine unmögliche Utopie. Eine Nostalgie – erinnernd an Zeiten, in denen diese Heldin und ich aufwuchsen. Die sechziger Jahre und ihre Hippie-Ideen von einer Welt, in der alles möglich ist.

Ein zuversichtliches Ende?

Wir wollten beim Zuschauer dieses Gefühl erzeugen, dass man sich sagt: Fuck, alles könnte doch so einfach sein! Die Welt könnte so viel besser sein! Warum ist sie es nicht? Es ist eher die bittere Erkenntnis, dass das unmöglich war. Nur ein Traum, der irgendwann geschlossen wurde und nun nur noch in eine nostalgische Utopie übersetzt werden kann.

Ein Traum auch vom Internationalismus?

Sicher! Von Brüderlichkeit, oder besser: Schwesternschaft. Das ist das Schlimmste an der heutigen Situation: Wir haben den Traum vom Paradies total verloren. Klar: Utopien sind gefährlich und können bei der UdSSR enden. Aber eine Welt, die ihren Glauben an Gleichheit und soziale Gerechtigkeit verloren hat, ist eine unglaublich traurige Welt. Die besten polnischen Filme handeln davon. Sie sind universal.

Wie fatal, wieder bei dem Schema „Der Künstler als Staatsfeind“ angekommen zu sein.

Dass aktuell in Polen die schwärzesten Momente der kommunistischen Vergangenheit wieder aufleben, ist traurig. Im posttotalitären Raum liegen die alten Mittel nahe. Alles hängt vom Staat ab. Menschen, Institutionen können leicht gebrochen werden. Alles wird konformistisch. Auch die Wirtschaft. Unabhängige Medien und Kunst finden kein Geld. Wie im Kommunismus und Richtung Putin-Russland – vorläufig aber ohne Verhaftungen.

Fühlen Sie sich bedroht?

Das zu behaupten, klänge nach Hysterie. Nur die haters im Netz bedrohen mich. Aber mein Aktionsradius verkleinert sich deutlich. Dafür steigt meine Verantwortung als jemand, die für die polnische Gesellschaft spricht. Ich akzeptiere das. Auch wenn mir anderes mehr Spaß machen würde.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.