Referendum in Griechenland: Volksabstimmung oder Farce?

Am Sonntag wird in Hellas abgestimmt – dabei weiß niemand, worüber genau. Trotzdem streiten Politiker und Bürger leiden­schaftlich.

„Nein“ steht auf Griechisch auf einer Wand vor der Griechischen Akademie in Athen aufgestprüht

Sehr präsent: „OXI - NEIN“ steht auf einer Wand. Dienstagabend wollen die Ja-Sager demonstrieren. Foto: dpa

ATHEN taz | Volk, Würde, Freiheit – seit dem Fall der griechischen Militärdiktatur 1974 wurden diese Worte nur selten derart inflationär gebraucht wie heute. In den letzten Tagen vor dem Referendum sind sich die griechischen Politiker nicht mal einig, worüber sie sich eigentlich streiten.

Für die regierende Linkspartei Syriza steht fest: Am Sonntag ist ein Referendum über die Sparvorschläge der internationalen Geldgeber angesetzt. Es geht darum, die Verhandlungsposition Griechenlands durch ein stolzes „Nein“ der Bevölkerung zu stärken.

Dagegen vermuten die allermeisten Oppositionsparteien im Athener Parlament einen Geheimplan von Syriza-Premierminister Alexis Tsipras. Der geht angeblich so: Griechenland soll zur Drachme zurückgehen und dabei seine Schulden streichen lassen – aber das Ganze soll am besten so aussehen, als trügen die bösen Geldgeber die Verantwortung dafür. Aus diesem Grund sei das Referendum nichts anderes als eine Abstimmung über den Verbleib des Landes im Euro. „Nur das Ja bietet uns die Möglichkeit, die Tür Europas offenzuhalten und ein vernünftiges Abkommen zu erreichen“, sagt Kyriakos Mitsotakis, Fraktionssprecher der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia, dem TV-Sender Skai.

Allerdings vermutet auch die regierende Linkspartei einen Geheimplan der Ja-Befürworter: Sie würden zielstrebig auf einen Regierungswechsel hinarbeiten mithilfe Europas, das an Griechenland ein Exempel statuieren will. Das Ziel laute: Niemand soll Widerstand leisten gegen das EU-Dogma der Sparpolitik. Insofern sei es letzten Endes auch egal, welche Kompromissvorschläge auf den Tisch kommen, da die Tsipras-Gegner nicht aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen agieren, sondern bestimmten Interessen dienen, so die griechische Linkspartei.

Fortsetzung in „Stolz und Würde“

„Wir dürfen die Bürger nicht terrorisieren: Ein Nein am Sonntag bedeutet nichts anderes als eine Fortsetzung der Verhandlungen in Stolz und Würde“, meint der Syriza-Abgeordnete und Vizepräsident des griechischen Parlaments, Alexis Mitropoulos. Auch sein Regierungschef Tsipras wirbt bei der Bevölkerung für ein klares Nein.

Tausende Nein-Befürworter versammelten sich am Montagabend vor dem Parlament zu einer eindrucksvollen Kundgebung. Eine klassische Parteiveranstaltung war das nicht – eher ein Volksfest. Viele Demonstranten hielten griechische Flaggen in der Hand, junge Menschen und Familien mit Kindern waren dabei.

„Da kommen bestimmt mehr als 10.000 Leute zusammen, es ist eine der größten Versammlungen der letzten Jahre“, sagte ein Demonstrationsteilnehmer der taz. „Wir hätten nie gedacht, dass ausgerechnet die EU, die sich für eine Wiege der Demokratie hält, den demokratischen Willen unseres Volkes zu unterbinden versucht“, protestierte ein anderer Demonstrant.

Für den späten Dienstagabend hatten sich auf den Straßen Athens die Ja-Befürworter angekündigt. Unterdessen steigt der Finanzdruck auf die Regierung Tsipras: Sämtliche Rentenkassen konnten nur noch einen Teil der Pensionen überweisen. Zudem hat die Regierung die wöchentliche Obergrenze für Geldabhebungen ohne Kredit- oder Debitkarte herabgesetzt: von 240 auf 120 Euro.

Eine überraschende Einigung?

Am späten Dienstagnachmittag war von einem allerletzten Vermittlungsversuch aus Brüssel die Rede. Der Deal würde ungefähr so lauten: Regierungschef Tsipras nimmt das Sparpaket an und erhält im Gegenzug eine ausdrückliche Zusicherung der EU-Partner für eine Gesamtlösung der griechischen Schuldenfrage ab Oktober 2015 – und dazu auch noch ein nicht allzu hohes Entgegenkommen der EU-Partner in Steuerfragen.

Dies nährte Spekulationen über eine überraschende Einigung, zumal Tsipras alle seine Termine für Dienstag absagte. Am Nachmittag beantragte Griechenland erneut die Verlängerung des Hilfsprogramms. Darüber wollen die Finanzminister der Eurozone am Dienstagabend in einer Telefonkonferenz beraten. Bundeskanzlerin Merkel lehnte ein Diskussion über Antrag allerdings umgehend ab: „Vor einem Referendum kann von deutscher Seite aus kein neuer Antrag beraten werden“.

Für einen Kompromiss in letzter Minute setzte sich überraschend auch der Syriza-Europaabgeordnete Stelios Kouloglou ein. Dabei berief er sich auf taktische Erwägungen: Ein Scheitern der Linksregierung unter Tsipras hätte Konsequenzen für die Linke in ganz Europa. Deshalb sei das Allerwichtigste derzeit, dass Griechenlands linker Premierminister im Amt bleibt, erklärte Kouloglou im TV-Interview.

Sein Parlamentskollege Stelios Papadimoulis sieht das ähnlich: „Es wäre gut, wenn wir diese Chance nicht verstreichen lassen und neu verhandeln, damit wir das eine oder andere hinzugewinnen“, mahnte Papadimoulis über Twitter aus Brüssel.

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