Rechtsruck in Brasilien: Kampfansage an soziale Bewegungen

Die PT-Regierung in Brasilien setzt auf eine Annäherung an die Opposition. Parteibasis und Gewerkschafter befürchten sozialen Rückschritt.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff bei ihrer Inauguration. Bild: ap

RIO DE JANEIRO taz | Seit vier Wochen wird in Brasilien wieder gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr demonstriert. Vor allem in der Industriemetropole São Paulo, aber auch in Rio de Janeiro und anderswo. Die Bilder gleichen denen vom Frühjahr 2013, zuletzt am vergangenen Freitag: Mehrere Tausend Menschen, meist Jugendliche und Studenten, gehen auf die Straße, die Polizei geht mit gewohnter Gewalt vor, die Presse berichtet von Randalierern.

Doch kaum etwas spricht dafür, dass daraus wieder eine landesweite Protestwelle werden könnte. Im Gegensatz zu 2013, als sich Brasilien noch als aufstrebendes und fortschrittliches Land verstand, sind die Vorzeichen 2015 eher düster. Anders als erhofft scheint Dilma Rousseffs Wiederwahl im Oktober vergangenen Jahres keine Kontinuität in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu bedeuten. Das Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Rechtskandidaten Aécio Neves sowie ein deutlicher Rechtsruck im Parlament fordern Tribut.

Die neue Regierung, die am 1. Januar antrat, setzt auf konservative Politiker in Schlüsselpositionen: Als Dankeschön für die Unterstützung im Wahlkampf wird etwa der frühere Bürgermeister von São Paulo, der Rechtspolitiker Gilberto Kassab, Minister für Stadtentwicklung – für die sozialen Bewegungen etwa in Rio de Janeiro ist das eine Kampfansage.

Ähnlich in der Landwirtschaft, wo die radikale Agrarlobbyistin Kátia Abreu das Ministerium übernimmt. Damit sitzt in der vermeintlichen Linksregierung von Rousseff und ihrer Arbeiterpartei PT jetzt die ärgste Feindin von Umweltschützern und Indígenas, die von dem expandierenden Agrarbusiness immer weiter von ihrem Land vertrieben werden.

Auftritt in Davos

Die deutlichste Wende fand allerdings in der Wirtschaftspolitik statt, wo liberal ausgerichtete Technokraten nun das Sagen haben. Genüsslich erklärte der neue Finanzminister Joaquim Levy beim Stelldichein in Davos, dass in Brasilien nun alles anders werde – der Markt und die Investoren dürften jetzt wieder Vertrauen schöpfen.

Trotz der Enttäuschung bei vielen linken Aktivisten und sozialen Bewegungen, die im Wahlkampf eine geradezu verzweifelte Kampagne für die PT-Kandidatin starteten, ist dieser Rechtsruck nicht überraschend. „Es ist Teil dieses Wahlsystems, dass eine Regierung sich nicht nach dem Wunsch ihrer Wähler richtet, sondern nach den Kräfteverhältnissen im Kongress“, erklärt die Politikwissenschaftlerin Sandra Dos Santos. Regierungsfähigkeit sei wichtiger als politische Überzeugungen. Deswegen „ist dieses Entgegenkommen an die Rechte, die bei den Wahlen hinzugewonnen hat, zu erwarten gewesen“.

Dos Santos, die schon vor Jahren aus der PT ausgetreten ist und Veränderungspotenzial vor allem außerparlamentarisch sieht, sagt zugleich unruhige Zeiten voraus. „Linke und soziale Bewegungen haben kaum noch Ansprechpartner in dieser Regierung. Sollte der schon früher beklagte Mangel an Dialogbereitschaft anhalten, werden sie zunehmend auf Konfrontation setzen“, so Dos Santos.

Gerüchte über Streit

Auch in der PT rumort es. Viele Genossen sehen nicht ein, dass trotz des hart erkämpften Wahlsiegs nun eine rechte Agenda die Oberhand gewinnt. Und es halten sich die Gerüchte, dass es zu einem Streit zwischen Rousseff und ihrem Ziehvater, dem überaus beliebten Expräsidenten Lula da Silva, gekommen sein soll.

PT-intern wird vor allem über die Sozialpolitik gestritten. Erfolgreiche Sozialprogramme zur Armutsbekämpfung, steigende Löhne und die Schaffung von Arbeitsplätzen waren Errungenschaften, die im Wahlkampf die deutlichste Differenz zur Rechten markierten. Die stehen nun zumindest teilweise zur Disposition. Schon kurz nach ihrem Antritt verkündete die Regierung Einschnitte bei der Arbeitslosenversicherung und den Lohngarantien.

„Wir sind strikt gegen diesen Schritt, da er nicht mit den Gewerkschaften diskutiert wurde und darauf hinausläuft, dass die Arbeiter die Kosten der eingeleiteten Anpassungsmaßnahmen bezahlen sollen“, kritisiert Vagner Freitas, Präsident des PT-nahen Gewerkschaftsdachverbands CUT. Zugleich kritisiert Freitas die neue Wirtschaftspolitik: „Die steigenden Zinsen bergen die Gefahr einer Rezession in sich. Bei diesem Szenario ist zu befürchten, dass auch der Mindestlohn bald unter Druck gerät“, befürchtet Freitas.

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