Rechte Vernetzung vor der Bayernwahl: Die Troll-Beobachter

International vernetzte Online-Aktivist_innen mischen sich von rechts in den bayerischen Wahlkampf ein. Ein Londoner Institut verfolgt ihre Spur.

Der Schriftzug Facebook spiegelt sich in einem Auge

Unter Beobachtung: rechte Trolle bei Facebook Foto: imago/photothek

Ein Großraumbüro in London. Die Adresse soll geheim bleiben. Auch Fotos dürfen nicht veröffentlicht werden. „Mittlerweile sind die Rechten derart gut im Lokalisieren“, sagt Julia Ebner, „die sind in der Lage, anhand von Fotos und dem Wetterbericht herauszufinden, wo wir sind.“

Darauf würden die 27-jährige Extremismusforscherin aus Wien und ihre Kolleg_innen am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD), einer unabhängigen Denkfabrik, gerne verzichten. Denn welche Folgen es haben kann, wenn ein rechter Aktivist unangemeldet ins Büro stürmt, um einen für eine rechte Plattform zu „interviewen“, hat Ebner bereits bei ihrem vorherigen Arbeitgeber, der Quilliam-Stiftung, erlebt.

In einem Guardian-Artikel Ebners fühlte sich Tommy Robinson, der Gründer der English Defense League, zu Unrecht als „White Supremacist“ bezeichnet und stattete ihr einen Besuch ab. Seither gehören Morddrohungen und die Androhung von sexualisierter Gewalt zu Ebners Leben. Sie hat sich daran gewöhnt.

Berufsrisiko könnte man sagen, denn die Forschung, die sie und ihre Kolleg_innen am ISD betreiben, zielt darauf ab, rechte Kommunikation in Sozialen Netzwerken zu verstehen – um dieser dann, so hoffen die Forscher_innen, im Verbund mit Plattformbetreibern, Zivilgesellschaft und Politik begegnen zu können.

Wenige Accounts sorgen für sehr viel Hass

„Bei der Bundestagswahl 2017 haben wir beobachtet, wie rechte Trolle koordiniert Desinformations- und Einschüchterungskampagnen im Netz betrieben und so den öffentlichen Diskurs zu Gunsten rechter Themen und Erzählungen verzerrten“, rekapituliert Ebner.

700 Posts, 16.830 Kommentare und 1,2 Millionen Likes werteten die Forscher_innen damals aus. Dabei fanden sie heraus, dass 5 Prozent aller bei Hassrede aktiven Accounts für 50 Prozent der Likes bei Hass in den Kommentarspalten verantwortlich sind. Eine lautstarke Minderheit also, der es gelingt, sich in Sozialen Netzwerken wie eine tonangebende Mehrheit aufzuspielen.

Das Austricksen von Algorithmen, das Kapern von sogenannten Trending Hashtags und die optimale Nutzung von Echokammer-Effekten seien Mittel, um die strategische Polarisierung der Gesellschaft online und offline zu beschleunigen, sagt Ebner. In ihrem aktuellen Projekt nun wollen die Forscher_innen im Auftrag der Open Society Foundation – einer Stiftung des US-amerikanischen Milliardärs Georg Soros – untersuchen, ob ähnliche Effekte auch vor der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober zu beobachten sind.

Chloé Colliver, ISD

„Wir können schon jetzt sehr viel mehr internationale Einflussnahmeversuche beobachten“

Das Ziel: Rechte Trolle zielen mit ihren Kampagnen auf etwas ab, das Wissenschaftler strategische Polarisierung nennen – eine Taktik, die gesellschaftlichen Wandel herbeiführen soll und die sowohl Rechtsextreme als auch islamistische Extremisten anwenden. Die Instrumentalisierung der Medien und das Ausbeuten der Schwachstellen neuer Medien seien dabei zentraler Bestandteil einer größer angelegten Strategie, sagt Extremismusforscherin Julia Ebner.

Die Methode: Es geht darum, die Grauzonen im Diskurs allmählich auszulöschen und so schrittweise das so genannten Overton Fenster, also die Grenzen dessen, was im Bereich des Sagbaren und sozial Akzeptablen liegt, zu verschieben – so lange, bis rechte Themen und Narrative im Mainstream angekommen sind und sich Menschen, die am Diskurs teilenehmen möchten, entscheiden müssen, auf welcher Seite sie stehen, weil eine Nicht-Positionierung nicht mehr möglich erscheint.

Die Folge: Es entsteht der – künstlich erzeugte – Eindruck von Kontrollverlust und Zerrissenheit im Land. Die lancierten Themen und Erzählungen werden von Journalist_innen und Politiker_innen aufgegriffen und führen womöglich zu politischen Entscheidungen und Wahlausgängen, die das rechte Milieu begünstigen – und Minderheiten in einem letzten Schritt ganz unmittelbar bedrohen.

Chloé Colliver, eine 25-jährige Britin, leitet das Projekt. Konkrete Ergebnisse liefert sie noch nicht, dafür müsste der Wahlkampf erst in die heiße Phase kurz vor der Abstimmung übergehen. „Was wir aber bereits festgestellt haben, ist, dass wir im Zuge der bayerischen Landtagswahl schon jetzt sehr viel mehr internationale Einflussnahmeversuche beobachten können, als das im gesamten Wahlkampf vor der Schwedenwahl Anfang September der Fall gewesen ist.“

Hier kommt Julia Ebner ins Spiel. Sie ist im Team unter anderem für die Beobachtung rechter Gruppierungen auf den US-Online-Imageboards 4Chan und 8Chan zuständig. 4Chan gilt als Wiege der Anonymous-Bewegung und gehört zu den meistbesuchten Webseiten weltweit. Auf ihrem Computer öffnet sie ein Subbord mit dem Namen kraut/pol/.

Mobilisierung läuft auf Englisch

„AfD for Germany“ hat dort jemand aus Achten und anderen Zeichen zu großen Frakturschriftbuchstaben geformt. Darunter finden sich Anweisungen, was aus Sicht des oder der anonymen Verfasser nötig ist, um dieses Ziel zu erreichen. Ebner liest vor und übersetzt: „Anstehende Landtagswahlen, Bayern, 14. Oktober 2018, #ltwby und Hessen, 28. Oktober 2018, #ltwhe, erstelle Memes, verbreite Memes, greife die Erzählungen an, werde Mitglied der AfD, der Identitären Bewegung oder Einprozent“ – einer Organisation, die der Identitären Bewegung nahesteht, wie Ebner erläutert.

Interessant sei daran vor allem, dass die Mobilisierung auf Englisch stattfinde, sagt Ebner. Das lasse im Grunde nur zwei Schlüsse zu: „Entweder jemand aus Deutschland will die internationale Neue Rechte und die US-Alt-Right-Bewegung in den Landtagswahlkampf einbeziehen, oder die internationale Neue Rechte hat ein Interesse daran, bei den Landtagswahlen zu Gunsten der AfD Einfluss zu nehmen.“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Um welches der beiden Szenarien es sich handelt, ist kaum herauszufinden, weil die Verfasser anonym agieren und sich Standorte leicht verschleiern lassen. Dass die internationale Rechte auch bei europäischen Wahlen mitmischt, haben die Forscher_innen bereits bei den Parlamentswahlen in Frankreich, Holland, Italien und Deutschland beobachtet. Dass aber nun auch Landtagswahlen international von Bedeutung zu sein scheinen, sei eine neue Dimension.

Neben den Anweisungen finden sich auch Links zu Meme-Sammlungen: frei verfügbare Bildergalerien mit Motiven, die rechte Inhalte teils satirisch aufbereiten, teils Ängste schüren und die sich online gut verbreiten lassen. „Memetische Kriegsführung“ nennt sich diese Propagandatechnik, die die Nato bereits im Zusammenhang mit dem „IS“ als relevante Form der psychologischen Kriegsführung einstufte.

Druck auf Twitter und Facebook

Dennoch, gibt Projektleiterin Colliver zu bedenken, seien klar koordinierte Kampagnen auf den Mainstream-Plattformen bislang weitaus weniger zu beobachten als vor der Bundestagswahl 2017. Das könne zum einen daran liegen, dass Twitter und Facebook mittlerweile auf öffentlichen Druck hin Fake-Accounts und Bots massenhaft löschen, „vielleicht ist eine Koordinierung aber auch gar nicht nötig, weil rechte Standpunkte besonders nach Chemnitz und Köthen ohnehin stark im Mainstream diskutiert werden.“ Ob es dabei bleibt, wollen die Forscher_innen vor der Landtagswahl auswerten.

Die Onlineanalyse-Tools, die sie dazu nutzen, sind zum Teil mit Hilfe von künstlicher Intelligenz dazu in der Lage, Querverbindungen zwischen öffentlichen Gruppen auf Facebook, Twitter-Accounts und YouTube-Kanälen herzustellen und Verbreitungswege von geteilten Artikeln oder Desinformationskampagnen nachzuvollziehen. Das Facebook-eigene Crowdtangle beispielsweise zeigt mithilfe eines Browser-Plugins an, wer von wo aus einen beliebigen Artikel auf Facebook, Twitter oder Reddit geteilt hat und wie viele Menschen mit diesem Post in Form von Likes, Shares oder Kommentaren interagierten.

„So können wir zum Beispiel beobachten, wenn ein Artikel oder ein Post überdurchschnittlich performt“, erklärt Jakob Guhl, der Russland-affine und Verschwörungstheorien zugeneigte Facebookgruppen und die rechte Vlogger-Szene auf YouTube beobachtet. „Wir können auch sehen, ob eine Meldung im Ausland, also zum Beispiel bei russischen Medien wie Sputnik Deutschland oder RT, ihren Ausgang nimmt.“

Mithilfe der Vollversion des Programms lässt sich auch nach einzelnen Hashtags oder Phrasen und deren Verbreitung suchen. „Bei ‚Chemnitz‘ haben wir so herausgefunden, dass der Begriff zu 50 Prozent von deutschen oder internationalen Gruppen verwendet wurde, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind“, sagt Projektleiterin Colliver. „Das ist zwar wenig verwunderlich, aber wenn man bedenkt, dass AfD-Wähler eigentlich einen viel geringeren Anteil an der Bevölkerung ausmachen, zeigt es doch, dass Rechte bei diesem Thema den Diskurs in Sozialen Medien unverhältnismäßig dominieren.“

Internationale Verbindungen

Chrimson Hexagon ist ein weiteres ursprünglich für Marketingzwecke entwickeltes Programm, das die Forscher_innen für ihre Recherche nutzen. Damit lässt sich gezielt nach bestimmten Schlagworten und Hashtags auf Twitter suchen. „Wenn wir also nach ‚AfDwirkt‘, ‚AfDBayern‘, ‚TrauDichBayern‘, ‚Ausgesödert‘, ‚MutzurWahrheit‘, ‚HolDirDeinLandzurück‘, ‚AfDwählen‘ und ‚Merkelmussweg‘ suchen“, erklärt Ebner, „dann finden wir im Zeitraum von 1. bis 27. September über 60.000 Tweets.“

Dabei sei ihr etwas aufgefallen, was sie so zuvor noch nicht beobachtet habe: Nämlich, dass Pro-AfD-Hashtags, die die Landtagswahl in Bayern betreffen, in zahlreichen Fällen mit Hashtags kombiniert würden, die ganz andere rechte Themen und Narrative mit der Wahl verbinden – Hashtag Pairing genannt. Darunter Hashtags wie „Qanon“, „TheGreatAwakening“ oder „TheStorm“, die auf eine großangelegte US-amerikanische Verschwörungstheorie verweisen, die seit Ende 2017 auf eine Person oder Gruppe mit dem Alias „Q“ zurückgeht.

Ex-Breitbart News-Herausgeber Steve Bannon im Profil vor schwarzem Hintergrund

Will künftig in Europa mitmischen: Ex-„Breitbart News“-Herausgeber Steve Bannon Foto: Reuters / Allesandro Bianchi

Auch das kann als Versuch gewertet werden, den Ausgang der Landtagswahl in einen größeren rechten beziehungsweise verschwörungstheoretischen, möglicherweise internationalen Zusammenhang zu stellen – und damit dem eigentlich kommunalen Kontext zu entheben.

Man könnte das für Unfug halten und nicht weiter beachten, hätten Q-Anhänger_innen in den USA nicht längst den Schritt von der Online- in die Offlinewelt vollzogen. Bei einem Auftritt Trumps in Florida tauchten im Publikum plötzlich Anhänger des US-Präsidenten auf, die „Q“-T-Shirts trugen und Schilder mit dem Symbol in die Luft reckten. Auch eine neue deutsche Qanon-Gruppe auf der verschlüsselten Gamingapp Discord hat Ebner ausgemacht.

Mit dem Analysetool Graphika schließlich wollen die Forscher_innen bis zur Landtagswahl Netzwerkkarten erstellen, um festzustellen, welche neurechten Accounts, Gruppen und Medien im Onlinediskurs am einflussreichsten sind. So könne man sehen, wo und wie beispielsweise deutsch- und englischsprachige rechte Filterblasen und die von Russland- und/oder Putin-affinen Gruppen überlappen, wo und wie Narrative und Desinformationskampagnen entstehen und wie weit sie sich verbreiten. Wer führt die Unterhaltung an? Welche Texte und Bilder werden am häufigsten geteilt? Welchen Medien befördern ein einschlägiges Narrativ? „Dazu werden mit Sicherheit wieder Blogs wie journalistenwatch.com und philosophia-perennis.com gehören“, sagt Colliver, „aber auch bild.de, Epochtimes.de und möglicherweise auch Sputnik Deutschland und RT deutsch.“

Geringer Einfluss oder bedenkliches Wegschauen?

Wie groß der Effekt solcher Echokammern letztlich auf Wahlentscheidungen und auf die Diskussion im Mainstream sind, lässt sich auch trotz der Analysetools nur schwer quantifizierbar messen. Alexander Sängerlaub, der für die Stiftung Neue Verantwortung in Berlin ebenfalls zu rechten Einflüssen in Sozialen Netzwerken forscht, hält ihn für eher gering – einfach weil laut Erhebungen seines Instituts nach wie vor mehr als 60 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung Vertrauen in die Mainstream-Medien haben und sich daher Desinformationskampagnen oft unterhalb des allgemeinen Radars bewegen.

Möglicherweise ist aber auch genau dieses Nichts-Mitbekommen in Bezug auf Radikalisierungstendenzen bedenklich. Zudem weichen rechte Trolle zunehmend auf alternative Plattformen wie das russische Facebook-Pandant VK, das Twitter-ähnliche gab.ai und andere aus, je strikter Facebook und Twitter gegen ihr Tun vorgehen.

Wo die rechten Narrative Wucht entfalten, ist in Milieus, in denen sie geglaubt werden wollen, weil sie ins Weltbild passen. Die Amadeu Antonio Stiftung spricht hier von „toxischen Narrativen“, die hochgradig anschlussfähig seien. „Wer eine solche toxische Erzählung für wahr hält, muss nicht automatisch auch alle damit verknüpften Narrative glauben. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dies früher oder später geschieht“, heißt es in einem Bericht der Stiftung zum Thema.

Was die Ergebnisse der Forscher_innen in London nahelegen, ist, dass sich die Neue Rechte zunehmend internatio­nalisiert und länderübergreifend vernetzt – auch und gerade was den Wahlkampf in Sozialen Netzwerken betrifft. Propaganda und Strategien werden geteilt und Narrative miteinander verwoben, die zu einer globalen Erzählung zusammenwachsen, die einem blinden Gut-gegen-Böse-Schema folgt. Das will sich vermutlich auch der ehemalige Trump-Berater und Breitbart-News-Herausgeber Steve Bannon zunutze machen, der angekündigt hat, mit einer rechtspopulistischen Stiftung namens „The Movement“ eine rechte Revolte in Europa anzuzetteln.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.