Reaktionen auf Unruhen im Gazastreifen: Kritik am Vorgehen beider Seiten

Die Palästinenser haben die Toten der Unruhen beerdigt. Die UN beraumte wegen der Gewalteskalation ein Treffen an. Und Deutschland fordert zur Besonnenheit auf.

Mehrere Menschen laufen über ein Feld, dahinter sieht man Rauch aufsteigen

Palästinenser gehen in Deckung, nachdem israelische Soldaten Tränengas eingesetzt haben Foto: dpa

GAZA/RAMALLAH dpa/afp/ap | Die Unruhen im Gazastreifen schüren international Sorgen vor einer neuen Eskalation der Gewalt im Heiligen Land. UN-Generalsekretär António Guterres forderte „unabhängige und transparente Ermittlungen“ zu den Vorfällen vom Freitag. Bei Massenprotesten der Palästinenser an der Grenze zu Israel waren mindestens 15 Menschen von israelischen Soldaten getötet, erklärte das palästinensische Gesundheitsministierium. Mehr als 1.400 seien verletzt worden, die meisten durch Tränengas.

Noch am Samstag wurden die Toten zu Grabe getragen. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas rief einen Tag der Trauer aus. In den Palästinensergebieten und in Ost-Jerusalem blieben die Läden geschlossen. Der Generalstreik bezog sich auch auf Privatschulen, die samstags offen sind.

Bei erneuten Zusammenstößen mit israelischen Soldaten wurden wieder Palästinenser verletzt. Drei Männer hätten Schussverletzungen an der Grenze zu Israel erlitten, so das Gesundheitsministerium in Gaza. Israels Armee wollte die Aussagen überprüfen.

Nach palästinensischen Medienberichten waren mehr als 20.000 Menschen zu dem Marsch an der Grenze zu Israel gekommen. Die radikal-islamische Hamas wollte mit der Aktion ihren Anspruch auf ein „Recht auf Rückkehr“ für palästinensische Flüchtlinge und deren Nachkommen in das Gebiet des heutigen Israels untermauern. Israel lehnt eine Rückkehr in das eigene Staatsgebiet ab.

„Ein organisierter Terrorakt“

Der UN-Sicherheitsrat trat wegen der Gewalteskalation in der Nacht zum Karsamstag in New York zusammen. UN-Chef Guterres betonte, die Tragödie vom Freitag zeige die Dringlichkeit, mit der der Friedensprozess im Nahen Osten wiederbelebt werden müsse, um es Palästinensern und Israelis zu ermöglichen, in Frieden und Sicherheit als Nachbarn zu leben.

Deutschland rief am Samstag alle Beteiligten zu Besonnenheit auf. Die Beteiligten müssten alles „unterlassen, was eine weitere Eskalation hervorrufen und erneut Menschen gefährden würde“, erklärte das Auswärtige Amt. „Die Ausübung des Rechts auf Meinungsäußerung und friedlichen Protest darf nicht missbraucht werden, um die legitimen Sicherheitsinteressen Israels an der Grenze zu den palästinensischen Gebieten zu verletzen.“ In Richtung Israels erklärte es: „Die Verteidigung dieser legitimen Interessen muss gleichwohl verhältnismäßig erfolgen.“

Ägypten und Iran kritisierten das Vorgehen Israels scharf. Iran unterstützt die radikal-islamische Hamas in Gaza und betrachtet Israel als seinen Erzfeind.

Palästinenserpräsident Abbas machte allein Israel für die blutigen Zusammenstöße verantwortlich. Er habe die Vereinten Nationen zum Schutz der Palästinenser aufgefordert, sagte er im Fernsehen.

Israel warf der im Gazastreifen herrschenden Hamas dagegen eine gezielte Provokation vor. „Was wir gestern gesehen haben, war ein organisierter Terrorakt“, sagte der israelische Armeesprecher Ronen Manelis. Nach seinen Angaben waren alle Todesopfer Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren. „Die große Mehrheit von ihnen kennen wir als Terroraktivisten“, sagte Manelis. Insgesamt hätten an dem Marsch rund 30.000 Palästinenser teilgenommen, erlärt die israelische Armee, die große Mehrheit davon Frauen und Kinder. Doch nur wenige Tausend seien bis zum Grenzzaun vorgedrungen.

Das israelische Militär hat der palästinensischen Hamas mit Angriffen gedroht, sollte es an der Grenze des Gazastreifens weiter zu Gewalt kommen. Das Militär habe seine Reaktion bislang auf diejenigen beschränkt, die versucht hätten, die israelische Grenze zu durchbrechen, sagte Militärsprecher Ronen Manelis am Samstag. Sollten die Attacken weitergehen, werde man Kämpfer aber „auch an anderen Orten“ verfolgen.

Der Nahost-Experte Marc Frings sieht nun die Möglichkeit einer weiteren Eskalation in den Palästinensergebieten. „Das ist die Gefahr, dass dies nur der Anfang einer Welle von Unruhen ist“, sagte der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah der Deutschen Presse-Agentur. „Uns steht bis Mitte Mai eine Phase der absoluten Unsicherheit bevor.“ Frings betonte, dass die Proteste ursprünglich aus der Gesellschaft heraus organisiert worden seien. „Die Hamas hat sich spät auf den Zug gesetzt“, sagte er – und habe die Aktion für ihre Ziele missbraucht.

Proteste sollen bis zum 15. Mai dauern

Die Kürzungen der US-Mittel für das Palästinenserhilfswerk der UN setze die Menschen zusätzlich unter Druck. „Das sind harte Sicherheitsfaktoren, die heute schon dazu führen, dass das ein Pulverfass ist“, sagte Frings. „Da braucht es keine Hetze oder ein Aufwiegeln durch die Hamas mehr.“

Israel hat nach der Machtübernahme durch die Hamas 2007 eine Blockade über das Küstengebiet verhängt, die mittlerweile von Ägypten mitgetragen wird. USA, die EU und Israel stufen die Hamas als Terrororganisation ein.

Die Proteste im Gazastreifen sollen bis zum 15. Mai dauern. Anlass sind die Feiern zum 70. Jahrestag der Gründung Israels. Die Palästinenser begehen den 15. Mai als Nakba-Tag (Tag der Katastrophe), weil im ersten Nahost-Krieg 1948 rund 700.000 Palästinenser flohen oder vertrieben wurden. Am 14. Mai wollen die USA zudem die US-Botschaft in Jerusalem eröffnen.

Auch Mechemar Abu Sada, Politikprofessor an der Al-Azhar-Universität in Gaza, sagte: „Was gestern passiert ist, ist ein Ausdruck der Wut der Palästinenser, vor allem der Menschen in Gaza, weil die Welt ihre Situation auf den nationalen und humanitären Ebenen ignoriert.“ Was am Freitag passiert sei, könnte sich am Nakba-Tag wiederholen, sagte er. „Und es könnte dann gewaltsamer und heftiger werden.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.