Reaktionen auf Köthen: „Kein Problem einer einzelnen Stadt“

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff verspricht Aufklärung. Nach einem tragischen Todesfall hatten Neonazis nach Köthen mobilisiert.

Zwei Polizeiautos im Vordergrund, dahinter sieht man den Trauermarsch

Nach dem sogenannten „Trauermarsch“ kam es zu offen nationalsozialistischen Sprechchören Foto: imago/Christian Mang

BERLIN/KÖLN/HALLE/GENF rtr/epd | Die Bundesregierung hat sich betroffen über den Tod eines jungen Mannes in Köthen geäußert und Reaktionen Rechtsextremer auf den Fall scharf verurteilt. An erster Stelle stünden Trauer und Betroffenheit über den Tod, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Dass es am Ende des Tages in Köthen, wie ein Video zeige, zu offen nationalsozialistischen Sprechchören gekommen sei, „auch das muss uns betroffen machen und muss uns empören“, ergänzte er.

Der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lobte die Arbeit der Polizei. Polizeiführung und viele Bürger hätten besonnen reagiert, sagte Seibert.

Bundesinnenminister Horst Seehofer hält sich mit einer Bewertung des Angriffs auf den 22-Jährigen zurück. „Da wäre ich jetzt vorsichtig“, sagte der CSU-Politiker am Montag in München vor einer Vorstandssitzung seiner Partei. Das Herzversagen stehe nicht „im direkten kausalen Zusammenhang mit den erlittenen Verletzungen“. Er habe am Sonntagmittag von dem Vorfall erfahren und dafür gesorgt, dass zu der erwarteten Demonstration in Köthen mehr Polizei geschickt worden sei.

In der Nacht zum Samstag war in Köthen ein 22-Jähriger nach einem Streit mit afghanischen Asylbewerbern, bei dem er Verletzungen erlitt, gestorben. Laut Polizei starb der Mann allerdings an Herzversagen. Zwei Tatverdächtige wurden festgenommen, gegen beide wird nun ermittelt. Sie befinden sich derzeit in Untersuchungshaft. Wie es zu dem Tod kam und ob die Verdächtigen Schuld daran trügen, sei von Polizei und Staatsanwaltschaft zu klären, sagte Seibert.

taz-Reporter Martin Kaul war am Sonntag vor Ort in Köthen und hat per Periscope und Twittermehrfach ausführlich Livevideos gestreamt.

Die einzelnen Videos finden sich hier:

Video ab 19.05 Uhr, in dem er die Trauerversammlung auf der Spielplatz besucht, auf dem der 22-Jährige in der Nacht zuvor zu Tode kam.

Video ab 19.20 Uhr, das unter anderm die explizit rechtsradikale Rede eines Thügida-Sprechers dokumentiert. Am Ende wird Martin Kaul von Umstehende bedrängt und attackiert. Er berichtet später auf Twitter, dass ihn die Polizei rausgeholt habe.

Video ab 20.32 Uhr, in dem er unter anderem die rechtsextreme Demonstrantion durch Köthen begleitet.

Video ab 21.18 Uhr, in dem er unter anderem die von der Polizei eingekesselten linken Gegendemonstranten besucht.

Weitere Livestreams gab es von dem Buzzfeed-Reporter Marcus Engert, der vor Ort so attackiert wurde, dass sein T-Shirt zerrissen wurde.

Am Sonntagabend hatten nach Angaben des sachsen-anhaltischen Innenministeriums rund 2.500 Menschen in Köthen an einem sogenannten „Trauermarsch“ teilgenommen, für den auch Rechtsextreme mobilisiert hatten. Rund 220 Menschen nahmen demnach an einer Gegenkundgebung teil. Landespolitiker hatten zuvor zu Besonnenheit aufgerufen. Zu einer kurzfristig organisierten Trauerandacht der evangelischen Kirche in der Köthener St.-Jakobskirche kamen am frühen Sonntagabend mehrere Hundert Menschen.

Aktion gegen rechts gefordert

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hat ein bundesweites Vorgehen nach dem Aufmarsch der Rechtsextremen gefordert. Man habe an den Nummernschildern der Anreisenden erkennen können, dass es nach dem Todesfall in Köthen am Sonntagabend eine bundesweite Mobilisierung gegeben habe, sagte der CDU-Politiker am Montag vor dem CDU-Präsidium in Berlin. „Demzufolge ist es das keine Problematik einer einzelnen Stadt, eines einzelnen Landes. Die gesamte Nation ist jetzt gefordert“, sagte Haseloff. Die Bevölkerung erwarte jetzt einen funktionierenden Rechtsstaat. Die Vorfälle würden aufgeklärt.

„Wir werden die Stadt Köthen auch nicht zugereisten Rechtsextremisten überlassen, die versuchen, das für sich zu instrumentalisieren“, sagte Haseloff.

Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sprach von zugereisten Rechtsextremen, die in Köthen demonstriert hätten. „Wir müssen in dieser Zeit zusammenhalten“, sagte der CDU-Politiker, mahnte aber zur Vorsicht. „Deshalb ist es gerade wichtig, dass Demokraten, anständige Menschen auch bei der Wortwahl aufpassen, dass wir nicht das Spiel dieser Menschen mitmachen und leichtfertig die Stimmung anheizen.“

Kretschmer bekräftigte, dass es bei den Ausschreitungen in Chemnitz vor zehn Tagen „schlimme Dinge“ gegeben habe wie Landfriedensbruch, Attacken gegen Journalisten, Körperverletzungen und das Zeigen des Hitlergrußes. „Aber das, was darüber hinausgeht, so habe ich es auch gesagt, hat dort so nicht stattgefunden“, sagte er zu seiner Bemerkung, dass es keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome gegeben habe.

Organisationen warnen vor Instrumentalisierung

Das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt warnte vor einer Instrumentalisierung des Falles in Köthen. „Wir verurteilen kurzsichtige unsachgemäße Panikmache, die die Bevölkerung spaltet und zum unangemessenen Aktionismus verleitet“, erklärte das Netzwerk am Montag in Halle. Zugleich wurde den Hinterbliebenen tiefes Mitgefühl ausgesprochen. Die Ermittlungsbehörden seien jetzt zuständig, den Fall vollständig aufzuklären.

Der Vorstandsvorsitzende des Netzwerkes, Nguyen Tien Duc, sagte: „Wir sollten unsere Kraft dafür einsetzen, damit Menschen friedlich miteinander leben können.“ Er kündigte an, dass das Netzwerk die Arbeit für ein friedliches Miteinander in Vielfalt in Sachsen-Anhalt, insbesondere in Köthen, verstärken werde. „Denn Demokratie funktioniert nur, wenn wir miteinander reden und uns gegenseitig respektieren.“

Auch die neue Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen (UN), Michelle Bachelet, zeigte sich in ihrer Antrittsrede vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf besorgt über „ausländerfeindliche Hass-Reden in Deutschland“.

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