Reaktionen auf Grass in Israel: „Seine Meinung ist bedeutungslos“

Weder die Politik noch die meisten Medien in Israel schenken Günter Grass' Text zu Israel und dem Iran große Beachtung. Der Historiker Tom Segev äußert Kritik.

Tom Segev findet Günter Grass „nicht antisemitisch, aber bedauernswert“. Bild: reuters

JERUSALEM taz | Entweder war Israels politische Führung mit anderen Dingen beschäftigt oder sie war sich selbst zu fein dafür, um überhaupt auf das Gedicht von Günter Grass zu reagieren. Auch die allabendlichen Fernsehnachrichten ignorierten die in Deutschland heftig laufende Debatte um die umstrittenen Zeilen, und die meisten Zeitungen beschränkten sich auf den Abdruck von Agenturmeldungen zum Thema.

Am Donnerstag reagierte dann das Außenminsiterium: das Gedicht sei geschmacklos, Grass habe die Grenze zwischen Fiktion und Science-Fiction überschritten, sagte der Sprecher des israelischen Außenminstierums laut der Nachrichtenagentu AFP.

Immerhin fügte das Blatt Maariw dem Agenturartikel ein Bild des pfeiferauchenden Autors vor einer mit einem Hakenkreuz beschmierten Häuserwand bei und einen Absatz über Grass in der Waffen-SS.

Der Verleger der Werke von Günter Grass in Israel hat das Recht des deutschen Schriftstellers betont, seine Meinung frei zu äußern. „Wir stehen zu ihm als Schriftsteller. Zu seinem Gedicht äußern wir uns aber nicht“, sagte Ziv Lewis vom Verlagshaus Kinneret in Tel Aviv.

Auch über die Gesamtauflage der ins Hebräische übersetzten Bücher von Grass wollte Lewis keine Angaben machen. „Wir haben alles publiziert, was er geschrieben hat. Aber Verkaufszahlen nennen wir nicht“, sagte er.

Es habe nach der Veröffentlichung des Gedichts „Was gesagt werden muss“ keine Anrufe von Lesern beim Verlag gegeben. „Israelis regen sich nicht so sehr darüber auf wie die Deutschen“, meinte Lewis. (dpa)

Einzig die liberale Tageszeitung Haaretz berichtet am Donnerstag schon auf der Titelseite mit Bild und Kommentar über den zwar „nicht antisemitischen aber bedauernswerten“ Grass. Der Historiker und Kolumnist Tom Segev, Kind deutscher Flüchtlinge, widmet sich ausführlich dem Thema. Segev gehört zu den Publizisten in Israel, denen man Rechtslastigkeit nicht zum Vorwurf machen kann.

Dennoch schimpft der Kolumnist über die Arroganz den deutschen Autors, der „nicht besser informiert ist, als der durchschnittliche Nachrichtenkonsument“. Wer mehr über den Sinn und Unsinn eines Angriff gegen den Iran erfahren wolle, sollte Meir Dagan, dem früheren Mossadchef, „aufmerksam zuhören“, lässt Segev seine eigene Position zu dem Thema durchblicken. „Nur wenige Leute wissen mehr über den Iran als er.“

Die Kommentare von Grass hingegen würden nichts Neues bringen. „Sollte Regierungschef Benjamin Netanjahu oder Irans Präsident Mahmud Ahmedinejad ihn nicht erst kürzlich ins Vertrauen gezogen haben, so ist seine Meinung bedeutungsslos.“

Segev wettert erzürnt über den „heuchlerischen Moralismus“ von Grass und seinen „unfairen“ Vergleich zwischen Israel und Iran. Im Unterschied zu Iran habe Israel niemals damit gedroht, ein anderes Land auszulöschen. Sollte es je zu einem Militärschlag kommen, so würde er „unter keinen Umständen zur Vernichtung des iranischen Volkes führen“, das Ziel sei einzig das Nuklearprogramm.

Nicht nur Israel sei ein besser Ort ohne einen atomar aufgerüsteten Iran, „sondern auch Lübeck, die Hauptstadt des Marzipans“. Nichtsdestotrotz hofft Segev verschmitzt versöhnlich, dass Grass, der erklärtermaßen „gealtert und mit letzter Tinte“ schrieb, doch genug Tinte bliebe für „noch eine wunderschöne Novelle“.

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