Reaktion auf Lewitscharoffs Rede: Ins Gesicht gespuckt

Kinder haben das Recht zu erfahren, woher sie stammen. Das bedeutet nicht, dass dem Kinderwunsch nicht künstlich nachgeholfen werden darf.

Künstliche Befruchtung einer Eizelle mit einer Injektionspipette. Bild: dpa

Sibylle Lewitscharoffs in Dresden gehaltene Rede „Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“, die soviel Aufregung erzeugt hat, hat einige wichtige Themen angesprochen. Die Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin und der Pränataldiagnostik können missbraucht werden. Sie können dazu führen, dass das perfekte Kind hergestellt werden soll. Sie können dazu führen, dass bestimmte Behinderungen aus unserer Welt weitgehend verschwinden. Und dazu – das geschieht bereits täglich –, dass Eltern, die zum Beispiel ein Kind mit Trisomie 21 haben, gesagt bekommen, so etwas sei doch heute nicht mehr möglich.

Es ist auch unschön, wenn Männer als Samenspender missbraucht werden und gegen ihren Wunsch von der Vaterschaft ausgeschlossen werden. Es ist ferner bekannt, dass Kinder ein starkes Bedürfnis haben, ihre biologischen Wurzeln zu kennen, und darunter leiden, wenn ihnen das verwehrt bleibt. Das alles sind wichtige moralische Fragen, mit denen sich zukünftige Eltern auseinandersetzen müssen. Es sind auch Fragen, mit denen man die Eltern nicht allein lassen darf. Sie sind diskutierbar.

Frau Lewitscharoff hat also in Dresden eine Rede gehalten, in der sie alle diese Fragen ansprach. Es war ihr sehr, sehr ernst, das hat sie ausführlich betont.

Man kann zu diesen Fragen sehr unterschiedlicher Meinung sein. Es ist aber nicht hilfreich, wenn man wie Frau Lewitscharoff alles, was sich hinter ihrem Horizont befindet, in einen Topf wirft, Leihmutterschaft, Reagenzglasbefruchtung, ein Bekannter als biologischer Vater für das Kind zweier Frauen, Onanie zur Samengewinnung und vieles mehr. Für Frau Lewitscharoff ist alles „absolut abscheulich“, „widerwärtig“, „vom Teufel erdacht“, was in Zeugungsdingen sich von dem Vorgang unterscheidet, bei dem ein Mann seinen Penis in eine Vagina steckt.

Worauf haben Frauen Lust? Zum Internationalen Frauentag liefert die taz Erfahrungen und Argumente, die eines belegen: Sex ist politisch taz.am wochenende vom 8./9. März 2014 . Außerdem eine Reflexion über Sibylle Lewitscharoff - eine Schriftstellerin auf dem Kreuzzug gegen die moderne Gesellschaft. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Verweigerter Respekt

Was ich abscheulich finde: den Eltern, die so etwas tun, den Respekt zu verweigern und den dadurch entstandenen Kindern das Menschsein abzusprechen. Sie sei ob dieses „widerwärtigen Fortpflanzungsgemurkses“ geneigt, „Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas.“ Auch wenn die Kinder nichts dafür könnten, sei doch ihre „Abscheu (…) in solchen Fällen stärker als die Vernunft“. Für ihre Sätze über die Kinder hat Frau Lewitscharoff sich inzwischen entschuldigt, nicht aber für ihre Abwertung der künstlichen Befruchtung.

Meine Kinder haben homosexuelle Eltern. Womöglich lag es nur an Mangel an Phantasie und Mangel an Mut auf beiden Seiten, dass wir eine nach außen normale und nach innen zumindest freundlich und respektvoll funktionierende Familie gründeten. Wir haben alle sechs Glück gehabt, denn es war erschreckend einfach: Man tat das Übliche, es geschah das Erwünschte. Die Kinder wuchsen und wachsen mit Mutter und Vater auf. Inzwischen in getrennten Haushalten. Es war nicht immer einfach, aber in welcher Familie ist es schon immer einfach?

Vor der ersten Schwangerschaft, mit Anfang 20, war ich auch der Meinung, Kinderlosigkeit sei ein Schicksal, mit dem man sich eben abzufinden habe. In meiner jugendlichen Arroganz fand ich, man müsse nicht jeden gruseligen Laborscheiß machen. Zum Glück hat mich damals niemand gefragt. Inzwischen weiß ich: Es gab Zeiten, da hätte ich mich nicht abgefunden. Egal, ob ich keinen Vater bei der Hand gehabt hätte oder aus anderen Gründen nicht ohne Weiteres hätte schwanger werden können: Ich hätte sehr, sehr viel dafür getan, Kinder zu haben. Nicht alles, aber doch manches von dem, was Frau Lewitscharoff für Teufelswerk hält.

Es hätte mir durchaus Unbehagen bereitet, denn ich halte das pädagogisch für anspruchsvoll: Kinder wollen wissen, woher sie stammen, auch biologisch, sie wollen wissen, wem sie ähnlich sehen oder auch nicht. Sie haben das Recht auf Antworten, und diese Antworten ist ihre Mutter, sind ihre Eltern ihnen schuldig.

Es braucht nicht Mutter und Vater

Eltern sind ihren Kindern auch schuldig, ihnen männliche und weibliche Bezugspersonen zur Verfügung zu stellen. Das ist in vielen Fällen nicht der biologische Vater. Zum Beispiel, weil der abgehauen, verlassen worden oder gestorben ist – oder aus anderen Gründen nicht anwesend. Frau Lewitscharoff hat Recht, wenn sie auf dieses Problem hinweist. Sie hat aber Unrecht, wenn sie implizit behauptet, das sei den entsprechenden Eltern egal, und wenn sie davon ausgeht, man könne diese Antworten nicht geben, nur weil sie vom Normalfall abweichen.

Ich habe meine Kinder im Vorbeigehen empfangen, auf meine schludrige Art ließen wir eins aufs andere folgen, wie sie halt kamen, immer freudig begrüßt, nicht unbedingt geplant. Ich bin keine tolle Mutter, ich war jung genug, diese ganze Kindersache eher sorglos anzugehen. Ich habe viele Freunde, die lange keine Kinder hatten, und bei denen ich trotzdem wusste, dass sie tolle Eltern sein würden. Sie konnten zum Beispiel wegen Krebserkrankungen auf dem Rein-raus-Weg keine Kinder zeugen. Ich fand es selber manchmal ungerecht, dass es für mich so einfach war, und diese tollen Eltern keine Eltern werden konnten, bis sie zu Mitteln griffen, die Frau Lewitscharoff abstoßend findet.

Das war in keinem Fall ein leichter Weg. Jetzt, zehn bis zwanzig Jahre später, haben diese Eltern Kinder. Es sind halt Kinder. Genau so süß und nervig wie andere. Es ist zu 99,9 Prozent scheißegal, wie sie entstanden sind. Die Eltern haben diese Kinder nicht aus Versehen bekommen, sondern haben sie lange ersehnt. Sie haben dafür Opfer gebracht. Sie alle hätten es auch lieber einfacher gehabt.

Sie stellen sich auch der Aufgabe, ihren Kindern zu erklären, woher sie kommen. Das ist nur eine von vielen Anforderungen, die Eltern mehr oder weniger schlecht erfüllen. Eltern machen sowieso Fehler, das weiß jeder, der Eltern hat, und jeder, der Kinder hat. Auf eine Fehlerquelle mehr oder weniger kommt es da vielleicht gar nicht so an.

Es ist ein Unterschied, ob man diesen Eltern und Kindern ins Gesicht spuckt oder ob man berechtigte Fragen zu den Grenzen des Machbaren stellt. Wer in der Lage ist, über das Allgemeine zu reden und dem Besonderen mit Respekt zu begegnen, mit dem kann man diese Fragen diskutieren. Ich will nicht, dass Kinder nach Maß entstehen. Ich will auch nicht, dass nur die Klugen und Guten Kinder haben dürfen. Jeder zeugungsfähige Depp soll aus Versehen Kinder kriegen dürfen, das gehört dazu. Dann sollen aber auch ein paar Leute, die dafür Opfer bringen, ihre Wunschkinder auf anderem Weg bekommen können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.